Julius spürte, wie ihn eine große Traurigkeit niederdrückte, als er zuhörte. Ohne Vorwarnung liefen ihm Tränen des Zorns und der Ohnmacht über das Gesicht. Was hatte Cornelia durchmachen müssen! Er riss sich mit aller Macht zusammen, hielt die Frage zurück, die ihm auf den Lippen brannte, diese sinnlose, dumme Frage, die überhaupt nichts brachte, sondern sie beide nur noch schlimmer verletzen würde. Das alles zählte nichts, nur die Tatsache, dass er sie in den Armen hielt, so lange, bis ihr Schluchzen langsam zu schmerzlichem Zittern verebbte.
»Er ist tot, Lia. Er kann dir nichts mehr tun«, sagte er.
Er erzählte ihr, wie ihre Liebe ihn hatte durchhalten lassen, als er glaubte, in der dunklen Zelle wahnsinnig zu werden, wie stolz er bei der Hochzeit gewesen sei, wie viel sie ihm und seinem Leben bedeutete. Seine Tränen trockneten mit den ihren, und als der Mond schon fast untergegangen war, schliefen sie ein und glitten voneinander fort.
31
Die Sonne stand erst zwei Spannen über dem Horizont, als Tubruk Julius an die Außenmauer des Gutes gelehnt fand, eine Decke gegen die Kälte um den nackten Oberkörper geschlungen.
»Du siehst krank aus«, brummte der alte Gladiator. Zu seiner Verwunderung gab ihm Julius keine Antwort, ja er schien überhaupt nicht wahrzunehmen, dass er vor ihm stand. Die Augen des jungen Mannes waren gerötet von nur wenigen Stunden Schlaf, und der kühle Morgenwind ließ seine Haut frösteln, was er jedoch zu ignorieren schien. Tubruk sah die weißen Narben auf der dunkleren Bräune, ein lebhaftes Zeugnis alten Schmerzes und vieler Kämpfe.
»Julius?« Wieder erhielt er keine Antwort, doch Julius ließ die Decke fallen und stand jetzt nur noch in Sandalen und den kurzen Bracae da, die ihm bis zur Mitte der Oberschenkel reichten.
»Ich muss ein bisschen laufen gehen«, sagte Julius und blickte hinauf zum Wald auf dem Hügel über ihnen. Seine Stimme war so kalt wie der Wind, und Tubruk kniff besorgt die Augen zusammen.
»Ich begleite dich, mein Junge, wenn es dir nichts ausmacht, einen Augenblick auf mich zu warten«, erwiderte er, und als Julius die Achseln zuckte, eilte Tubruk ins Haus, um sich der schweren Tunika und der Beinkleider zu entledigen.
Als er zurückkam, war Julius bereits dabei, langsam seine Beinmuskeln zu dehnen, und der Verwalter tat es ihm gleich, nachdem er die Lederriemen seiner Sandalen bis zu den Waden hinaufgebunden hatte.
Sobald sie damit fertig waren, trabten sie los, den Hügel hinauf, wobei Julius die Geschwindigkeit vorgab.
Die erste Meile durch den Wald legte Tubruk mit Leichtigkeit zurück, froh darüber, dass er seine körperliche Verfassung nicht vernachlässigt hatte. Dann, als seine Brust zu brennen anfing, schielte er zu Julius hinüber, der unbeschwert über den unebenen Weg trabte und seine Lunge mit gleichmäßigen, langen Atemzügen blähte. Tubruk gab nicht nach und blieb dicht an seiner Schulter, ob sie nun kleine Sprints einlegten oder zwischendurch wieder in einen gemächlicheren Trab verfielen. Julius sagte kein einziges Wort, rannte nur immer weiter, bis ihm der Schweiß in dicken Tropfen über die Stirn lief und in den Augen brannte.
Nach einer weiteren Meile kamen sie aus der kühlen, grünen Dunkelheit des Waldes heraus und rannten nun an der neuen Gutsgrenze entlang. Tubruk atmete in kurzen, schmerzhaften Stößen, seine Beine protestierten schon seit geraumer Zeit. So durchtrainiert er auch war, ein Mann in seinem Alter konnte dieses erbarmungslose Tempo nicht länger durchhalten, und Julius zeigte immer noch kein Anzeichen von Ermüdung, als hätte er die Strapazen, denen er seinen Körper aussetzte, einfach vergessen. Seine Augen fixierten einen Punkt irgendwo in der Ferne, seine Konzentration war nach innen gerichtet, und er merkte nicht einmal, dass Tubruk kaum mehr mithalten konnte. Der alte Gladiator begriff irgendwie, dass es wichtig war, bei ihm zu sein, doch die Anstrengung ließ bereits grelle Blitze vor seinen Augen tanzen, und sein Herz hämmerte vor Anstrengung in allen Pulsen, ließ Wogen von Hitze durch ihn wallen, was das wachsende Schwindelgefühl noch verstärkte.
Ohne Vorwarnung blieb Julius stehen und stützte schwer atmend die Hände auf die Knie. Dankbar für die Pause hielt Tubruk sofort an. Mit kleinen Schritten trat er vor Julius und verstellte ihm so den Weg, in der Hoffnung, der junge Mann würde nicht gleich wieder losrennen.
»Wusstest du, was mit Cornelia passiert ist?«, fragte ihn Julius.
Tubruk wurde es mit einem Male kalt, seine Erschöpfung spielte keine Rolle mehr.
»Ich wusste es«, sagte er grimmig. »Clodia hat es mir erzählt.«
Julius fluchte jäh in rasendem Zorn, ballte die Fäuste und sein Gesicht lief unter seinen unbeherrschten Gefühlen noch dunkler an, als es das ohnehin schon war. Beinahe wäre Tubruk einen Schritt zurückgewichen. Verwundert sah er zu, wie der junge Mann auf und ab ging und zornig mit den Händen in der Luft herumfuchtelte, als würde er etwas packen und töten. Schließlich richteten sich seine Augen auf den Verwalter, und Tubruk musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um dem Blick standzuhalten.
»Du hast gesagt, du würdest sie beschützen!«, fauchte Julius ihn an und machte einen Schritt auf Tubruk zu, so dass sein Gesicht nur wenige Zentimeter vor dem des Älteren entfernt war. »Ich habe darauf vertraut, dass sie bei dir in Sicherheit ist!«
Wie in einem plötzlichen Krampf hob Julius die Faust, und Tubruk hielt in Erwartung des Schlages still. Doch stattdessen schnaubte Julius nur und drehte sich abrupt zur Seite.
Da Tubruk die aufwallenden Gefühle kannte, die Julius so aus der Fassung brachten, sagte er leise: »Als Clodia es mir sagte, habe ich gehandelt.«
Zuerst hörte ihn Julius überhaupt nicht.
»Dieses Schwein Sulla hat ihr Todesangst eingejagt. Er hat sie mit seinen dreckigen Fingern berührt«, stieß Julius hervor und fing an zu schluchzen. Dann sank er langsam auf dem struppigen Gras in die Knie und bedeckte mit einer Hand die Augen. Tubruk hockte sich neben ihn, legte die Arme um den jungen Mann und zog ihn mit einiger Mühe an seine Brust. Julius leistete keinen Widerstand mehr, seine Stimme war nur noch ein ersticktes Krächzen.
»Sie dachte, ich würde sie deswegen hassen, Tubruk, kannst du dir das vorstellen?«
Tubruk hielt ihn fest, ließ die Trauer ihr Werk verrichten. Als Julius sich schließlich beruhigt hatte, ließ er ihn los und sah in sein vor Kummer blasses Gesicht.
»Ich habe ihn getötet, Julius. Nachdem ich davon gehört habe, habe ich Sulla umgebracht«, sagte er.
Julius riss schockiert die Augen auf, doch Tubruk redete weiter, erleichtert, dass er es endlich aussprechen konnte. »Ich habe mir einen Platz als Sklave in seiner Küche verschafft und sein Essen mit Eisenhut gewürzt.«
Julius kam sofort wieder zu sich, als er begriff, welcher Gefahr sie ausgesetzt waren, und packte Tubruks Arme mit festem Griff. »Wer weiß sonst noch davon?«
»Nur Clodia. Cornelia habe ich nichts davon gesagt, um sie zu schützen«, antwortete Tubruk und widerstand dem Verlangen, sich loszumachen.
»Sonst niemand? Bist du sicher? Könnte dich jemand erkennen?«
Jetzt wurde Tubruk wütend, hob die Hände und löste knurrend Julius’ klamme Finger.
»Jeder, der mich belasten könnte, ist tot. Mein Freund, den ich schon seit dreißig Jahren kenne, und der mich in Sullas Gesinde eingeschleust hat, ist unter der Folter gestorben, ohne meinen Namen preiszugeben. Außer Clodia und uns beiden gibt es niemanden, der eine Verbindung herstellen könnte, das schwöre ich.« Er blickte in Julius’ unerbittliche Augen und sprach langsam und gepresst durch die Zähne, als er dessen Gedanken erriet: »Du rührst Clodia nicht an, Julius. Denk nicht einmal daran.«
»Solange sie lebt, sind meine Frau und meine Tochter in Gefahr«, erwiderte Julius unerschrocken.