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Unser Held fühlte sich plötzlich sehr schläfrig, aber erst als sein gutes, kräftiges Herz den letzten Blutstropfen aus seinem Körper gepumpt hatte, ging er aus dieser, der besten aller möglichen Welten, in die nächste über.

Der Weltmeister

Den ganzen Tag – das heißt, soweit die Kunden uns Zeit dazu ließen – hatten wir im Büro der Tankstelle am Tisch gehockt und die Rosinen präpariert. Sie waren dick und weich, weil sie in Wasser gelegen hatten, und wenn man sie mit einer Rasierklinge ritzte, sprang die Haut auf, und das gelbe Fleisch quoll heraus. Alles ging so glatt, wie man es nur wünschen konnte.

Aber es handelte sich um insgesamt hundertsechsundneunzig Stück, und so wurden wir erst am späten Nachmittag fertig.

«Sehen sie nicht herrlich aus?», rief Claud und rieb sich die Hände. «Wie spät ist es, Gordon?»

«Kurz nach fünf.»

Durch das Fenster sahen wir einen Kombiwagen an den Pumpen vorfahren. Er wurde von einer Frau gelenkt, und hinten saßen acht oder neun Kinder, die Eis schleckten.

«Wir müssen bald aufbrechen», sagte Claud. «Die ganze Geschichte wird ein Reinfall, wenn wir nicht vor Sonnenuntergang draußen sind, das ist dir wohl klar.» Zweifellos, er fing an, nervös zu werden. Sein Gesicht hatte den gleichen aufgeregten, etwas glotzäugigen Ausdruck wie vor einem Hunderennen oder einem abendlichen Rendezvous mit Clarice.

Wir gingen beide hinaus, und Claud gab der Frau so viele Gallonen Benzin, wie sie verlangte. Als sie fort war, blieb er mitten auf dem Fahrweg stehen und blinzelte besorgt zu der Sonne hinauf, die nur noch eine Handbreit von der Baumlinie des Hügelrückens auf der anderen Talseite entfernt war.

«Schön», sagte ich, «schließ ab.»

Er ging rasch von Pumpe zu Pumpe und befestigte jeden Schlauch mit einem kleinen Vorhängeschloss am Halter.

«Diesen gelben Pullover solltest du lieber ausziehen», meinte er.

«Warum denn?»

«Weil du sonst im Mondschein wie ein verdammter Leuchtturm wirkst.»

«Es wird schon gehen.»

«Wird es nicht», widersprach er. «Tu mir den Gefallen, Gordon, zieh ihn aus. Wir treffen uns in drei Minuten.» Er verschwand in seinem Wohnwagen hinter der Tankstelle, und ich ging hinein, um meinen gelben Pullover mit einem blauen zu vertauschen.

Als ich zurückkam, hatte Claud schwarze Hosen an und einen dunkelgrünen Sweater mit Rollkragen. Auf dem Kopf trug er eine braune Stoffmütze, deren Schirm er tief in die Stirn gezogen hatte. Er sah aus wie ein Apachendarsteller aus einem Nachtclub.

«Was hast du da drunter?», fragte ich und deutete auf einen Wulst um seine Hüften.

Er zog den Sweater hoch und zeigte mir zwei schmale, aber sehr lange, weiße Baumwollsäcke, die fest um seinen Bauch gebunden waren. «Für den Transport», antwortete er in geheimnisvollem Ton.

«Aha.»

«Gehen wir», sagte er.

«Ich bin noch immer dafür, den Wagen zu nehmen.»

«Viel zu riskant. Man würde ihn stehen sehen.»

«Bis zum Wald sind’s aber reichlich drei Meilen.»

«Ja», bestätigte er. «Die Sache ist nur so, dass wir jeder sechs Monate ins Kittchen kommen, wenn sie uns erwischen.»

«Davon hast du mir gestern nichts gesagt.»

«Nein?»

«Ich gehe nicht mit», erklärte ich. «Das lohnt sich nicht.»

«Ach was, der Spaziergang wird dir guttun, Gordon. Komm nur.»

Es war ein stiller, sonniger Abend. Kleine, leuchtend weiße Wolkenstreifen hingen unbeweglich am Himmel, und das Tal war kühl und sehr ruhig, als wir am Grasrand der Straße entlangwanderten, die zwischen den Hügeln nach Oxford führt.

«Hast du die Rosinen?», fragte Claud.

«Ja, in der Tasche.»

Zehn Minuten später bogen wir von der Hauptstraße nach links ab, und nun ging es auf einem schmalen Weg zwischen hohen Hecken bergan.

«Wie viele Wildhüter sind dort?», erkundigte ich mich.

«Drei.»

Claud warf seine halb aufgerauchte Zigarette weg und zündete sich sofort eine neue an.

«Im Allgemeinen bin ich nicht für neue Methoden zu haben», sagte er. «Jedenfalls nicht bei so was.»

«Natürlich.»

«Aber bei Gott, Gordon, ich glaube, diesmal wird’s ein Treffer.»

«Meinst du?»

«Gar keine Frage.»

«Hoffentlich hast du recht.»

«Wir werden einen neuen Meilenstein in der Geschichte des Wilderns errichten», schwärmte er. «Aber du darfst keiner Menschenseele erzählen, wie wir’s angefangen haben, verstehst du? Denn wenn das durchsickert, wird’s jeder Dummkopf in der Gegend ebenso machen, und dann bleibt nicht ein Fasan übrig.»

«Kein Wort verrate ich.»

«Du kannst sehr stolz auf dich sein», fuhr er fort. «Jahrhundertelang haben sich kluge Männer mit diesem Problem beschäftigt, und keiner von ihnen ist jemals auf eine Idee gekommen, die auch nur halb so schlau war wie deine. Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?»

«Du hast mich nie nach meiner Meinung gefragt», erwiderte ich.

Und so war es. Bis zum Tage zuvor hatte Claud nie mit mir über das geheiligte Thema, nämlich das Wildern, gesprochen. Oft genug hatte ich an Sommerabenden beobachtet, wie er nach getaner Arbeit mit der Mütze auf dem Kopf aus seinem Wohnwagen schlüpfte und in Richtung der Wälder verschwand. Wenn ich ihm vom Bürofenster aus nachschaute, hatte ich mich mitunter gefragt, was er wohl vorhabe, was für hinterlistige Streiche er dort oben im stockdunklen Wald verüben wolle. Selten kam er vor Mitternacht zurück, und nie, schlechterdings nie, brachte er bei seiner Heimkehr Beute mit. Und doch – ich hatte keine Ahnung, wie er das machte – hing am nächsten Tag immer etwas zu essen in unserer Vorratskammer – ein Fasan, ein Hase oder ein Paar Rebhühner.

In diesem Sommer war Claud besonders rührig gewesen, und in den letzten beiden Monaten hatte er sein Tempo derart gesteigert, dass er wöchentlich vier oder fünf solcher Ausflüge unternahm. Und das war noch nicht alles. Mir schien, dass sich seine Einstellung zum Wildern neuerdings auf eine subtile, mysteriöse Weise verändert hatte. Er kam mir so zielbewusst, verschlossen, ja verbissen vor wie noch nie, und ich hatte den Eindruck, es handle sich nicht mehr um eine Spielerei, sondern um einen Kreuzzug, um eine Art Privatkrieg, den Claud ganz allein gegen einen unsichtbaren, verhassten Feind führte.

Aber gegen wen?

Ich war meiner Sache nicht sicher, hatte jedoch den Verdacht, es sei kein anderer als Mr. Hazel, der berühmte Mr. Victor Hazel, dem die Wälder und die Fasanen gehörten. Dieser Herr, der Besitzer einer großen Brauerei, zeichnete sich durch unglaubliche Arroganz aus und war über alle Maßen reich. Seine Ländereien erstreckten sich meilenweit auf beiden Seiten des Tales. Er war ein Selfmademan ohne jeglichen Charme und mit bemerkenswert wenigen Vorzügen, verachtete alle Menschen in untergeordneter Stellung, obgleich er selbst einmal zu ihnen gehört hatte, und machte verzweifelte Anstrengungen, in jene Gesellschaftskreise zu gelangen, die er für die richtigen hielt. Er veranstaltete Parforcejagden, gab große Jagdgesellschaften, trug phantastische Westen und fuhr an jedem Wochentag auf dem Weg zur Fabrik in seinem riesigen schwarzen Rolls-Royce an unserer Tankstelle vorüber. Manchmal erspähten wir dann für einen Moment über dem Lenkrad sein feistes, glänzendes Brauergesicht, rot wie ein Schinken, aufgedunsen und erhitzt von übermäßigem Biergenuss.

Um auf Claud zurückzukommen – tags zuvor hatte er ganz unvermittelt zu mir gesagt: «Ich gehe heute Abend wieder in Hazels Wälder hinauf. Willst du mich nicht begleiten?»