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Ich war verwirrt und betrübt. Ich wußte nicht, ob ich den Sleen schon entwischt war. Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte. Ich traute mich nicht in die Agentur zurück und hatte gleichzeitig Angst vor den Folgen, wenn ich es nicht tat. In der Nähe der Agentur mußten meine Spuren besonders intensiv und dicht sein. Auf jeden Fall hatte ich das Gebäude oft morgens verlassen und war abends zurückgekehrt. Wenn ich andererseits nicht dorthin zurückkehrte, wußte ich wirklich nicht mehr, was ich tun sollte. Ich konnte die Stadt nicht verlassen und lief Gefahr, gefangen zu werden, wenn ich blieb – und wenn die Sleen mich nicht erwischten, dann sicher freie Bürger. Einer Sklavin ist es nicht gestattet, nach Dunkelwerden allein durch die Straßen zu gehen, mit Ausnahme von Münz-Sklavinnen oder Lockmädchen für Schänken. Außerdem würde spätestens um Mitternacht mein Fehlen im Gehege auffallen, und dann würden ab morgen Wächter nach mir Ausschau halten. Wie sollte ich auch in der Stadt leben? Ich konnte betteln und Abfälle nach Eßbarem absuchen und mich damit eine Zeitlang über Wasser halten, doch über kurz oder lang würde mir der Sklavenkragen zum Verhängnis werden. Auf keinen Fall konnte ich hoffen, in eine der Banden von Herumtreiberinnen aufgenommen zu werden, die es in jeder Stadt gab, denn ich war nun mal Sklavin.

»Halt, Sklavin!« rief eine Stimme. »Nicht zurückschauen. Hände an die Wand! Füße weiter zurück!« Entsetzt gehorchte ich. Gleich darauf stand ich hilflos an der Wand.

»Wer bist du?« fragte der Mann, ein Wächter.

»Tiffany«, sagte ich, »eine Bankettsklavin aus dem Unternehmen des Aemilianus am Platz der Tarns.«

Ich wagte ihn nicht anzulügen. Er konnte meinen Kragen überprüfen, der meine genaue Identifikation enthielt.

»Du bist weit entfernt vom Platz der Tarns«, sagte er.

»Ja, Herr.«

»Was machst du hier allein?« fragte er nicht unfreundlich.

»Spazierengehen.«

»Ich würde dir raten, die weniger bekannten Straßen dieser Gegend zu meiden«, fuhr er fort. »Für den Rückweg in den Süden solltest du auf der Smaragd-Straße bleiben. Dies ist keine Gegend für hübsche Sklavinnen.«

»Ja, Herr«, sagte ich. »Vielen Dank, Herr.«

Er machte kehrt und ließ mich stehen. Ich richtete mich wieder auf. In Anbetracht der Tatsache, daß ich eine Sklavin war, hatte er mich sehr nett behandelt. Sollte morgen aber eine Fahndung nach mir ausgerufen werden, würde er sich bestimmt erinnern, daß er eine Sklavin namens Tiffany mit kurzgeschorenem blonden Haar und blauen Augen in seinem Stadtviertel gesehen hatte.

Ich schaute in eine der Nebenstraßen. Wie so viele Straßen in goreanischen Städten hatten einige dieser Gassen nicht einmal durchgehende Namen. Man findet sich zurecht, indem man die Gegend kennt oder sich erkundigt. Manche Straßen werden nur beschrieben, beispielsweise als »die Straße, in der der Lederarbeiter Vaskon seinen Laden hat«, »die Straße, in der der Dichter Tesias dieses oder jenes Gedicht schrieb«, »die Straße, in der sich das Haus des Generals Hasdron befindet«, »die Straße des Tarsk-Brunnens« und so weiter. Unschönerweise ist dieselbe Straße zuweilen unter verschiedenen Namen bekannt. So gilt für manche Straße an einem Ende ein Name, den sie aber in ihrem Verlauf zwei- oder dreimal wechseln kann. Manchmal gehen Straßennamen auch auf Ereignisse zurück, zum Beispiel »Feuerstraße« oder »Flutstraße« oder »die Straße der sechs vergewaltigten Sklavinnen« und so weiter. Übrigens gibt es auf Gor keine Straßenschilder im üblichen Sinne. Wo es Namen gibt, sind sie oft an die Mauern von Eckgebäuden gemalt, die übrigens oft abgerundet gestaltet sind – um den Feuerwehrwagen ein schnelleres Durchkommen zu ermöglichen.

Von dem Wächter vorgewarnt, wandte ich mich nach links, um durch eine Nebenstraße zur Mauerstraße vorzudringen, auf der ich mich hoffentlich sicher fühlen konnte. Bestimmt konnte die Mauerstraße, die der Innenkrümmung der Stadtbefestigung folgte, nur wenige Querstraßen weiter westlich liegen. Doch auf direktem Wege vermochte ich sie nicht zu erreichen. So geriet ich in immer neue und immer engere Nebenstraßen, die mir ziemlich verlassen vorkamen. Es war heiß geworden, und ich fürchtete die Orientierung zu verlieren.

Plötzlich sah ich in der Ferne die Mauer über einigen Gebäuden aufragen und ging erleichtert darauf zu. Dabei war ich dermaßen in Gedanken, daß ich die Nähe der Sleen erst bemerkte, als ich ihr erregtes fauchendes Quieken hörte: Und da waren sie nur noch hundert Meter hinter mir! Es war ein Geräusch, wie ein Sleen es ausstößt, wenn er eine heiße Fährte verfolgt, aber zurückgehalten wird. Der Sleen möchte sich auf sein Opfer stürzen, darf es aber nicht.

»Dort ist sie!« hörte ich jemanden rufen.

Hastig sah ich mich um und erblickte die beiden Sleen, von jeweils zwei Mann gehalten, dahinter Hassan und seine Leute und die neugierige Menge, die aus zweihundert Bürgern Ars bestehen mochte.

Ich lief los.

»Laßt die Sleen frei!« rief jemand.

Wenn die Tiere von den Ketten gelassen wurden, mußten sie mich innerhalb weniger Ihn erreichen können. So schnell ich konnte lief ich die Straße entlang. Verzweifelt schaute ich mich um. Die Sleen waren nicht frei, wenigstens noch nicht. Wären sie freigelassen worden, hätte ich mich hingekniet und das Gesicht mit den Händen bedeckt. Ich hätte nicht sehen wollen, wie sie sich mit blitzenden Augen und entblößten Reißzähnen auf mich stürzten. So hastete ich denn weiter die Straße entlang, vor den Tieren, vor den Jägern, vor der aufgeregten Menge. Weiter vorn wichen Männer an die Hauswände zurück. Sie wollten nicht in meiner Nähe sein. Ich floh weiter. Die Sleen und die Jäger mußten mir geduldig seit Stunden gefolgt sein, und es war ihnen offenbar gelungen, meine frischeste Fährte wieder aufzunehmen.

Ich hörte das aufgeregte Rufen in der Menge. Viele Mitläufer mußten schon sehr lange dabei sein. Nun schienen sie den Abschluß der Jagd zu erwarten.

Schluchzend setzte ich einen Fuß vor den anderen. Niemand machte Anstalten, mich bei meiner Flucht zu behindern.

Ich hörte die Sleen hinter mir quieken.

Ich begann zu keuchen, mein Schritt wurde unsicher. Ich stürzte, sprang auf und lief weiter.

Blindlings stürzte ich dahin, entsetzt japsend. Es wollte mir scheinen, als hätte ich den Tag fliehend verbracht, von Entsetzen gepeinigt.

»Nein!« rief ich plötzlich. »Nein!«

Vor mir erstreckte sich eine Mauer mit einem hohen Holztor. Sie schien den Hof eines Privathauses abzugrenzen. Links und rechts bedrängten mich Gebäude. Es gab keinen Ausweg, keine Öffnung bot sich zur Mauerstraße, die wohl nur vierzig oder fünfzig Meter entfernt hinter dem Gebäude verlief.

Hastig fuhr ich herum.

Der Fluchtweg war mir bereits abgeschnitten worden.

Schluchzend sank ich neben dem Tor in die Knie. Ich legte die Hände vor die Augen. Ich wollte die Sleen nicht sehen.

Ich hörte das aufgeregte Hecheln der Raubtiere, das Gebrüll der Menge, das Klirren der Ketten, mit denen die Monstren gehalten wurden, das Kratzen ihrer Klauen auf dem Pflaster, das Geschrei der Männer. Körper umwirbelten mich. Ich schrie auf, als mich die Schnauze eines Raubtiers schnüffelnd berührte und sich wieder abwandte.

»Was machst du denn hier, Tiffany?« fragte Claudia. Crystal und Tupa waren bei ihr. »Ich dachte, du wolltest der Jagd nicht folgen!«

»Du hättest nicht fortlaufen sollen«, sagte Crystal. »Einige Leute in der Menge dachten schon, du wärst die Gesuchte!«

»Das war wirklich dumm von dir, Tiffany«, sagte Tupa. »Stell dir einmal vor, der Sleen wäre erregt gewesen und hätte dich mit einem Tatzenhieb niedergestreckt!«

Verwirrt, ratlos, erstaunt blickte ich mich um. Männer waren im Begriff, das Holztor einzuschlagen. Holz splitterte. Die Ungeheuer und die Jäger und alle anderen drangen in den weiten Hof ein.

»Komm!« rief Claudia. »Beeil dich!«

Zitternd richtete ich mich auf und konnte kaum auf den Beinen bleiben. Mit unsicheren Schritten folgte ich Claudia, Crystal und Tupa in den Hof.