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»Zurück!« rief Hassan der Menge zu. »Zurückbleiben!«

Die Horde, etwa zweihundert Bürger, drängte sich an der Innenseite der Hofmauer.

Fünf Leute Hassans schlugen die Tür des Hauses ein und verschwanden mit gezogenen Klingen im Inneren.

Zurückgehalten von den Ketten, duckten sich die Sleen mit peitschenden Schwänzen auf das Hofpflaster.

Die Haustür hing schief in den Angeln. Drinnen waren zwei Sperriegelhalterungen aus der Wand gebrochen worden.

Im Hof erstreckten sich hier und dort gemusterte Grasflächen und Bewuchs. Außerdem erblickte ich einen Tisch mit zwei Bänken.

Wir starrten auf die leere Schwelle des Hauses.

Hassan hatte seine zusammengerollte Peitsche am Gürtel festgemacht. Sein Blick ruhte auf mir. Ich glaubte nicht, daß er mich erkannte. Ich war nichts anderes als Tiffany, eine nackte Sklavin, die ihm eines Abends zu Gefallen gewesen war. Dabei hatte er mich überwältigt, hatte mich total besiegt, hatte mich mehr zur Sklavin gemacht, als ich es vor diesem Augenblick für möglich gehalten hatte. Er hatte mich verändert, hatte mich die wahre Fraulichkeit gelehrt. Für die Freiheit war ich nicht mehr zu gebrauchen.

Er wandte den Kopf ab.

Er hatte viel für mich getan.

Er erinnerte sich nicht an mich.

Plötzlich hörten wir das Klirren von Stahl aus dem Haus. Gleich darauf brach Glas. Und wieder war alles still.

Unsere Blicke ruhten auf der leeren Schwelle.

Kurze Zeit später erschien die Gestalt einer Frau in Robe und Schleier in der Türöffnung; sie wurde von hinten gestoßen.

Fauchend und hechelnd stürmten die Sleen vor. Die Frau hob die Hände vor das Gesicht und versuchte sich umzudrehen und wieder im Haus zu verschwinden. Die Menge brüllte. Die Tierhalter mußten sich mit voller Kraft bemühen, die Ketten festzuhalten.

Die Frau durfte das Gebäude nicht wieder betreten. Vielmehr wurde sie die Treppe hinab in den Hof gestoßen. Hinter ihr standen Hassans Männer.

Halb zusammengeduckt verharrte sie vor der untersten Stufe. Die Ketten der Sleen waren gespannt.

Hastig trat Hassan zwischen die Tiere, packte die Frau am Arm und schleuderte sie gegen die Hauswand. Sie mußte sich vornübergebeugt mit den Händen dagegenstützen, eine Stellung, die ich vorhin auch bei dem Stadtwächter einnehmen mußte. Mit schnellen Bewegungen schnitt ihr Hassan mit scharfem Messer die Kleidung vom Leib, bis sie nackt wie eine Sklavin vor uns stand.

Er trat einen Moment zurück, um sie zu betrachten. Dann schob er ihr das Haar nach vorn. Ich bemerkte, daß sie eine ähnliche Haarfarbe hatte wie ich. Allerdings besaß sie langes, wunderschönes Haar. Sie war nicht geschoren worden.

Dann nahm Hassan einem seiner Männer einen Eisenkragen ab. Es war kein verzierter oder teurer Sklavenkragen, sondern ein ganz gewöhnliches Stahlband, wie es jede Sklavin tragen konnte.

Sie stand abgewandt von ihm und wußte vermutlich nicht, was er vorhatte. Vielleicht rechnete sie damit, ausgepeitscht zu werden. Doch plötzlich trug sie einen Sklavenkragen.

Sie ließ sich abrupt gegen die Wand fallen und kam torkelnd wieder hoch.

»Nein!« schrie sie. »Nein!«

Sie fuhr herum und starrte Hassan an, der einige Schritte zurückgetreten war.

»Nein!« schrie sie. »Nein! Nein!« Ruckhaft zerrte sie an dem Kragen. Unvernünftigerweise versuchte sie sich das Metall sogar über den Kopf zu streifen. Aber das ging natürlich nicht, dazu war der Reif viel zu eng.

Sie lief auf Hassan zu und schlug hysterisch schluchzend mit kleinen Fäusten auf ihn ein. Er ließ sie einen Augenblick lang gewähren, bis sie selbst erkannte, wie absurd und sinnlos ihr Verhalten war; dann faßte er sie an den Oberarmen, drehte sie um und schleuderte sie gegen die Mauer zurück. Sie prallte gegen das Gestein und glitt zu Boden. Dort drehte sie sich auf allen vieren herum und schaute Hassan an. Er löste die Peitsche von seinem Gürtel.

Ich traute meinen Augen nicht. Es war beinahe, als säße ich dort auf Händen und Knien vor der Mauer. Es gab viele offenkundige Unterschiede zwischen uns, doch war die Ähnlichkeit – Haar- und Augenfarbe, Teint, Figur, Größe und Gewicht – erschreckend groß. Man hätte uns ohne weiteres für Geschwister, vielleicht sogar für Zwillinge halten können.

»Nein!« schrie sie, als die Peitschenschnüre sie trafen. Ein ungläubiger Ausdruck trat in ihre Augen.

»Hast du etwas dagegen?« fragte er. »Gewiß hast du oft den Befehl gegeben, andere auszupeitschen!«

Keuchend und bebend lag sie vor uns auf den Steinen. Hassan steckte seine Peitsche ein, zerrte sie hoch und fesselte der Frau die Hände auf dem Rücken.

»Wer bist du?« fragte sie angstvoll.

»Ich bin Hassan aus Kasra«, sagte er, »und werde von manchen Hassan der Sklavenjäger genannt!«

»Nein!« schluchzte sie. »Ich bin in der Gewalt des Sklavenjägers Hassan!«

»Ja.«

Ich fürchtete, sie würde das Bewußtsein verlieren.

»Was hast du mit mir vor?« fragte sie.

»Ich werde dich in meine Unterkunft in Ar bringen«, antwortete er. »Aber vorher machen wir noch einen kurzen Besuch. Dann wirst du in einem goldenen Sack nach Argentum gebracht.«

Dann hielt er sie sanft in den Armen und ließ sie zu Boden sinken, denn sie war wirklich ohnmächtig geworden. Er bückte sich und hob sie schwungvoll auf seine Schulter. Vermutlich würde sie bald wieder zu sich kommen, eine Sklavin auf dem Rücken ihres Herrn.

Die Menge begann sich schnell zu verlaufen, ebenso die meisten Offiziere Ars.

Noch vor Tagen hatte ich hilflos in den Armen des Sklavenjägers Hassan gelegen. »Wie wirst du sie erkennen?« hatte ich gefragt. »Die Sleen werden sie finden«, hatte er geantwortet. Er hatte Kleidung der Tatrix mitgebracht, aus Corcyrus, vermutlich aus ihren Gemächern. Mit dieser Kleidung waren die Sleen auf die Fährte gesetzt worden. Diese Kleidung, das wußte ich jetzt, konnte nicht mir gehört haben. Der Sleen hatte von mir abgelassen. Er hatte eine andere Frau gesucht. Plötzlich wurden mir Dutzende von Kleinigkeiten klar. Man hatte mir versichert, ich sei Sheila, die Tatrix von Corcyrus, auf Gor wäre dies meine Identität. Vielleicht war ich auf eine Weise Sheila gewesen, doch wurde nun deutlich, daß es eine andere Sheila gegeben haben mußte, gewissermaßen die echte Sheila. Was ich zunächst für einen Traum gehalten hatte, war wohl doch Wirklichkeit gewesen: Ligurious und Sheila hatten mich kurz nach meiner Ankunft auf Gor inspiziert. Zweifellos war sie neugierig auf mich gewesen. Ein andermal hatte sich Susan erstaunt gezeigt, mich in meinem Zimmer zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie trotz aller Vorsicht in einem anderen Teil des Palasts die echte Sheila gesehen. Natürlich hatte sie sie für mich gehalten. Aus ihrer Sicht war es also überraschend gewesen, mich nach so kurzer Zeit in meinen Gemächern vorzufinden. Ebenso erklärte sich nun mein manchmal sehr gemischter Tagesablauf, die Zeiten, die ich in meinen Zimmern zubringen mußte: immer wenn die echte Sheila im Palast unterwegs war und sich der Herrschaft über Corcyrus widmete. Ich wußte nun auch den Grund, warum ich davon abgehalten worden war, wichtige Staatsgeschäfte zu erledigen und bedeutsame Entscheidungen zu fällen. Nicht daß ich für solche Dinge noch nicht bereit war, doch wäre es ja absurd gewesen, mich mit solchen Dingen zu befassen, wo es die echte Tatrix gab. Bisher hatte ich nicht verstehen können, warum die Tatrix dermaßen gefürchtet und verhaßt war. Soweit ich es beurteilen konnte, hatte ich wenig getan, um solche Gefühle auszulösen. Diese Gefühle, soviel erschien mir nun klar, waren zweifellos das Ergebnis von Handlungen und Anordnungen der echten Sheila, der echten Tatrix. Ohne es zu wissen, hatte ich sie in dem kleinen Vorraum des großen Saals gesehen, an dem Tag, als die Streitkräfte Ars und Argentums in die Stadt eindrangen. Ich hatte gewußt, daß es irgendwo eine Frau gab, die mir ähnlich sah. Ligurious hatte es mir einmal angedeutet. Dieser anderen Frau schien er romantisch verbunden zu sein. Zweifellos war dies die Frau, die ich in dem kleinen Zimmer gesehen hatte, wie sie als Sklavin verkleidet wurde. Nach außen hin in der Gewalt von Soldaten aus Ar, sollte sie in Sicherheit gebracht werden. Was mir bisher nicht aufgegangen war; sie war zugleich auch die echte Tatrix von Corcyrus gewesen. Ligurious hatte mir gesagt, daß ich bald meinen eigentlichen Zweck erfüllen würde. »Welchen Zweck?« hatte ich gefragt. »Den Zweck, mit dem wir leider rechnen mußten«, hatte er geantwortet, »der Hauptzweck, weshalb du nach Gor gebracht wurdest.« Erst hier und jetzt, in einem Haushof in Ar, erkannte ich, wie sehr man mich getäuscht hatte. Ich war nach Gor gebracht worden, um im Notfall als Opferlamm zu dienen. Sollten die Pläne Ligurious’ und der Tatrix fehlschlagen, sollte der vorgesehene Krieg um die Bergwerke von Argentum, die ja wohl wirklich Argentum gehörten, schiefgehen, so konnten die beiden fliehen und eine hübsche kleine Stellvertreterin zurücklassen, eine naive Marionette, an der das zornige Volk und der siegreiche Gegner sich austoben konnten. Wie raffiniert das alles geplant gewesen war! Man hatte mich dazu gebracht zu glauben, daß ich wirklich Sheila, Tatrix von Corcyrus war, daß dies auf Gor meine Identität war. Auf jeden Fall hatte Susan daran geglaubt, ebenso Drusus Rencius und viele andere. Was für ein vorzüglicher Plan! Absichtlich hatte man dem Volk mein Gesicht vorgeführt. Tausende von Corcyrern konnten mich als Tatrix identifizieren. Aber schließlich war der Plan doch schiefgegangen. Der Zweck, der Hauptzweck, weshalb ich nach Gor gebracht worden war, war nicht erfüllt worden. Ich war im Lager Miles’ aus Argentum aus dem goldenen Käfig befreit worden und hatte fliehen können. So war der Fall der Tatrix von Corcyrus nicht mit einer Aufspießung in Argentum zu den Akten gelegt worden, woraufhin sich Ligurious und die echte Sheila, zweifellos mit neuen Namen und mit beiseitegeschafften Reichtümern frei auf Gor bewegen konnten: nein, statt dessen war eine gewaltige Suche in Gang gekommen. Ligurious und Sheila hatten erwartet, daß ich als Tatrix identifiziert und nach Argentum gebracht und dort aufgespießt wurde; sie hatten nicht mit meiner Flucht gerechnet, sie hatten ihre Rechnung ohne die Sleen gemacht. Wie negativ war doch alles verlaufen, zumindest für die echte Sheila, die nun hilflos in Hassans Fesseln hing. Beim Gedanken an die Aufspießung tat sie mir plötzlich auch ein wenig leid, egal, was sie getan hatte, egal, welches Schicksal mir zugedacht gewesen war.