Das Essen war vorzüglich. Normalerweise ließ sich Orsatti den Imbiß gut schmecken, aber heute war er ungeduldig, wollte möglichstbald weiterspielen.
«Du ißt ja gar nichts, Tony«, sagte Perry Pope.
«Ich habkeinen Hunger. «Orsatti griff nach der silbernen Kanne zu seiner Rechten, goß sich Kaffee in eine Porzellantasse und nahm wieder am Spieltisch Platz. Er sah den anderenbeim Essen zu und hatte nur den Wunsch, daß
sie sichbeeilen sollten. Erbrannte darauf, sein Geld zurückzugewinnen. Als er seinen Kaffee umrührte, fiel irgend etwas in seine Tasse. Angewidert fischte er es mit dem Löffel heraus undbetrachtete es. Schien ein Stück Putz zu sein. Erblickte zur Decke empor, und nun traf einBrocken seine Stirn. Plötzlichbemerkte er auch ein huschendes Geräusch über sich.
«Was ist denn da oben los, verdammt noch mal?«fragte Anthony Orsatti.
Perry Pope war gerade dabei, Kommissar Newhouse eine lustige Geschichte zu erzählen.»Verzeihung… was hast du gesagt, Tony?«
Das Geräusch war jetzt deutlicher vernehmbar. Kleine Stücke Putzbegannen auf den grünen Filz des Spieltisches zu rieseln.
«Hört sich so an, als hätten Sie Mäuse im Haus«, sagte der Senator.
«In diesem Haus gibt es keine Mäuse«, erwiderte Perry Pope empört.
«Aber irgendwas hast du hier, das ist sicher«, knurrte Orsatti.
Ein größeres Stück Putz fiel auf den Spieltisch.
«Ich lasse André mal nachsehen«, sagte Pope.»Wenn wir jetzt alle fertig gegessen haben, könnten wir ja weiterspielen, okay?«
Anthony Orsatti starrte zu dem kleinen Loch in der Decke empor, das sich direkt über seinem Kopfbefand.
«Moment. Erst gehen wir nach oben und schauen, was da ist.«
«Warum, Tony? André kann doch…«
Orsatti warbereits aufgestanden und schritt auf die Treppe zu. Die anderenblickten sich an. Dann eilten sie ihm nach.
«Wahrscheinlich hat sich ein Eichhörnchen in den Speicher verirrt«, vermutete Perry Pope.»Um diese Jahreszeit sind die hier überall. Es versteckt wohl seine Nüsse für den Winter. «Er
lachte über seinen kleinen Scherz.
Orsatti stieß die Speichertür auf, und Perry Pope knipste das Licht an. Sie sahen flüchtig zwei Hamster, die hektisch durch den Raum sausten.
«Heiliger Gott!«sagte Perry Pope.»Ich habRatten im Haus!«
Anthony Orsatti hörte nicht hin. Er stierte in den Speicher, in dessen Mitte ein Campingstuhl mit einem Stullenpaket und zwei offenenBierdosen stand. Gleich daneben auf demBoden lag ein Feldstecher.
Orsatti tat ein paar Schritte in den Raum, griff sich die Gegenstände undbetrachtete sie gründlich der Reihe nach. Dann kniete er auf dem staubigenBoden nieder, entfernte den kleinen, hölzernen Pfropfen von dem Guckloch, das in die Decke gebohrt worden war, und lugte durch das Guckloch. Direkt unter ihmbefand sich der Spieltisch. Er war deutlich zu erkennen.
Perry Pope stand wie vom Donner gerührt in der Mitte des Speichers.»Wer hat denn diesen ganzen Plunder hier raufgebracht, verdammt noch mal? Ich werde André die Hölle heiß machen!«
Orsatti erhobsich langsam und wischte den Staubvon seiner Hose.
Perry Popeblickte auf denBoden.»Sieh dir das an!«rief er.»Die haben ein Loch in die Decke gemacht. Also, diese Handwerker sind wirklich der letzte Dreck.«
Er ging in die Hocke und warf einenBlick durch das Loch. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Er stand wieder auf undblickte wild in die Runde. Die Männer starrten ihn schweigend an.
«He!«sagte Perry Pope.»Ihr denkt doch nicht etwa, daß ich…? Also, nun aber, ihr kennt mich doch, Leute. Ich habe nichts damit zu tun. Ich würde euch doch nie im Lebenbemogeln. Herrgott, wir sind ja schließlich Freunde!«Er führte
ruckartig die rechte Hand zum Mund undbegann wie rasend an seinen Fingernägeln zu knabbern.
Orsatti tätschelte ihm den Arm.»Nur ruhigBlut, mein Junge. «Seine Stimme war fast unhörbar.
Perry Pope kaute verzweifelt auf dembloßen Fleisch seines rechten Daumens herum.
14
«Zwei sind schon k. o., Tracy«, gluckste Ernestine Littlechap.»Wie man hört, arbeitet dein Freund Perry Pope nicht mehr als Rechtsverdreher. Er hatte 'nbösen Unfall.«
Tracy und Ernestine saßen in einem kleinen Straßencafé in der Nähe der Royal Street, tranken Milchkaffee und aßen Croissants.
Ernestine kicherte in den höchsten Tönen.»Dubist echt schlau. Willst du nicht mit mir 'n Geschäft aufmachen?«
«Nein danke, Ernestine. Ich habe andere Pläne.«
Ernestine fragte interessiert:»Wer ist denn der nächste?«
«Richter Henry Lawrence.«
Henry Lawrence hatte seine Karriere als Kleinstadtanwalt in Leesville/Louisianabegonnen. Erbesaß wenig Talent zur Juristerei, aber er hatte zwei wichtige Eigenschaften: Er sah eindrucksvoll aus und er war moralisch flexibel. Seine Philosophie lautete, daß das Gesetz eine dünne Gerte sei, die denBedürfnissen seiner Mandanten gemäß zurechtgebogen werden müsse. Und so nahm es nicht wunder, daß Henry Lawrences Kanzlei, als er nach New Orleans übersiedelte, binnen kurzem dank einer ganz speziellen Klientel zu florierenbegann. Zunächstbefaßte er sich nur mit minder schweren Vergehen und mit Verkehrsstrafsachen, ging dann allmählich zu schweren Vergehen und Kapitalverbrechen über, und als er den Sprung in die renommierten Anwaltsverbände geschafft hatte, war er ein Meister in derBeeinflussung von Geschworenen, Verunglimpfung von Zeugen undBestechung aller Personen, die für» seinen «Fall von Nutzen sein konnten. Kurz, er war der rechte Mann für Anthony Orsatti, und die
Wege derbeiden mußten sich einfach kreuzen. Es war eine Ehe, die im Mafia‑Himmel geschlossen wurde. Lawrence entwickelte sich zum Sprachrohr von Orsattis Organisation, und als die Zeit günstig war, sorgte Orsatti dafür, daß er zum Richter ernannt wurde.
«Ich weiß nicht, wie du den Lawrence drankriegen willst«, sagte Ernestine.»Er ist reich und mächtig und unangreifbar.«
«Er ist reich und mächtig, ja, aber nicht unangreifbar«, korrigierte Tracy ihre Freundin.
Sie hattebereits einen Plan ausgearbeitet, doch als sie imBüro von Richter Lawrence anrief, merkte sie, daß sie ihre Strategie würde ändern müssen.
«Ich möchtebitte mit Richter Lawrence sprechen.«
Eine Sekretärin sagte:»Tut mir leid. Richter Lawrence ist nicht da.«
«Wann kommt er denn zurück?«fragte Tracy.
«Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
«Es ist sehr wichtig. Ist er morgen wieder da?«
«Nein. Er ist verreist.«
«Oh. Kann ich ihn irgendwo erreichen?«
«Leider nicht. Er ist außer Landes.«
Tracy achtete sorgsam darauf, daß man keine Enttäuschung aus ihrer Stimme heraushörte.»Aha. Darf ich fragen, wo er sich aufhält?«
«In Europa. Erbesucht ein internationales Symposion.«
«Das ist ja ein Jammer«, sagte Tracy.
«Wer spricht da, bitte?«
Tracy überlegteblitzschnell.»Mein Name ist Elizabeth Dastin. Ichbin die Vorsitzende der Sektion Süd der American Trial Lawyers' Association. Unser Verband veranstaltet am Zwanzigsten des Monats sein jährliches Festbankett in New Orleans. Das ist immer mit einer Ehrung verbunden, und wir habenbeschlossen, Richter Henry Lawrence zum Mann des
Jahres zu ernennen.«
«Sehr schön«, sagte die Sekretärin,»aber ich fürchte, bis dahin wird er noch nicht zurück sein.«
«Ach, das ist aber schade. Wir haben uns alle schon so sehr auf eine seinerberühmten Reden gefreut. Er ist von unserem Preiskomitee einstimmig gewählt worden.«
«Es wird ihm leid tun, das zu versäumen.«