Выбрать главу

Als Onkel Willie ihn fragte, warum er von zu Hause ausgerissen sei, sagte Jeff lediglich:»Ich habe mich mit meiner Stiefmutter nicht vertragen.«

Onkel Willie telefonierte mit Jeffs Vater, und nach einem langen Gespräch wurdebeschlossen, daß der Jungebeim Vergnügungsparkbleiben sollte.»Hier lernt er mehr als in der Schule«, verhieß Onkel Willie.

Der Vergnügungspark war eine eigene Welt.»Wir sind Trickkünstler«, erklärte Onkel Willie,»aber du darfst eines nicht vergessen, Junge: Du kannst die Leute nur dann übers Ohr hauen, wenn sie gierig sind.«

Die Leute vom Vergnügungspark wurden Jeffs Freunde. Die einen hatten Schaustellerkonzessionen, die anderen tratenbei irgendwelchen Darbietungen auf — die dickste Frau der Welt zumBeispiel und die von obenbis unten tätowierte Lady —, wieder andere überwachten das Geschehen in den Spielbuden oder arbeiteten als Hilfskräfte. Natürlich gabes hier auch viele hübsche Mädchen, und die fühlten sich alle zu dem Jungen hingezogen. Jeff hatte die Sensibilität seiner Mutter und das gute Aussehen seines Vaters geerbt, und die Damen stritten sich um ihn. Aus diesem Kampf ging als Siegerin ein hübscher Schlangenmensch weiblichen Geschlechts hervor. Siebliebfür Jeff jahrelang das Nonplusultra, an dem er die anderen Frauen maß.

Onkel Willie ließ Jeff in möglichst vielen VergnügungsparkJobs arbeiten.»Eines Tages gehört das alles dir«, erklärte er dem Jungen,»und im Griffbehalten kannst du's nur, wenn du mehr davon verstehst als die anderen.«

Jeffbegann mit einem Wurfspieclass="underline" Die Leute von draußen zahlten gutes Geld dafür, daß sie einenBall gegen sechs Katzen aus Zeltleinwand schleudern durften, die in ein Netz plumpsten, und zu gewinnen war der übliche Schießbudenplunder. Die Katzen hatten einen hölzernen Fuß und standen auf einem verhängtenBord. Der Mann, der dieBudebetrieb, zeigte der Kundschaft, wie leicht es war, die Katzen umzuschmeißen. Doch wenn die Kundschaft es versuchte, wurde ein zweiter Mann tätig, der sich hinter demBord versteckte: Er drückte einen Stock gegen den hölzernen Fuß der Katzen. Nicht einmal ein Kraftmensch hätte sie ins Netzbefördern können.

«He, Sie setzen zu weit unten an«, sagte der Mann, der dieBudebetrieb.»Sie müssen ganz locker in die Mitte werfen.«

Ganz locker in die Mitte war das Stichwort für den Partner mit dem Stock. Er nahm ihn vom hölzernen Fuß weg, und der Mann, der dieBudebetrieb, schmiß die Katzen vomBord. Dann sagte er:»Sehen Sie, was ich meine?«Das war das Stichwort für den Partner, den Stock erneut anzulegen. Und es gabimmer wieder Leute von draußen, die ihrer kichernden Freundin die Stärke ihres Wurfarms vorführen wollten.

Eines der einträglichsten Spiele war das mit der Maus. Eine lebende Maus wurde in die Mitte eines kreisrunden Tisches unter ein Schälchen gesetzt. Am Rand des Tischesbefanden sich zehn numerierte Löcher, und in jedes dieser Löcher konnte die Maus rennen, wenn sie losgelassen wurde. Die Mitspieler setzten auf eines der Löcher. Wer richtig gewettet hatte, gewann. Nur gewann nie jemand.

«Wie funktioniert das?«erkundigte sich Jeffbei Onkel Willie.»Nimmt man da dressierte Mäuse?«

Onkel Willie lachte schallend.»Wer hat denn die Zeit, Mäuse zu dressieren? Nein, nein, es ist ganz einfach. Unser Mann stellt fest, auf welche Nummer niemand gesetzt hat, tut ein Tröpfchen Essig auf den Finger undberührt damit den Rand des Loches, in das die Maus rennen soll. Und in das rennt sie dann auch.«

Karen, eine attraktive jungeBauchtänzerin, lehrte Jeff das Schlüsselspiel. Jeff arbeitete damals gerade als Ausrufer in einer der Schaubuden.

«Wenn du am Samstagabend fertigbist«, sagte Karen,»dann nimm ein paar Männerbeiseite — natürlich immer nur einen auf einmal — und verkauf ihnen den Schlüssel zu meinem Wohnwagen.«

Der Schlüssel kostete fünf Dollar. Um Mitternacht tigerten dann zwölf oder mehr Männer um den Wohnwagen herum. Karenbefand sich zu dieser Zeit in einem Hotel am Ort und teilte dasBett mit Jeff. Wenn die Männer am nächsten Morgen wiederkamen, um sich zu rächen, war der Vergnügungspark längst weitergezogen.

In den nächsten vier Jahren lernte Jeff eine Menge über die menschliche Natur. Er entdeckte, wie einfach es war, Gier zu wecken, und wie einfältig die Leute oft sein konnten. Sie glaubten die unmöglichsten Geschichten, weil sie sie glauben wollten.

Mit achtzehn sah Jeff phantastisch gut aus. Selbst diebeiläufigsteBeobachterinbemerkte sofort mit Wohlgefallen seine schönen grauen Augen, seinen hohen Wuchs und sein dunkles lockiges Haar. Die Männer wiederum hatten Freude an seinem Witz und an seiner Unbeschwertheit. Kinder schenkten ihm prompt ihr Vertrauen, als sprächen sie auf etwas Kindliches in ihm an. DieBesucherinnen des Vergnügungsparks flirteten heftig mit Jeff, aber Onkel Willie sagte warnend:»Laß dich nie mit den Mädchen von draußen

ein, mein Junge. Ihr Vater ist immer der Sheriff.«

Die Frau eines Messerwerfers war der Grund dafür, daß Jeff den Vergnügungspark verließ. Die Show war soeben in Milledgeville/Georgia eingetroffen, und dieBuden und Zelte wurden aufgebaut. Der Vergnügungspark hatte eine neue Attraktion: einen sizilianischen Messerwerfer, genannt der Große Zorbini, und dessen schöneblonde Frau. Während der Große Zorbini seine Siebensachen in einem der Zelte auslud, lud seine Frau Jeff in das gemeinsame Hotelzimmer des Paares ein.

«Zorbini ist den ganzen Tagbeschäftigt«, sagte sie.»Da könnten wir uns doch einbißchen amüsieren.«

Das hörte sich gut an.

Diebeiden gingen also ins Hotel und setzten sich zunächst in dieBadewanne. Das Wasser war angenehm warm, die Zunge der Gattin des Großen Zorbini desgleichen, und als Jeff gerade selig hinüber sank, flog die Tür auf und der Große Zorbini trat ein. Er warf einenBlick auf Jeff und seine Frau und schrie:»Tu sei una puttana! Vi ammazzo tutti e due! Dove sono i miei coltelli?«

Jeff verstand zwar kein einziges Wort, den Ton dagegen erfaßte er gleich. Während der Große Zorbini aus demBad stürmte, um seine Messer zu holen, hüpfte Jeff aus der Wanne und schnappte sich seine Kleider. Er sprang aus dem Fenster und rannte nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, ein Gäßchen entlang. Hinter sich hörte er einenBrüller, und dann zischte ein Messer an seinem Kopf vorbei. Ein zweites folgte. Beim dritten war er außer Wurfweite. Er zog sich in einer stillen Ecke an, schlich auf verstohlenen Wegen zumBahnhof und nahm den nächstenBus, der die Stadt verließ. Sechs Monate später war er in Vietnam.

Jeder Soldat erlebt einen anderen Krieg, und Jeff kehrte mit

einer tiefen Verachtung für dieBürokratie und einer dauerhaften Abneigung gegen Autoritäten aus Vietnam zurück. Er war zwei Jahre in einem Krieg gewesen, der nicht gewonnen werden konnte. Die Vergeudung von Geld, Material und Menschenleben entsetzte ihn, und die Täuschungsmanöver und Lügen der Generäle und Politiker widerten ihn an. Es waren verbale Taschenspielertricks. Niemand außer ihnen will diesen Krieg, dachte Jeff. Es ist eine Gaunerei. Die größte Gaunerei der Welt.

Eine Woche vor Jeffs Entlassung erreichte ihn die Nachricht, daß Onkel Willie gestorben war. Den Vergnügungspark gabes nicht mehr. Die Vergangenheit war abgeschlossen. Jeff nahm sich vor, die Zukunft zu genießen.

Die folgenden Jahre waren für Jeff ein einziges Abenteuer. Erbetrachtete die ganze Welt als Vergnügungspark und die Menschen als Kundschaft, die sichbereitwillig täuschen ließ. Er ersann seine eigenen Gaunereien. Er setzte Anzeigen in die Zeitung undbot einBild des Präsidenten — in Farbe! — für nur einen Dollar an. Wenn er das Geld erhalten hatte, schickte er dem Absender eineBriefmarke mit dem Präsidenten drauf. Er teilte in Kleinanzeigen, die in Illustrierten erschienen, der Öffentlichkeit mit, esblieben nur noch sechs Tage Zeit, fünf Dollar einzusenden. Danach sei es zu spät. Er führte nicht weiter aus, wofür die fünf Dollar gut waren, aber das Geld floß in Strömen. Drei Monate lang verkaufte erbei einer Schwindelfirma falsche Ölaktien per Telefon.