Sie wollte die Angst vergessen, die sie im Zugbei dem Gedanken empfunden hatte, sie sei verhaftet. Nein, ich werde mir meine Reise nicht von ihm vermiesen lassen. In Zukunft ignoriere ich ihn einfach.
Nach dem Essen stieg Tracy zumBootsdeck hinauf. Es war eine traumhaft schöne, sternklare und mondhelle Nacht. Sie stand an der Reling, betrachtete die Wogen im silbrigen Licht und hörte dem Nachtwind zu, als Jeff Stevens neben sie trat.
«Sie haben keine Ahnung, welch eine Augenweide Sie sind. Halten Sie was von Romanzen anBord?«
«Ja. Aber von Ihnen halte ich nichts. «Tracy wollte weggehen.
«Warten Sie. Ich habe eine Neuigkeit. Maximilian Pierpont ist doch nicht auf diesem Schiff. Er hat sich in letzter Minute entschlossen, nicht mitzufahren.«
«So ein Jammer. Dann sind Sie ja ganz umsonst hier.«
«Nicht unbedingt. «Jeff schaute Tracy sinnend an.»Wie würde es Ihnen gefallen, auf dieser Reise ein kleines Vermögen zu machen?«
Der Mann ist eine Landplage.»Ich glaube kaum, daß Sie hier jemand so ohne weiteresberauben können — es sei denn, Sie haben ein kleines U‑Boot oder einen Hubschrauber in der Tasche.«
«Wer sagt denn, daß ich jemandberauben will? Sind IhnenBoris Melnikow und Mihail Negulescu einBegriff?«
«Und wenn ja, was dann?«
«Melnikow und Negulescu sind auf dem Weg nach Rußland, zu einem Weltmeisterschaftsturnier. Wenn ich es einrichten kann, daß Sie gegen diebeiden spielen«, sagte Jeff ernst,»können wir einen Haufen Geld verdienen. Ich habe einen perfekten Plan.«
Tracyblickte ihn ungläubig an.»Wenn Sie es einrichten können, daß ich gegen diebeiden spiele? Das ist Ihr perfekter Plan?«
«Mhm. Wie gefällt er Ihnen?«
«Ausgezeichnet. Er hat nur einen Haken.«
«Und der wäre?«
«Ich kann nicht Schach spielen.«
Jeff lächelte gütig.»Kein Problem. Dasbringe ich Ihnenbei.«
«Sie sind verrückt«, sagte Tracy.»Wenn ich Ihnen einen freundlichen Rat geben darf — gehen Sie zu einem tüchtigen Psychiater. Gute Nacht.«
Am nächsten Morgen hatte Tracy einen wortwörtlichen Zusammenstoß mitBoris Melnikow. Er joggte auf demBootsdeck, und als Tracy um die Eckebog, prallte er gegen
sie und rannte sie über den Haufen.
«Passen Sie doch auf, Mensch«, knurrte er und joggte ungerührt weiter.
Tracy saß auf den Decksplanken und starrte ihm nach.»So was von rüde!«Sie stand auf und schüttelte den Staubvon ihren Kleidern.
Ein Steward nahte.»Sind Sie verletzt, Miß? Ich habe gesehen, wie er Sie…«
«Nein, ichbin nicht verletzt. Alles in Ordnung, danke.«
Sie würde sich ihre Reise von niemandem vermiesen lassen.
Als Tracy in ihre Suite zurückkehrte, lagen sechs Zettel auf dem Tisch, alle gleichen Inhalts: Sie möge Mr. Jeff Stevens anrufen. Sie dachte gar nicht daran. Am Nachmittag schwamm und las sie, und als sie am Abend in dieBar ging, um vor dem Essen einen Cocktail zu trinken, fühlte sie sich wunderbar. Ihre Euphorie war nicht von Dauer. Mihail Negulescu, der Rumäne, saß an derBar. Als er Tracy sah, stand er auf und sagte:»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren, schöne Frau?«
Tracy zögerte. Dann lächelte sie.»Ja, danke.«
«Was möchten Sie denn?«
«Einen Wodka Tonic, bitte.«
Negulescu gabdieBestellung an denBarmann weiter und wandte sich wieder Tracy zu.»Ichbin Mihail Negulescu.«
«Ich weiß.«
«Klar. Mich kennen alle. Ichbin der größte Schachspieler der Welt. In meiner Heimat werde ich als Nationalheld verehrt. «Erbeugte sich zu Tracy herüber, legte ihr die Hand aufs Knie und sagte:»Ich kann auch sagenhaft gut ficken.«
Tracy glaubte, nicht recht gehört zu haben.»Wiebitte?«
«Ich kann auch sagenhaft gut ficken — Sie werden ja sehen.«
Tracys erste Regung war, ihm den Drink ins Gesicht zu schütten, aber siebeherrschte sich. Sie hatte einenbesseren Einfall.»Entschuldigung«, sagte sie,»aber ich muß jetzt zu
einemBekannten von mir.«
Sie machte sich auf die Suche nach Jeff Stevens und fand ihn im Princess Grill. Doch als sie auf seinen Tisch zuging, sah sie, daß er mit einer hübschenBlondine speiste. Die Dame hatte eine aufsehenerregende Figur und trug ein Abendkleid, das so eng war, als sei es ihr direkt auf den Leibgepinselt worden. Ich hätte es ja eigentlich wissen müssen, dachte Tracy, drehte sich um und verließ den Grillroom. Einen Augenblick später war Jeff an ihrer Seite.
«Tracy… wollten Sie mit mir reden?«
«Ich möchte Sie nicht vom… vom Essen abhalten.«
«Oh, sie ist nur eine Kleinigkeit zum Nachtisch«, sagte Jeff leichthin.»Was kann ich für Sie tun?«
«War Ihnen das ernst mit Melnikow und Negulescu?«
«Absolut. Warum?«
«Ich glaube, man muß sie Mores lehren.«
«Das glaube ich auch. Und wir werden auch noch Geld dabei verdienen.«
«Gut. Erzählen Sie mir von Ihrem Plan.«
«Sie werden diebeidenbeim Schach schlagen.«
«Ich meine es ernst.«
«Ich auch.«
«Wie ich Ihnenbereits gesagt habe, kann ich nicht Schach spielen. Ich kann einenBauern nicht von einem König unterscheiden. Ich…«
«KeineBange«, sagte Jeff.»Ein paar Lektionen von mir, und Sie erledigen siebeide.«
«Beide?«
«Ach, habe ich Ihnen das noch nicht gesagt? Sie werden simultan gegen die Herren spielen.«
Jeff saß nebenBoris Melnikow in der Pianobar.»Die Frau ist eine ausgezeichnete Schachspielerin«, vertraute er Melnikow an.
Der Russe gabein verächtliches Grunzen von sich.»Frauen verstehen nichts von Schach. Sie können nicht denken.«
«Die hier kann's. Sie sagt, sie könne Sie ohne weiteres schlagen.«
Boris Melnikow lachte schallend.»Mich schlägt niemand. Niemand.«
«Sie wettet mit Ihnen zehntausend Dollar, daß sie simultan gegen Sie und Mihail Negulescu spielen und gegen mindestens einen von Ihnen ein Remis herausholen kann.«
Boris Melnikow verschluckte sich an seinem Drink.»Das — das ist doch lächerlich! Sie will simultan gegen uns spielen? Diese… diese Dilettantin!«
«Ja, sie will simultan gegen Sie spielen. Für zehntausend Dollar pro Nase.«
«Eigentlich sollte ich's machen, um diesem schwachsinnigen Weibeinen Denkzettel zu verpassen.«
«Wenn Sie gewinnen, wird das Geld in einem Land Ihrer Wahl hinterlegt.«
Ein gieriger Ausdruck trat in das Gesicht des Russen.»Also, daß sie gegen unsbeide spielen will… Die Frau muß übergeschnappt sein.«
«Sie hat die zwanzigtausend Dollarbei sich.«
«Woher kommt sie?«
«Sie ist Amerikanerin.«
«Ah — das erklärt die Sache. Alle reichen Amerikanerinnen sind verrückt.«
Jeff machte Anstalten, sich von seinemBarhocker zu erheben.»Tja, dann wird sie wohl gegen Mihail Negulescu allein spielen müssen.«
«Negulescu hat sich auf eine Partie mit ihr eingelassen?«
«Gewiß. Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Sie wollte eigentlich gegen Siebeide spielen, aber wenn Sie Angst haben…«
«Angst? Ich! Angst?«röhrte Melnikow.»Ich werde sie
vernichten. Wann soll diese lächerliche Partie stattfinden?«
«Sie dachte, vielleicht am Freitag. Am letzten Abend auf See.«
Boris Melnikow überlegte.»Zehntausend Dollar?«
«Das ist richtig.«
Der Russe seufzte.»Soviel Geld habe ich nichtbei mir.«
«Kein Problem«, versicherte ihm Jeff.»Miß Whitney will sich dochbloß in dem Ruhm sonnen, gegen den großenBoris Melnikow gespielt zu haben. Wenn Sie verlieren, geben Sie ihr einfach ein Foto mit Autogramm. Wenn Sie gewinnen, kriegen Sie die zehntausend Dollar.«
«Wer verwahrt die Einsätze?«Ein leiser Argwohn schwang in der Stimme des Russen mit.
«Der Zahlmeister.«
«Na schön«, sagte Melnikow.»Am Freitagabend. Wir fangen um 22 Uhr an.«