«Da wird sie sich aber freuen«, sagte Jeff.
Am nächsten Vormittag sprach Jeffbeim Konditionstraining in der Turnhalle mit Mihail Negulescu.
«Amerikanerin ist sie?«sagte Mihail Negulescu.»Hätte ich mir ja gleich denken können. Die spinnen, die Amerikaner.«
«Sie ist eine große Schachspielerin.«
Mihail Negulescu machte eine wegwerfende Handbewegung.»Groß ist nicht genug. Der Größte muß man sein — das zählt. Und ichbin der Größte.«
«Darum möchte sie auch unbedingt gegen Sie spielen. Wenn Sie verlieren, geben Sie ihr einfach ein Foto mit Autogramm. Wenn Sie gewinnen, kriegen Sie zehntausend Dollar…«
«Negulescu spielt nicht gegen Amateure.«
«… hinterlegt in einem Land Ihrer Wahl.«
«Kommt überhaupt nicht in Frage.«
«Tja, dann wird sie wohl gegenBoris Melnikow allein spielen
müssen.«
«Was? Soll das heißen, daß sich Melnikow auf eine Partie mit dieser Frau eingelassen hat?«
«Gewiß. Aber sie wollte eigentlich gegen Siebeide simultan spielen.«
«Das… das… das ist doch unglaublich!«stotterte Negulescu.»So ein Dünkel! Wer ist sie denn, daß sie sich einbildet, sie könnte einen amtierenden und einen ehemaligen Weltmeister schlagen? Die muß aus dem Irrenhaus entsprungen sein.«
«Sie hat einen kleinen Schatten«, gabJeff zu,»aber ihr Geld ist absolut sauber.«
«Zehntausend Dollar, wenn ich sie schlage, sagten Sie?«
«Das ist richtig.«
«UndBoris Melnikow kriegt auch zehntausend Dollar?«
«Wenn er sie schlägt.«
Mihail Negulescu grinste.
«Oh, er wird sie sicher schlagen. Und ich sie auch.«»Unter uns gesagt: Es würde mich keinbißchen wundern.«
«Wer verwahrt die Einsätze?«»Der Zahlmeister.«
Warum sollbloß Melnikow das Geld dieser Frau einstreichen? dachte Mihail Negulescu.
«In Ordnung, mein Freund. Wann und wo?«»Am Freitagabend um 22 Uhr. Im Queen's Room. «Mihail Negulescu fletschte die Zähne zu einem höhnischen Lächeln.»Ich werde zur Stelle sein.«
«Sie meinen, diebeiden machen mit?«rief Tracy.
«Ja.«
«O Gott, mir wird speiübel.«
«Ich hole Ihnen einen kalten Umschlag.«
Jeff eilte insBadezimmer von Tracys Suite, ließ Wasser über ein Handtuch laufen undbrachte es ihr. Sie hatte sich auf die Chaiselongue gelegt. Er drückte ihr das Handtuchbehutsam gegen die Stirn.»Na, wie fühlt sich das an?«
«Entsetzlich. Ich glaube, ich habe Migräne.«
«Hatten Sie schon mal Migräne?«
«Nein.«
«Dann haben Sie jetzt auch keine. Hören Sie, Tracy — es ist völlig normal, vor einer Geschichte wie dieser Angst zu haben.«
Tracy sprang auf und feuerte das Handtuch in den Raum.»Vor einer Geschichte wie dieser? So etwas hat es noch nie gegeben! Ich spiele gegen einen amtierenden und einen ehemaligen Weltmeister mit einer Schachlektion von Ihnen, und…«
«Mit zwei«, berichtigte Jeff.»Außerdem sind sie ein Naturtalent.«
«Mein Gott, warum habe ich mich von Ihnen dazubreitschlagen lassen?«
«Weil wir einen Haufen Geld machen werden.«
«Ich will aber keinen Haufen Geld machen«, jammerte Tracy.»Ich will, daß dieses Schiff untergeht.«
«Jetzt regen Sie sich nicht auf«, sagte Jeffberuhigend.»Es wird sicher…«
«Es wird sicher eine Katastrophe! Alle Leute auf diesem Schiff werden zuschauen!«
«Genau das wollen wir ja, nicht wahr?«sagte Jeff strahlend.
Jeff hatte alles mit dem Zahlmeister geregelt. Er hatte ihm die Einsätze zur Verwahrung übergeben — zwanzigtausend Dollar in Travellerschecks — und ihn gebeten, am Freitagabend zwei Schachtische aufbauen zu lassen. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und es traten immer wieder Passagiere an Jeff heran, um sich zu erkundigen, obdie Partie tatsächlich stattfinden werde.
«Aber ja«, versicherte Jeff allen Fragern.»Es ist unglaublich. Die arme Miß Whitney glaubt allen Ernstes, daß sie gewinnen kann. Sie wettet sogar darum.«
«Kann ich da mitwetten?«wollte ein Passagier wissen.
«Selbstverständlich. Soviel Geld, wie Sie mögen. Miß Whitneybittet lediglich, daß zehn gegen eins gewettet wird.«
Eine Million gegen eins wäre einleuchtender gewesen. Als der ersteBetrag gesetzt war, öffneten sich die Schleusen. Es schien, daß jeder anBord — die Leute im Maschinenraum und die Schiffsoffiziere eingeschlossen — auf die Partie wetten wollte. Die Einsätzebewegten sich zwischen fünf und fünftausend Dollar. Und gewettet wurde natürlich in allen Fällen auf den Russen und den Rumänen.
Der argwöhnische Zahlmeister erstattete dem KapitänBericht.»So etwas habe ich noch nie erlebt, Sir. Ein Ansturm ohnegleichen. Fast alle Passagiere haben mitgemacht. Ich verwahre etwa zweihunderttausend Dollar Wettgelder.«
Der Kapitänbetrachtete den Zahlmeister mit nachdenklichemBlick.»Sie sagten, daß Miß Whitney simultan gegen Melnikow und Negulescu spielen will?«
«Ja, Sir.«
«Haben Sie nachgeprüft, obdiebeiden Männer wirklich Mihail Negulescu undBoris Melnikow sind?«
«Natürlich, Sir.«
«Es könnte nicht sein, daß sie die Partie mitbetrügerischer Absicht verlieren?«
«Ausgeschlossen. Sie sind so aufgeblasen, daß sie lieber sterben würden, als gegen eine Frau zu verlieren.«
Der Kapitän fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und zog verwirrt die Stirn kraus.»Wissen Sie etwas von Miß Whitney oder diesem Mr. Stevens?«
«Überhaupt nichts, Sir. Nur daß sie getrennt reisen. «Der Kapitän traf seine Entscheidung.»Irgendwie riecht das Ganze nach einer Gaunerei, und normalerweise würde ich es unterbinden. Aber ich verstehe zufällig etwas von Schach, und so weiß ich ganz genau, daß manbei diesem Spiel nicht mogeln kann. Also lassen wir die Partie stattfinden. «Er zog
seinen Geldbeutel aus der Tasche.»Setzen Sie fünfzig Pfund für mich. Auf die Meister.«
Am Freitag um 21 Uhr war der Queen's Room voll von Passagieren und Schiffsoffizieren undBesatzungsmitgliedern, die keinen Dienst hatten. Auf Jeff Stevens' Ersuchen hin waren zwei Räume für die Partiebereitgestellt worden. Der eine Schachtisch stand im Queen's Room, der andere im Salon nebenan. Vorhänge trennten diebeiden Räume.
«Damit die Spieler nicht voneinander abgelenkt werden«, erläuterte Jeff.»Wir würden die Zuschauer auchbitten, bis zum Ende der Partie in dem von ihnen gewählten Raum zubleiben.«
Seile waren um diebeiden Tische gespannt worden, um die Menge zurückzuhalten. Die Zuschauer würden etwas Einmaliges erleben, da waren sie sicher. Sie wußten nichts von der schönen, jungen Amerikanerin. Sie wußten nur, daß es unmöglich war, simultan gegen Negulescu und Melnikow zu spielen und dabei ein Remis gegen einen von ihnen herauszuholen.
Jeff stellte Tracy kurz vorBeginn der Partie denbeiden Meistern vor. Tracy erinnerte an eine griechische Statue mit ihrem langen, fließenden, lindgrünen Chiffon‑Kleid, das eine Schulter frei ließ.
Mihail Negulescubetrachtete sie gründlich.»Sie haben noch kein einziges nationales Turnier verloren, sagt Mr. Stevens. Stimmt das?«
«Ja«, antwortete Tracy wahrheitsgemäß.
Negulescu zuckte die Achseln.»Nie von Ihnen gehört.«
Boris Melnikow war ähnlich ungehobelt.»Ihr Amerikaner wißt nicht, was ihr mit euren Moneten anfangen sollt«, sagte er.»Ich möchte Ihnen im voraus danken. Der Gewinn wird meine Familie sehr glücklich machen.«
Tracys Augen waren von tiefem Jadegrün.»Noch haben Sie
nicht gewonnen, Mr. Melnikow.«
Melnikows Lachen dröhnte durch den Queen's Room.»Meine liebe Dame, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich weiß, wer ichbin. Ichbin der großeBoris Melnikow.«
Es war 22 Uhr. Jeff schaute sich inbeiden Räumen um und sah, daß siebis auf den letzten Platzbesetzt waren.»Fangen wir an«, sagte er.