Выбрать главу

Tracy nahm gegenüber von Melnikow Platz und fragte sich zum hundertsten Mal, wie sie eigentlich in diese Sache hineingeraten war.

«Es ist wirklich nichts dabei«, hatte Jeff ihr versichert.»Vertrauen Sie mir.«

Und sie hatte ihm vertraut. Ich muß nicht ganz zurechnungsfähig gewesen sein, dachte Tracy. Sie spielte gegen den amtierenden und gegen den ehemaligen Schachweltmeister und hatte keinen Schimmer von diesem Spiel — abgesehen von dem, was Jeff ihr in vier Stundenbeigebracht hatte.

Der große Moment war gekommen. Tracy spürte, wie ihr die Knie zitterten. Melnikow wandte sich der erwartungsvollen Menge zu und grinste. Erbefahl einen Steward zu sich.»Bringen Sie mir einen doppelten Cognac.«

«Um allen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen«, hatte Jeff zu Melnikow und Negulescu gesagt,»würde ich vorschlagen, daß Sie, Mr. Melnikow, Weiß spielen und damit den ersten Zug haben und daß Miß Whitney dannbei der Partie mit Mr. Negulescu Weiß spielt und den ersten Zug hat.«

Beide Meister hatten zugestimmt.

Während die Menge in Schweigen verharrte, streckteBoris Melnikow die Hand aus und ließ seinen Damenbauern zwei Felder vorrücken. Ich werde diese Frau nicht nur schlagen. Ich werde sie amBoden zerstören.

Erblickte Tracy an. Siebetrachtete das Schachbrett, nickte und erhobsich, ohne eine von den Figuren zuberühren. Ein

Stewardbat die Menge, beiseite zu treten und Tracy den Weg frei zu machen. Sie schritt in den Salon, wo Mihail Negulescu am zweiten Schachtisch saß. Tracy nahm gegenüber von ihm Platz.

«Na, mein Täubchen? Haben Sie Melnikow schon geschlagen?«Mihail Negulescu lachte schallend über seinen eigenen Witz.

«Ich arbeite daran, Mr. Negulescu«, sagte Tracy ruhig. Sie streckte die Hand aus und ließ ihren Damenbauern zwei Felder vorrücken. Negulescu schaute sie an und grinste. Er wollte sich in einer Stunde massieren lassen, aber er hatte die Absicht, schon lange vorher mit dieser Partie fertig zu sein. Er ließ seinen Damenbauern ebenfalls zwei Felder vorrücken. Tracybetrachtete das Schachbrett. Dann stand sie auf. Ein anderer Stewardbat die Menge, ihr den Weg frei zu machen.

Tracy kehrte in den Queen's Room zurück, setzte sich an den Tisch und machte ihren Zug: schwarzer Damenbauer zwei Felder vor. Sie sah, wie Jeff im Hintergrund fast unmerklich nickte.

Ohne zu zögern, setzteBoris Melnikow den weißenBauern vor seinem Damenläufer ein Feld vor.

Drei Minuten später setzte Tracy an Negulescus Schachtisch ihren weißenBauern vor dem Damenläufer ein Feld vor.

Negulescu zog mit dem Königsbauern.

Tracy erhobsich und kehrte in den Queen's Room zu Melnikow zurück. Sie zog mit dem Königsbauern.

Aha, sie ist also doch kein hoffnungsloser Fall, dachte Melnikow verblüfft. Erbrachte seinen Damenspringer heraus.

Tracybeobachtete seinen Zug, nickte, ging zu Negulescu und wiederholte Melnikows Zug.

Negulescu ließ seinen Königsläufer zwei Felder vorrücken. Tracybegabsich zu Melnikow zurück und wiederholte Negulescus Zug.

Im Laufe der Zeit mußten diebeiden Meister feststellen, daß

sie es mit einerbrillanten Gegnerin zu tun hatten. Wie raffiniert ihre Züge auch sein mochten — diese Amateurin war nie um einen klugen Gegenzug verlegen.

Weil sie in zwei verschiedenen Räumen saßen, hattenBoris Melnikow und Mihail Negulescu keine Ahnung, daß sie in Wirklichkeit gegeneinander spielten. Was Melnikow auch tat, wiederholte Tracybei Negulescu. Und was Negulescu dagegen unternahm, wiederholte siebei Melnikow.

Als die Meister ins Mittelspiel eintraten, waren sie nicht mehrblasiert. Sie kämpften um ihren guten Ruf. Sie schritten unruhig hin und her, während sie über den nächsten Zug nachdachten, rauchten nervös, stießen wilde Qualmwolken aus. Nur Tracy schien völlig gelassen.

Die Partie dauertebereits vier Stunden. Aus denbeiden Räumen war kein einziger Zuschauer abgewandert. Sie harrten alle aus wie gebannt.

Jederbedeutende Schachspieler hat in seinem Hirn Hunderte von Partien gespeichert, die andere Große vor ihm gespielt haben. Und als diese Partie nun langsam dem Endspiel entgegen ging, erkannten Melnikow und Negulescu wechselseitig die Hand des anderen.

Dieses Mistweib, dachte Melnikow, die hatbei Negulescu gelernt.

Und Negulescu dachte: Melnikow hat sie unter seine Fittiche genommen. Der alte Drecksack hat ihr gezeigt, wie er's macht.

Je verbissener sie gegen Tracy kämpften, desto deutlicher merkten sie, daß sie diese Frau einfach nicht schlagen konnten.

In der sechsten Stunde der Partie traten die Meister ins Endspiel ein. Auf denbeiden Schachbrettern standen nur noch je dreiBauern, ein Turm und der König. Keine Seite konnte gewinnen. Melnikow sann lange, lange über die Lage nach. Dann holte er tief Luft und sagte mit erstickter Stimme:»Ichbiete ein Remis an.«

Ein Aufschrei ging durch die Menge, und Tracy erwiderte:»Akzeptiert.«

Sie erhobsich und schritt in den Salon. Als sie Platz nehmen wollte, sagte Negulescubeinah tonlos:»Ichbiete ein Remis an.«

Und wieder ein Aufschrei. Die Menge konnte es nicht fassen, was sie hier miterlebt hatte. Eine Frau war aus dem Nichts aufgetaucht, um in einer Simultanpartie diebeiden größten Schachspieler der Welt außer Gefecht zu setzen.

Jeff erschien an Tracys Seite.»Kommen Sie«, sagte er grinsend,»wir habenbeide einen Drink nötig.«

Als sie gingen, saßenBoris Melnikow und Mihail Negulescu immer noch wie zwei Häufchen Elend auf ihren Stühlen und stierten mit leeremBlick das Schachbrett an. Dann erwachten sie fast gleichzeitig aus der Erstarrung und fegten die Figuren vom Tisch.

Tracy und Jeff saßen in derBar im Oberdeck in einer Nische für zwei.

«Sie waren großartig«, lachte Jeff.»Haben Sie Melnikows Gesicht gesehen? Ich dachte, der kriegt gleich eine Herzattacke.«

«Ich dachte, ich kriege gleich eine Herzattacke«, sagte Tracy.»Wieviel haben wir gewonnen?«

«Etwa zweihunderttausend Dollar. Wir werden das Geld morgen frühbeim Zahlmeister abholen, wenn wir in Southampton anlegen. Wollen wir uns im Speisesaal zum Frühstück treffen?«

«Ja.«

«Ich haue mich jetzt hin. Soll ich Sie zu Ihrer Suitebringen?«

«Ich gehe noch nicht insBett, Jeff. Ichbin zu aufgeregt. Aber lassen Sie sich nicht von mir abhalten.«

«Sie waren einsame Spitze«, sagte Jeff. Er küßte sie leicht auf die Wange.»Gute Nacht, Tracy.«

«Gute Nacht, Jeff.«

Tracy schaute ihm nach. Schlafen gehen? Jetzt? Unmöglich! Es war eine der phantastischsten Nächte ihres Lebens gewesen. Der Russe und der Rumäne waren so eingebildet gewesen, so überheblich, Jeff hatte gesagt:»Vertrauen Sie mir. «Und sie hatte es getan. Jetztbereute sie es nicht mehr. Oh, sie gabsich keinen Illusionen über ihn hin. Er war ein Gauner. Intelligent und amüsant und einfallsreich, und es machte Spaß, mit ihm zusammenzusein. Aber natürlich würde sie sich nie ernsthaft für ihn interessieren.

Auf dem Weg zu seiner Kabinebegegnete Jeff einem der Schiffsoffiziere.

«Das war ja eine tolle Sache, Mr. Stevens. Die Nachricht von der Partie istbereits nach England gefunkt worden. Ich nehme an, daß die Presse Sie und Miß Whitney in Southampton erwarten wird. Sind Sie ihr Manager?«

«Nein, wir haben uns nur zufällig anBord kennengelernt«, sagte Jeff leichthin, aber seine Gedanken überstürzten sich. Wenn man Tracy und ihn miteinander in Verbindungbrachte, würde das Ganze so aussehen wie ein abgekartetes Spiel. Vielleichtbegann dann auch noch die Polizei zu ermitteln. Erbeschloß, das Geld einzusammeln, bevor irgend jemand Verdacht schöpfte.

Jeff schriebeinen kurzenBrief an Tracy.

Habe das Geld abgeholt und erwarte Sie in London zu einem festlichen Frühstück im Savoy. Sie waren einfach fabelhaft. Jeff.

Er steckte denBrief in ein Kuvert und überreichte es einem Steward.»Bitte, sorgen Sie dafür, daß Miß Whitney dieses Schreiben gleich am Morgenbekommt.«