Silvana Luadi stand auf undbetrachtete den größer werdenden Fleck auf ihrem Kleid.»Sei un mascalzone!«schrie sie.»Tieni le tue puttane lontano da me!«
Sie rauschte aus dem Speisewagen. Alle Augen folgten ihr.
«Ach je«, murmelte Tracy.»So ein schönes Kleid. «Sie hätte
den Mann dafür ohrfeigen können, daß er seine Frau gedemütigt hatte. Silvana Luadi verdient ihren Schmuck voll und ganz, dachte Tracy. Fornati soll ihr gefälligst neuen kaufen.
Er seufzte.»Fornati schenkt ihr ein anderes Kleid. Meine Frau müssen Sie einfach ignorieren. Sie ist furchtbar eifersüchtig.«
«Da hat sie sicher auch allen Grund«, sagte Tracy sarkastisch, überspielte es aber mit einem kleinen Lächeln.
Man konnte fast sehen, wie Fornati ein großes Pfauenrad schlug.»Ja, sicher. Die Frauen fliegen auf mich.«
«Das verstehe ich gut«, sagte Tracy scheinheilig. Am liebsten hätte sie schallend gelacht über diesen aufgeblasenen, kurzwüchsigen Mann.
Er langte über den Tisch und faßte Tracys Hand.»Fornati mag Sie«, sagte er.»Fornati mag Sie sehr. Was machen Sieberuflich?«
«Ichbin Anwaltssekretärin. Ich habe mein ganzes Geld für diese Reise gespart. Vielleicht kriege ich irgendwo in Europa einen interessanten Job.«
Seine Glubschaugen tasteten ihren Körper ab.»Kein Problem, das verspreche ich Ihnen. Fornati ist nett zu Leuten, die nett zu ihm sind.«
«Wie reizend von Ihnen«, sagte Tracy scheu.
Er senkte die Stimme.»Vielleicht könnten wir uns darüber später noch in Ihrem Abteil unterhalten?«
«Ich glaube, das geht nicht.«
«Warum nicht?«
«Weil Sie soberühmt sind. Ich nehme an, daß jeder in diesem Zug weiß, wer Sie sind.«
«Natürlich.«
«Und wenn die Leute sehen, daß Sie in mein Abteil kommen… nun, das könnte zu Mißverständnissen Anlaß geben. Wenn Ihr Abteil dagegen in der Nähe von meinem ist…
in welchem sind Sie denn?«
«E 70. «Erblickte sie hoffnungsvoll an.
Tracy seufzte.»Ichbin in einem anderen Wagen. Treffen wir uns doch in Venedig.«
Fornati strahlte.»Gut! Meine Fraubleibt meistens auf ihrem Zimmer, weil sie die Sonne nicht verträgt. Waren Sie schon mal in Venedig?«
«Nein.«
«Dann zeige ich es Ihnen. Und wir fahren nach Torcello. Das ist eine wunderbare kleine Insel. Es gibt da auch ein wunderbares kleines Restaurant mit einem kleinen Hotel dabei…«Seine Augen glitzerten.»Molto privato.«
Tracy lächelte ihn verständnisinnig an.»Das klingt sehr, sehr romantisch. «Nicht mehr der Rede mächtig, schlug sie die Augen nieder.
Fornatibeugte sich vor, drückte ihr die Hand und flüsterte mit feuchter Aussprache:»Sie wissen noch gar nicht, was Romantik ist, mein Engel.«
Eine halbe Stunde später war Tracy wieder in ihrem Abteil.
Der Orientexpreß raste durch die Nacht, während die Reisenden schliefen. Sie hatten ihre Pässe am Abend den Schaffnern gegeben, und die würden die Grenzformalitäten erledigen.
Um 3 Uhr 30 verließ Tracy leise ihr Abteil. Die Zeiteinteilung war hier ganz entscheidend. Der Zug würde um 5 Uhr 21 jenseits der schweizerischen Grenze sein und Lausanne erreichen, und um 9 Uhr 15 sollte er in Mailand eintreffen.
In Pyjama undBademantel, einen Toilettenbeutel in der Hand, lief Tracy den Gang entlang. All ihre Sinne waren angespannt, und der vertraute Nervenkitzelbeschleunigte ihren Puls. Wenn jemand dumme Fragen stellte, würde sie natürlich sagen, sie wolle auf die Toilette, doch esbegegnete ihr keine Menschenseele. Die Schaffner nutzten die frühe
Morgenstunde, um sich ein Schläfchen zu gönnen.
Tracy erreichte das Abteil E 70 ohne Zwischenfälle. Die Tür war abgeschlossen. Tracy öffnete den Toilettenbeutel, entnahm ihm einen Metallgegenstand und eine kleine Spraydose und machte sich an die Arbeit.
Zehn Minuten später war sie wieder in ihrem Abteil, und dreißig Minuten später schlief sie, mit der Andeutung eines Lächelns im frisch gewaschenen Gesicht.
Um 7 Uhr, zwei Stunden vor der Ankunft des Zuges in Mailand, erschallte eine Reihe von spitzen Schreien. Sie drangen aus dem Abteil E 70 und weckten den ganzen Wagen. Reisende steckten den Kopf aus ihren Türen, um zu sehen, was los war. Ein Schaffner kam herbeigeeilt und trat ins Abteil E 70.
Silvana Luadi war dem Zusammenbruch nahe.»Hilfe!«schrie sie.»Hilfe! Mein ganzer Schmuck ist weg! Dieser Zug ist voll von Dieben!«
«Bitteberuhigen Sie sich, Madame«, flehte der Schaffner.»Die anderen Reisenden…«
«Beruhigen?!«Ihre Stimme kletterte noch eine Oktave höher.»Wie können Sie es wagen, mir zu sagen, daß ich michberuhigen soll? Jemand hat meinen Schmuck gestohlen! Er war über eine Million Dollar wert!«
«Wie konnte das passieren?«wollte Alberto Fornati wissen.»Die Tür war abgeschlossen, und ich habe einen leichten Schlaf. Wenn jemand hereingekommen wäre, wäre ich sofort aufgewacht.«
Der Schaffner seufzte. Er wußte nur zu gut, wie das passieren konnte, denn es war schon des öfteren passiert. In der Nacht hatte sich jemand den Flur entlanggeschlichen und durchs Schlüsselloch Äther ins Abteil gesprüht. Die Schlösser waren ein Kinderspiel für jemanden, der sein Handwerk verstand. Dann hatte der Diebdie Tür zugemacht und sichbedient. Und schließlich war er still in sein Abteil
zurückgekehrt, während seine Opfer noch in narkotischem Schlaf lagen. Neu war nur eins an diesem Diebstahl. Sonst wurde so etwas immer erst entdeckt, nachdem der Zug seinenBestimmungsort erreicht hatte — die Diebe hatten also die Chance zu entkommen. Doch in diesem Fall verhielt es sich anders. Seit dem Diebstahl war niemand ausgestiegen. Wasbedeutete, daß der Schmuck noch im Orientexpreß sein mußte.
«Keine Sorge«, versprach der Schaffner den Fornatis.»Sie kriegen Ihre Juwelen wieder. Der Diebist noch im Zug.«
Er eilte zum Telefon, um die Polizei in Mailand zu verständigen.
Als der Orientexpreß im Hauptbahnhof von Mailand einfuhr, standen zwanzig Polizisten und Kriminalbeamte in Zivil auf demBahnsteig. Sie hatten Weisung, keinen Reisenden und kein Gepäck aus dem Zug zu lassen.
Luigi Ricci, der Kommissar, der die Aktion leitete, wurde zum Abteil der Fornatis geführt.
Silvana Luadi hatte sich keineswegsberuhigt. Im Gegenteil.»All meine Juwelen waren in diesem Schmuckkästchen!«schrie sie.»Und kein einziges Stück war versichert!«
Der Kommissar inspizierte das leere Kästchen.»Sind Sie sicher, daß Sie Ihre Juwelen letzte Nacht da hineingelegt haben, Signora?«
«Natürlichbin ich sicher! Ich lege sie jede Nacht da hinein. «Ihre strahlenden Augen, die schon Millionen von anbetungsvollen Fans elektrisiert hatten, schwammen in Tränen, und Kommissar Ricci warbereit, für sie zum Drachentöter zu werden.
Er ging zur Abteiltür, bückte sich und schnupperte am Schlüsselloch. Es roch schwach nach Äther. Ein Raubalso, und Kommissar Ricci hatte die Absicht, den fühllosenBanditen seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Kommissar Ricci richtete sich auf und sagte:»KeineBange,
Signora. Der Schmuck kann nicht aus diesem Zug geschafft worden sein. Wir werden den Diebfinden, und Siebekommen Ihre Juwelen zurück.«
Kommissar Ricci hatte allen Grund, zuversichtlich zu sein. Das Netz, das er ausgeworfen hatte, war so fein, daß der Täter nicht zwischen den Maschen hindurchschlüpfen konnte.
Die Kriminalbeamten geleiteten die Reisenden einzeln in einen mit Seilen abgeteilten Warteraum imBahnhofsgebäude. Es folgten Leibesvisitationen. Die Reisenden — unter ihnen viel Prominenz — waren empört über diese unwürdigeBehandlung.
«Es tut mir leid«, erklärte Kommissar Ricci einem jeden,»aber ein Millionendiebstahl ist eine ernste Sache.«