«Ich werde nun noch kontrollieren, wer von diesen Frauen mit der Gaunerei inBerlin in Zusammenhang gebracht werden könnte«, sagte Inspektor Trignant,»und dann…«Daniel Cooperblickte auf.»Das ist nicht mehr nötig. «Der erste Name auf der Liste war Tracy Whitney.
Nun hatte Interpol endlich etwas Handfestes. Rundschreiben mit der Empfehlung, ein Auge auf Tracy Whitney zu haben, gingen an alle Mitgliederstaaten. In welches Land sie auch einreiste, sie würde von nun an unterBeobachtung stehen.
Tags darauf trafenBilder von Tracy Whitney aus dem Southern Louisiana Penitentiary for Womenbei Interpol in Paris ein.
Daniel Cooper rief J. J. Reynolds unter dessen Privatnummer an. Es klingelte zwölf mal, bevor jemand abnahm.
«Hallo…«
«Ichbrauche ein paar Informationen.«
«Sind Sie das, Cooper? Himmel, Arsch und Zwirn, hier ist es vier Uhr morgens. Ich habe tief…«
«Schicken Sie mir alles, was Sie über Tracy Whitney auftreiben können. Zeitungsausschnitte, Videobänder — alles.«
«Was tut sich dennbei Ihnen in…«
Cooper hatte eingehängt.
Eines Tagesbringe ich den Kerl um, dachte Reynolds.
Zuvor war Daniel Cooper nurbeiläufig an Tracy Whitney interessiert gewesen. Aber nun war sie Gegenstand seines
Auftrags. Er heftete ihre Fotos mit Klebstreifen an die Wände seines kleinen Pariser Hotelzimmers und las alle Zeitungsartikel über sie. Er mietete ein Videogerät und führte sich wieder und wieder die Kassette mit den Ausschnitten aus den Fernsehnachrichten vor, die Tracy nach ihrer Verurteilung und nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zeigten. Cooper saß Stunde um Stunde in seinem abgedunkelten Zimmer undbetrachtete den Film. Sein erster leiser Verdacht verdichtete sich allmählich zur Gewißheit.»Sie sind diese Frauenbande, Miß Whitney«, sagte Daniel Cooper in den Raum hinein. Dann drückte er noch einmal die Rücklauftaste des Videogeräts.
25
Jedes Jahr am ersten Samstag im Juni veranstaltete der Graf de Matigny einen großen Wohltätigkeitsball für ein Kinderkrankenhaus in Paris. Der Eintritt kostete tausend Dollar pro Person, und die High‑Society flog aus der ganzen Welt ein, um an dem Ereignis teilzunehmen.
Das Château de Matigny, am Cap d'Antibes gelegen, gehörte zu den Sehenswürdigkeiten Frankreichs. Der Schloßgarten war gepflegt und wunderschön, und das Château stammte aus dem 15. Jahrhundert. Am Abend des Festes waren der große und der kleineBallsaal voll von elegant gewandeten Gästen und livrierten Dienern, die unablässig Champagner anboten. Für die Hungrigen, die sich nichtbis zum Souper gedulden konnten, gabes ein denkwürdiges kaltesBüffet.
Tracy, die hinreißend aussah in ihrem weißen Spitzenkleid und in ihrem hochgesteckten Haar ein Diamantdiadem trug, tanzte mit ihrem Gastgeber, dem Grafen de Matigny — verwitwet, Endsechziger, klein und mager, mitblassen, zarten Gesichtszügen. Der Wohltätigkeitsball, den der Graf alljährlich für das Kinderkrankenhaus veranstaltet, ist ein abgefeimter Schwindel, hatte Günther Hartog zu Tracy gesagt. Zehn Prozent vom Erlös kriegt das Kinderkrankenhaus, der Rest fließt in die Privatschatulle des noblen Herrn.
«Sie tanzen hervorragend, Herzogin«, sagte der Graf. Tracy lächelte.»Das liegt an meinem Tanzpartner.«»Wie kommt es, daß wir uns nie zuvorbegegnet sind?«»Ich habe die meiste Zeit in Südamerika gelebt«, erklärte Tracy.»Am Ende der Welt — leider.«
«Warum denn das, um Himmels willen?«
«Mein Mannbesitzt einige Minen inBrasilien.«
«Aha. Und ist Ihr Mann heute abend hier?«
«Nein. Er mußte inBrasilienbleiben und sich um die Geschäfte kümmern.«
«Pech für ihn, Glück für mich. «Der Graf schloß den Arm fester um Tracys Taille.»Wir werden, hoffe ich, gute Freunde werden. Ich freue mich schon darauf.«
«Ich mich auch«, hauchte Tracy.
Über die Schulter des Grafen hinweg erblickte sie plötzlich Jeff Stevens. Er war sobraun, als sei er einer Reklame für Sonnencreme entstiegen, und sah geradezu lächerlich fit aus. Er tanzte mit einer schönen, geschmeidigenBrünetten, die ein karminrotes Taftkleid trug und sichbesitzergreifend an ihm festklammerte. Jeff sah Tracy im selben Moment und grinste.
Der Kerl hat allen Grund zum Grinsen, dachte Tracy erbittert. In den vergangenen vierzehn Tagen hatte sie mit aller Sorgfalt zwei Einbrüche durchgeplant. Sie war ins erste Haus eingestiegen und hatte den Safe geöffnet, um ihn gähnend leer zu finden. Jeff Stevens war vor ihr dagewesen. Beim zweiten Mal hatte sie sich über das Grundstück auf das fragliche Anwesen zubewegt und plötzlich das Aufheulen eines Motors gehört. Eine Sekunde darauf hatte sie Jeff erspäht, der mit einem Sportwagen davonbrauste. Er hatte ihr wieder eins ausgewischt. Es war empörend. Und jetzt ist er in dem Haus, in das ich als nächstes einbrechen will, dachte Tracy.
Jeff und seine Partnerin näherten sich, und Jeff sagte lächelnd:»Guten Abend, Graf.«
Der Graf erwiderte das Lächeln.»Ach, Jeff. Guten Abend. Es freut mich sehr, daß Sie kommen konnten.«
«IhrenBall wollte ich mir doch nicht entgehen lassen!«Jeff deutete mit dem Kopf auf die sinnlich wirkende Frau in seinen Armen.»Das ist Miß Wallace. Der Graf de Matigny.«
Der Graf wandte sich Tracy zu.»Herzogin, darf ich Ihnen
Miß Wallace und Mr. Jeff Stevens vorstellen? Die Herzogin de Larosa.«
Jeff hobfragend die Augenbrauen.»Pardon. Ich habe den Namen der Dame nicht verstanden.«
«Larosa«, sagte Tracy gelassen.
«De Larosa… de Larosa…«, Jeffbetrachtete Tracy eingehend.»Der Name kommt mir irgendwiebekannt vor. Ja, natürlich! Ich kenne Ihren Gatten. Ist er hier?«
«Er ist inBrasilien«, antwortete Tracy zähneknirschend.
Jeff lächelte.»Schade. Wir sind früher immer zusammen auf Pirsch gegangen. Bevor er den Jagdunfall hatte.«
«Den Jagdunfall?«fragte der Graf.
«Ja«, bestätigte Jeffbetrübt.»Seine Flinte ist losgegangen — ein dummes Versehen —, und der Schuß hat ihn an einer sehr, sehr empfindlichen Stelle getroffen. «Er wandte sich Tracy zu.»Darf man hoffen, daß er je wieder gesund wird?«
Tracy sagte tonlos:»Ichbin sicher, daß erbald ähnlich gesund ist wie Sie, Mr. Stevens.«
«Wunderbar. Grüßen Sie ihnbitte herzlich von mir, wenn Sie ihn sehen, Herzogin.«
Die Musik machte eine Pause. Der Graf entschuldigte sichbei Tracy:»Verzeihen Sie, meine Liebe, aber ich habe einige Gastgeberpflichten zu erfüllen. «Er drückte ihr die Hand.»Vergessen Sie nicht, daß Sie an meinem Tisch sitzen.«
Als der Graf davonging, sagte Jeff zu seiner Partnerin:»Mein Engel, du hast doch eine Packung Aspirin in deine Umhängetasche gesteckt, nicht? Könntest du mir wohl eins holen? Ich habe Kopfschmerzen, die fürchterlich zu werden drohen.«
«Ach, mein armer Süßer. «Miß Wallace hatte einen anbetenden Ausdruck in den Augen.»Natürlich hole ich dir eins. Deine Süße ist gleich wieder da.«
Tracybeobachtete, wie die Dame enteilte. Dann fragte sie Jeff:»Haben Sie keine Angst, daß Sie zuckerkrank werdenbei
dieser Affäre?«
«Oh, das nehme ichbilligend in Kauf. Weil Miß Wallace so süß ist. Wie geht's Ihnen, Herzogin?«
Tracy lächelte. Nicht Jeffs, sondern der Umstehenden wegen.»Das kann Ihnen doch egal sein, oder?«
«Nein. Es ist mir so wenig egal, daß ich Ihnen einen guten Rat gebe. Versuchen Sie nicht, in dieses Château einzubrechen.«
«Warum nicht? Wollen Sie mir zuvorkommen?«
Jeff nahm Tracybeim Arm und führte sie zu einer einsamen Ecke in der Nähe des Flügels, an dem ein dunkeläugiger junger Mann seelenvolle Meuchelmorde an amerikanischen Schlagernbeging. Nur Tracy konnte Jeffs Stimme über die Musik hinweg hören.»Ich habe etwas geplant, ja«, antwortete er,»aber es ist zu gefährlich.«
«Wirklich?«Tracy hatte allmählich Spaß an dem Gespräch. Es war ihr eine Erleichterung, daß sie sich nicht mehr verstellen mußte.