Diebeiden Männerbetrachteten ihn.
«Möchten Sie Anzeige erstatten, Armand?«fragte Inspektor Dumont.
Schon — aber wie? Was sollte er sagen? Daß erbei dem Versuch, eine Falschgeldoperation zu finanzieren, übers Ohr gehauen worden war? Und was würden seine Geschäftsfreunde mit ihm machen, wenn sie erfuhren, daß er eine halbe Million Dollar von ihrem Geld geklaut und zum Fenster hinausgeworfen hatte? Er hatte plötzlich furchtbare Angst.
«Nein. Ich… ich will keine Anzeige erstatten. «Panik schwang in seiner Stimme mit.
Afrika, dachte Armand Grangier. In Afrika finden sie mich nicht.
Und Daniel Cooper dachte: Nächstes Mal. Nächstes Mal kriege ich sie dran.
27
Es war Tracy, die Günther Hartog ein Treffen auf Mallorca vorschlug. Sie liebte diese Insel. Mallorca gehörte zu den wenigen wirklich malerischen Orten auf Erden.»Außerdem«, sagte Tracy zu Günther,»außerdem war Mallorca früher ein Piratennest. Wir werden uns dort wie zu Hause fühlen.«
«Es empfiehlt sich wohl, daß wir nicht zusammen gesehen werden«, meinte Günther.
«Das deichsle ich schon«, sagte Tracy.
Begonnen hatte es mit einem Anruf von Günther aus London.»Tracy, ich habe etwas ziemlich Ausgefallenes für Sie. Ich glaube, Sie werden es als echte Herausforderungbetrachten.«
Am nächsten Morgen flog Tracy nach Palma, der Hauptstadt von Mallorca. Auf Grund des Rundschreibens von Interpol wurden ihre Abreise ausBiarritz und ihre Ankunft auf Mallorca der dortigen Polizei gemeldet. Als Tracy in einer Suite des Son‑Vida‑Hotels abstieg, wurde ein Team auf sie angesetzt, das sie rund um die Uhr überwachen sollte.
Ernesto Märze, der Polizeichef von Palma de Mallorca, hatte telefonisch mit Inspektor Trignant von Interpol gesprochen.
«Ichbin überzeugt«, sagte Trignant,»daß Tracy Whitney eine Welle von Verbrechen in einer Person ist.«
«Um so schlimmer für sie. Wenn sie hier auf Mallorca eines verübt, wird sie entdecken müssen, wie schnell wir zuschlagen.«
Inspektor Trignant sagte:»Monsieur, auf eines sollte ich Sie vielleicht noch hinweisen.«
«Ja?«
«Sie werdenBesuchbekommen. Einen Amerikaner. Sein Name ist Daniel Cooper.«
Es schien den Kriminalbeamten, die Tracys Spuren folgten, daß sie lediglich Sehenswürdigkeiten abhakte, Strände und Stierkämpfebesuchte und sich in diversen Restaurants das Essen schmecken ließ. Und sie war immer allein.
«Nichts, Commandante«, meldeten die Kriminalbeamten Ernesto Märze.»Sie istbloß als Touristin hier.«
Die Sekretärin des Polizeichefs kam insBüro.»Ein Amerikaner will Sie sprechen, Commandante. Senor Daniel Cooper.«
Märze hatte viele amerikanische Freunde. Er mochte die Amerikaner, und er hatte das Gefühl, daß er auch diesen Daniel Cooper mögen würde.
Aber da irrte er sich gründlich.
«Ihr seid Schwachköpfe. Alle miteinander«, fauchte Daniel Cooper.»Natürlich ist sie nichtbloß als Touristin hier. Sie führt irgend etwas im Schild.«
Märze mußte sich sehrbeherrschen, um nicht ausfällig zu werden.»Senor, Sie haben selbst gesagt, daß Senorita Whitneys Ziele immer spektakulär sind und daß sie gern das Unmögliche versucht. Ich habe alles genau überprüft, Senor Cooper. Es gibt nichts auf Mallorca, das für Senorita Whitneys kriminelle Energie einenbesonderen Anreiz darstellen könnte.«
«Ist sie hier mit jemand zusammengetroffen? Hat sie mit jemand geredet?«
Oh, der überhebliche Ton dieses Fieslings!» Nein.«
«Dann wird sie's noch tun«, knurrte Daniel Cooper.
Und Märze dachte: Jetzt weiß ich endlich, was das ist, der häßliche Amerikaner.
Auf Mallorca gibt es etwa zweihundert Höhlen. Die
aufregendste ist die Cuevas del Drach, die» Drachenhöhle«, in der Nähe von Porto Christo, eine Stunde von Palma entfernt. Sie reicht tief in den Fels hinab, bildet ungeheure Gewölbe mit Stalaktiten und Stalagmiten, in denen es totenstill istbis auf das Rauschen von unterirdischen Flüssen mit grünem, blauem oder weißem Wasser. Die Höhle ist ein Zauberland mit einer Architektur wie aus Elfenbein, eine scheinbar endlose Reihe von Labyrinthen, an einzelnen Punkten von Fackeln erhellt.
Niemand darf die Höhle ohne Führerbetreten. Sie wird am Morgen für das Publikum geöffnet und ist von diesem Moment an voll von Touristen.
Tracy wählte einen Samstag für ihrenBesuch in der Höhle. Da war der Andrang am größten. Hunderte von Touristen aus aller Herren Länder strömten in die unterirdische Welt. Tracy kaufte eine Eintrittskarte und mischte sich unter die Menge. Daniel Cooper und zwei von Ernesto Märzes Leuten gingen ihr nach. Ein Führer geleitete die Touristen schmale Steinpfade entlang, die schlüpfrig waren vom Tropfwasser der Stalaktiten.
Es gabNischen am Weg, in die die Höhlenbesucher treten konnten, um die Kalziumgebilde zubetrachten, die an große Vögel und seltsame Tiere undBäume erinnerten. Teiche von Dunkelheit säumten die schwach erleuchteten Pfade, und in einem von ihnen tauchte Tracy unter.
Daniel Cooper eilte voran, doch sie war nirgendwo zu sehen. Menschenmassen wimmelten die Stufen hinunter, und siebliebunauffindbar. Daniel Cooper hatte keine Ahnung, obsie vor ihm oder hinter ihm war. Irgendwas plant die hier, dachte er. Aber wie? Wo? Und was?
In einer Grotte am tiefsten Punkt der Höhle, dem Großen See gegenüber, befindet sich die Nachbildung eines Amphitheaters. Ein Halbrund von steinernenBänken steht für das Publikumbereit, das kommt, um die Vorstellung zu sehen, die jede Stunde stattfindet. Die Höhlenbesucher nehmen ihre
Plätze in der Dunkelheit ein und warten auf denBeginn der Darbietung.
Tracy stieg zur zehnten Reihe hinauf und gingbis zum zwanzigsten Sitz. Der Mann auf dem einundzwanzigsten Sitz wandte sich ihr zu.»Probleme?«
«Nein, keine, Günther. «Tracy küßte ihn auf die Wange.
Er sagte etwas, und sie mußte sich zu ihmbeugen, damit sie ihn verstand in dem Stimmengewirr, das um sie war.
«Ich habe es für dasBeste gehalten, daß wir nicht zusammen gesehen werden — könnte ja sein, daß Ihnen jemand folgt.«
Tracy schaute sich in der großen, vollen, dämmrigen Höhle um.»Hier sind wir sicher wie in Abrahams Schoß. «Sieblickte Günther neugierig an.»Es ist etwas Wichtiges, nehme ich an?«
«Durchaus. «Er tuschelte ihr ins Ohr.»Ein reicher Kunde von mir möchte ein ganzbestimmtes Gemälde haben. Es handelt sich um einen Goya mit dem Titel Puerto. Wer es für ihnbesorgen kann, dem zahlt er eine halbe Million Dollar inbar.«
Tracy dachte nach.»Wer es für ihnbesorgen kann… Heißt das, daß es auch noch andere versuchen?«
«Offen gestanden: ja. Meiner Meinung nach sind die Erfolgschancen äußerstbegrenzt.«
«Wo ist dasBild?«
«Im Prado in Madrid.«
«Im Prado?«Tracy dachte nur eins, und das war: Unmöglich.
Günther tuschelte ihr wieder ins Ohr.»Es wird viel Einfallsreichtum erfordern. Und darum habe ich an Sie gedacht, meine liebe Tracy.«
«Das schmeichelt mir sehr«, sagte Tracy.»Eine halbe Million Dollar?«
«Genau.«
Die Vorstellung begann. Die Zuschauer verstummten
plötzlich. Lichter fingen an zu glühen, Musik erfüllte die riesige Grotte. Die» Bühne «war der Große See, und dort tauchte nun hinter Stalagmiten eine Gondel auf, die von verborgenen Scheinwerfern angestrahlt wurde. ImBoot saß ein Organist. Er spielte eine Serenade, die übers Wasser hallte. Das Publikumbeobachtete fasziniert, wie diebunten Lichter das Dunkel in einen Regenbogen verwandelten, und dasBoot fuhr langsam über den See und verschwand, während die Musik allmählich verklang.
«Phantastisch«, sagte Günther.»Das allein war die Reise wert.«