«Man hört seltsame Gerüchte«, sagte Jeff.
«Was für Gerüchte?«fragte Tracy.
«Kennen Sie Daniel Cooper? Das ist ein sehr schlauer Detektiv, der für die Versicherungsbranche arbeitet.«
«Nein. Was ist mit dem?«
«Nehmen Sie sich vor ihm in acht. Ich will nicht, daß Ihnen was passiert.«
«Machen Sie sich nur keine Sorgen.«
«Ich mache mir aber welche, Tracy.«
Sie lachte.»Um mich? Warum?«
Er legte seine Hand auf ihre und sagte:»Weil Sie etwas ganzBesonderes sind. Das Leben ist einfach spannender, wenn man Sie in der Nähe hat.«
Es klingt so verdammt überzeugend, dachte Tracy. Wenn ich's nichtbesser wüßte, würde ich ihm glauben.
«Bestellen wir«, sagte Tracy.»Ich komme fast um vor Hunger.«
In den nächsten Tagen erkundeten Jeff und Tracy gemeinsam Madrid. Sie waren nie allein. Zwei von Ramiros Leuten folgten ihnen auf allen ihren Wegen, begleitet von dem seltsamen Amerikaner. Ramiro hatte Cooper gestattet, sich dem Überwachungsteam anzuschließen, um den Kerl endlich los zu sein. Der Amerikaner hatte, gelinde gesagt, einen kleinen Dachschaden. Er glaubte im Ernst, daß die Whitney unter den Augen der spanischen Polizei etwas äußerst Wertvolles stehlen werde. Einfach lächerlich!
Jeff und Tracy speisten in denberühmten Lokalen von Madrid, aber Jeff kannte auch Restaurants, die noch nicht von Touristen entdeckt waren.
Und da wie dort saß Daniel Cooper in sicherem Abstand und war verwirrt. Jeff Stevens gabihm Rätsel auf. Wer war das? Tracys nächstes Opfer? Oder heckten diebeiden zusammen etwas aus?
Cooper wandte sich an Polizeichef Ramiro.»Was wissen Sie von Jeff Stevens?«fragte er.
«Nicht viel. Er hat keine Vorstrafen und ist hier nur als Tourist registriert. Ich nehme an, es handelt sich um eine Zufallsbekanntschaft der Dame.«
Coopers Gespür sagte ihm etwas anderes. Doch er hatte es nicht auf Jeff Stevens abgesehen. Tracy, dachte er. Dich will ich, Tracy.
Tracy und Jeff kehrten am Ende eines langen Abends ins Ritz zurück. Jeffbegleitete Tracy zu ihrer Tür.»Genehmigen wir uns noch einen Schlummertrunkbei Ihnen«, schlug er vor.
Tracy war fast in Versuchung. Aber dann überlegte sie es sich anders. Sie küßte Jeff flüchtig auf die Wange und sagte:»Betrachten Sie mich als Ihre Schwester.«
«Wie stehen Sie zum Inzest?«
Doch Tracy hatte ihre Tür schon zugemacht.
Ein paar Minuten später rief er sie von seinem Zimmer aus an.»Wollen Sie morgen mit mir nach Segovia fahren? Das ist eine wunderhübsche alte Stadt in der Nähe von Madrid.«
«Hört sich gut an. Vielen Dank für den schönen Abend«, sagte Tracy.»Und gute Nacht, Jeff.«
Sie lag noch lange wach. Gedanken stürmten auf sie ein, die sie nicht denken wollte. Es war so lange her, daß sie sich für einen Mann interessiert hatte. Charles hatte sie tief verletzt, und sie wollte nicht wieder verletzt werden. Jeff Stevens war ein amüsanterBegleiter, aber weiter durfte sie es nicht kommen lassen. Es wäre ein leichtes gewesen, sich in ihn zu verlieben. Und unsagbar töricht.
Eine Katastrophe.
Ein Riesenspaß.
Tracy hatte Schwierigkeiten einzuschlafen.
Der Ausflug nach Segovia war rundum gelungen. Jeff hatte ein kleines Auto gemietet, und sie fuhren aus der Stadt hinaus in die herrliche spanische Landschaft, gefolgt von Daniel Cooper und denbeiden Kriminalbeamten in einem Dienstwagen.
Tracy und Jeff trafen kurz vor zwölf in Segovia ein und aßen in einembezaubernden Restaurant an der großen Plaza, im Schatten des zweitausendjährigen Aquädukts, den die Römer gebaut hatten. Danach wanderten sie durch die mittelalterliche Stadt, besuchten die Kathedrale und das Rathaus, und schließlich fuhren sie zum Alcâzar hinauf. Die Aussicht war atemberaubend.
«Wenn wir hier lange genugblieben, würden wir sicher Don Quixote und Sancho Pansa durch die Ebene reiten sehen«, sagte Jeff.
Tracyblickte ihn an.»Sie kämpfen gern gegen Windmühlen, nicht?«
«Kommt ganz darauf an, wie die Windmühlen aussehen«, entgegnete er sanft und näherte sich Tracy ein wenig.
Sie trat vom Rand des Abhangs zurück.»Erzählen Sie mir mehr von Segovia.«
Und der Zauber war gebrochen.
Jeff spielte mitBegeisterung den Fremdenführer, und er kannte sich auf vielen Gebieten aus, sei es Geschichte, Archäologie oder Architektur. Tracy mußte sich immer wieder daran erinnern, daß er ein Gauner war. Trotzdem hatte sie seit Jahren keinen so angenehmen Tag mehr erlebt.
Einer der spanischen Kriminalbeamten, Jose Pereira, sagte übellaunig zu Cooper:»Das einzige, was die stehlen, ist unsere Zeit. Sie sind verliebt, und damit hat sich's. Sehen Sie das denn nicht? Sind Sie wirklich sicher, daß die Frau ein Verbrechen plant?«
«Allerdings«, knurrte Cooper. Seine Reaktionen verblüfften ihn selbst. Er wollte nur eins: Tracy Whitney fangen und strafen, wie sie es verdiente. Sie war nichts weiter als eine Kriminelle und Gegenstand eines Auftrags. Doch jedesmal, wenn ihrBegleiter siebeim Arm nahm, mußte Cooper feststellen, daß er in Wut geriet.
Als Tracy und Jeff wieder in Madrid waren, sagte Jeff:»Wenn Sie nicht zu müde sind, könnten wir gemeinsam zu Abend essen — und danach wüßte ich noch etwas ganz Spezielles.«
«Wunderbar. «Tracy wollte nicht, daß der Tag endete. Ich werde ihn auskostenbis zuletzt. Heute möchte ich auch einmal wie all die anderen Frauen sein.
Sie aßen spät zu Abend, wie es üblich ist in Madrid.
Das» ganz Spezielle «erwies sich als wenig einnehmende, verräucherteBodega, voll von spanischen Arbeitern in Lederjacken, die an derBar und einem Dutzend Tischen dem Alkohol zusprachen. Am Ende des Raumesbefand sich eine kleineBühne, wo zwei Männer auf Gitarren herumklimperten. Tracy und Jeff nahmen an einem kleinen Tisch in der Nähe derBühne Platz.
«Na und?«fragte Tracy einbißchen enttäuscht.
«Warten Sie noch ein paar Minuten«, sagte Jeff.
Und nun entspann sich ein lebhaftes Gespräch.
An einem Tisch in der Nähe der Küche saß Daniel Cooper und überlegte sich, worüber diebeiden so eifrig redeten.
Sie redeten über Flamenco. Denn den gabes hier zu sehen.
DieBühnenbeleuchtung ging an. Tänzer und Tänzerinnen stiegen aufs Podium, und eine von ihnen trat in die Mitte undbegann zu tanzen. Es fing langsam an, aber dann steigerten sich der Rhythmus der Gitarren und das Stampfen der Füße, und aus dem Tanz wurde eine sinnliche Urgewalt. Schneller, immer schneller, und das Publikum schrie Anfeuerungsrufe, ein letztes, mächtiges Crescendo, und der Tanz endete ebenso abrupt wie die Musik. Einen Moment lang stand plötzlich Stille im Raum. Und dannbrach derBeifall los.
«Phantastisch!«rief Tracy.
«Es geht noch weiter«, sagte Jeff.
Eine zweite Frau trat in die Mitte derBühne, eine dunkle kastilische Schönheit, die über den Dingen zu stehen und das Publikum gar nicht wahrzunehmen schien. Die Gitarren spielten einenBolero. Ein Tänzer kam dazu. Die Kastagnettenbegannen zu klappern, Klatschen von Händen und Klacken von Schuhen, und die Körper der Tänzerin und des Tänzers entfernten sich voneinander und näherten sich wieder in einem Taumel der Sehnsucht, bis sie, ohne sich auch nur ein einziges mal zuberühren, einen wilden Liebesakt tanzten, der in einem leidenschaftlichen Höhepunkt gipfelte. Das Publikum
schrie, und Tracy schrie mit. Betreten stellte sie fest, daß sie sexuell erregt war. Sie hatte Angst, Jeff in die Augen zu sehen. Die Luft zwischen ihnen knisterte vor Spannung. Tracyblickte auf den Tisch nieder, auf Jeffs kräftigebraune Hände, und sie fühlte, wie diese Hände ihren Körper liebkosten, und sie legte rasch ihre eigenen Hände in den Schoß, um zu verbergen, daß sie zitterten.