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Auf der Fahrt zum Hotel sprachen Tracy und Jeff kaum ein Wort miteinander. An der Tür zu ihrer Suite drehte sich Tracy um und sagte:»Es war ein wunderschöner…«

Jeffs Lippen waren auf ihren, und sie legte die Arme um ihn und zog ihn an sich.

«Tracy?«

Sie hatte das Ja schon auf der Zunge, und es kostete sie ihre letzte Willenskraft, stattdessen zu sagen:»Es war ein langer Tag, Jeff. Ichbin hundemüde.«

«Oh.«

«Ich glaube, morgenbleibe ich den ganzen Tag auf meinem Zimmer und ruhe mich aus.«

Er antwortete gelassen:»Gute Idee. Wahrscheinlich mache ich das auch.«

Sie nahmen es sichbeide nicht ab.

29

Am nächsten Morgen um zehn stand Tracy in der Schlange vor dem Haupteingang des Prado. Als die Türen geöffnet wurden, kaufte sie eine Eintrittskarte und ließ sich mit der Menge treiben, die in die große Rotunde strömte. Daniel Cooper und Kommissar Pereira folgten ihr in einigem Abstand, und Cooper empfand eine gewisse Erregung. Tracy Whitney war nichtbloß als harmloseBesucherin hier. Was immer sie planen mochte — jetzt ging es los.

Tracy schritt langsam von Saal zu Saal, betrachtete die Gemälde von Rubens, Tizian, Tintoretto, Bosch und El Greco. Die Goyasbefanden sich in einer eigenen Galerie im Untergeschoß.

Tracybemerkte, daß am Eingang zu jedem Raum ein Wärter stand, einen roten Alarmknopf hinter sich. Sie wußte, daß in dem Moment, in dem der Alarmbetätigt wurde, alle Ein- und Ausgänge des Museums hermetisch abgeriegelt wurden — an Flucht war dann nicht mehr zu denken.

Sie saß auf derBank in der Mitte des Saals mit den flämischen Meistern des 18. Jahrhunderts und ließ ihrenBlick über denBoden schweifen. Links und rechts vom Eingang sah sie eine Art Röntgenauge. Das waren wohl die Infrarotstrahlen, diebei Nacht eingestellt wurden. In anderen Museen, die Tracybesucht hatte, waren die Wärter müde und gelangweilt gewesen und hatten kaum auf den endlosen Strom schwatzender Touristen geachtet, doch hier schienen sie hellwach zu sein.

In mehreren Sälen hatten Künstler ihre Staffeleien aufgebaut und kopierten emsig die Werke der Meister. Der Prado erlaubte das, aber die Wärter beobachteten selbst die

Kopisten mit Argusaugen.

Als Tracy die Räume im Obergeschoß durchwandert hatte, ging sie ins Untergeschoß, zu den Goyas.

Pereira sagte zu Cooper:»Bitte, sie schaut sich doch nur dieBilder an. Sie…«

«Da irren Sie sich. «Cooper eilte im Sturmschritt die Treppe hinunter.

Tracy hatte den Eindruck, daß die Goyas noch schärferbewacht wurden als die anderen Gemälde, und das war auch vollauf gerechtfertigt. Unglaublich, was hier an zeitloser Schönheit vereinigt war. Tracy lief vonBild zuBild, fasziniert vom Genie dieses Mannes. Goyas Selbstporträt, auf dem er aussah wie der Gott Pan… Die Familie Karls IV. mit ihren feinen Valeurs… Diebekleidete Maja und die hochberühmte Nackte Maja.

Und da, neben dem Hexensabbat, hing der Puerto. Tracybliebstehen und starrte ihn an. Siebekam Herzklopfen. Im Vordergrund desBildes stand ein Dutzend festlich gewandeter Männer und Frauen vor einer Mauer; im Hintergrund, durch irisierenden Dunst gesehen, lagen Fischerboote an einer Mole; in der Ferne erkannte man einen Leuchtturm. Und am linken unterenBildrandbefand sich Goyas Signatur.

Dies war das Ziel. Eine halbe Million Dollar.

Tracy schaute sich um. Ein Wärter stand am Eingang. Hinter ihm konnte sie durch den langen Korridor, der zu anderen Räumen führte, weitere Wärter sehen. Sie verharrte lange vor dem Puerto undbetrachtete ihn gründlich. Als sie sich zum Gehen wandte, kam eine große Gruppe von Touristen die Treppe herunter. Inmitten des Rudels Jeff Stevens. Tracy drehte den Kopf weg und eilte aus dem Nebeneingang, bevor er sie wahrnehmen konnte.

Das wird ein Wettlauf, Mr. Stevens, und ich werde ihn gewinnen.

«Sie will einBild aus dem Prado stehlen.«

Polizeichef Ramiroblickte Daniel Cooper ungläubig an.»Ach was. Niemand kann einBild aus dem Prado stehlen.«

Cooper sagte dickköpfig:»Sie war den ganzen Vormittag dort.«

«Aus dem Prado ist noch nie einBild gestohlen worden, und es wird auch nie eins gestohlen werden. Und wissen Sie, warum nicht? Weil es unmöglich ist.«

«Sie wird es mit keiner der üblichen Methoden versuchen. Sie müssen dieBelüftung des Museums überwachen lassen — für den Fall eines Angriffs mit Nervengas. Wenn die Wärter im Dienst Kaffee trinken, müssen Sie feststellen lassen, woher sie ihn haben und ober mit Drogen versetzt werden kann. Das Trinkwasser müssen Sie ebenfalls kontrollieren…«

Ramiro war mit seiner Geduld am Ende. Er fand es schlimm genug, daß er diesen ungehobelten und unansehnlichen Amerikaner in der vergangenen Woche hatte ertragen müssen und daß er wertvolle Arbeitskräfte vergeudet hatte, indem er Tracy Whitney rund um die Uhr hatte überwachen lassen (die Polizei war ohnehin schon durch Etatkürzungen gehandikapt!). Doch nun, konfrontiert mit dieser traurigen Gestalt, die ihm sagte, wie er's machen sollte, hielt er es wirklich nicht mehr aus.

«Meiner Meinung nach ist die Frau hier nur auf Urlaub. Ich werde die Observierung abblasen.«

Cooper war wie vom Donner gerührt.»Nein! Das dürfen Sie nicht tun! Tracy Whitney ist…«

Ramiro reckte sich zu seiner vollen Körpergröße.»Sie werden gefälligst Abstand davon nehmen, mir vorzuschreiben, was ich tun und lassen soll, Senor. Und wenn nun nichts weiter anliegt… ichbin ein sehrbeschäftigter Mann.«

Frustriert stand Cooper da.»Dann werde ich eben allein weitermachen.«

Der Polizeichef lächelte.»Um den Prado vor der furchtbaren

Bedrohung zu schützen, die von dieser Frau ausgeht? Großartig, Senor Cooper. Jetzt kann ich nachts wieder ruhig schlafen.«

30

Meiner Meinung nach sind die Erfolgschancen äußerstbegrenzt, hatte Günther Hartog zu Tracy gesagt. Es wird viel Einfallsreichtum erfordern.

Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte Tracy.

Sie schaute aus dem Fenster ihrer Suite auf die Oberlichter des Prado und rekapitulierte alles, was sie über das Museum erfahren hatte. Es hatte von 10bis 18 Uhr geöffnet, und während dieser Zeit war die Alarmanlage abgeschaltet; doch an jedem Eingang und in jedem Saal standen Wärter.

Selbst wenn man es schaffen würde, einBild abzuhängen, dachte Tracy, aus dem Museum schmuggeln könnte man es nie. Pakete und dergleichen wurden am Eingang kontrolliert.

Siebetrachtete das Dach des Prado und sann über die Möglichkeit eines nächtlichen Einbruchs nach. Da gabes mehrere Hindernisse. Tracy hattebeobachtet, wie am Abend die Scheinwerfer angestellt wurden und das Dach mit gleißendem Licht überfluteten — wenn dort oben jemand herumturnte, war er auf Hunderte von Metern zu erkennen. Und falls man wider Erwarten doch unbemerkt in das Gebäude gelangte, mußte man Infrarotstrahlen ausweichen und Nachtwächter überlisten.

Der Prado schien unbezwinglich.

Was führte Jeff im Schild? Tracy war überzeugt, daß er versuchen würde, an den Goya heranzukommen. Ich würde viel darum geben, wenn ich wüßte, was ihm so durch den schlauen Kopf geht. Einer Sache war Tracy sicher: Sie würde es nicht dulden, daß er schneller war als sie. Sie mußte ihm zuvorkommen.

Am nächsten Vormittag ging sie wieder in den Prado.

Bis auf die Gesichter derBesucher hatte sich nichts geändert. Tracy hielt Ausschau nach Jeff, doch er tauchte nicht auf.

Sie dachte: Er hat sich schon etwas einfallen lassen. Der Mistkerl. Sein Charme war nur ein Ablenkungsmanöver. Er wollte michbloß daran hindern, daß ich dasBild vor ihm kriege.

Tracy unterdrückte ihren Zorn undbemühte sich, kühl, klar und logisch zu denken.

Sie ging wieder zum Puerto und ließ denBlick über dieBilder daneben schweifen, die aufmerksamen Wärter, die Maler vor ihren Staffeleien, die Menge, die durch den Raum strömte… Und plötzlichbegann Tracys Herz schneller zu schlagen.