ihm, daß es unmöglich war, einBild aus dem Prado zu stehlen, aber sein Gespür sagte ihm, daß Tracy es trotzdem versuchen würde, und Cooper vertraute auf sein Gespür. Erbewegte sich näher an Tracy heran, achtete jedoch darauf, daß er inmitten derBesucher verborgenblieb. Er hatte die Absicht, Tracy nicht eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
Sie hielt sich in dem Raum auf, der an den angrenzte, in dem der Puerto hing. Durch die offene Tür konnte sie denBuckligen, Cesar Porretta, vor seiner Staffelei sitzen sehen. Er kopierte dieBekleidete Maja, die sich direkt neben dem Puertobefand. Einen guten Meter davon entfernt war ein Wärter postiert. Im selben Raum wie Tracy stand eine Malerin vor ihrer Staffelei und kopierte mit glühendem Eifer einen anderen Goya.
Eine große Gruppe von japanischen Touristen strömte in den Raum und zwitscherte wie ein Schwärm exotischer Vögel. Jetzt! dachte Tracy. Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte, und ihr Herz klopfte so laut, daß sie fürchtete, der Wärter könnte es hören. Sie ging der Touristengruppe aus derBahn undbewegte sich rückwärts auf die Malerin zu. Als ein Japaner sie streifte, stolperte Tracy nach hinten, als habe der Mann sie angerempelt, stieß mit der Künstlerin zusammen und schickte sie samt Leinwand, Staffelei, Palette und Farben zuBoden.
«Oh, das tut mir furchtbar leid!«rief Tracy.»Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
Während sie der verwirrten Künstlerin zur Hand ging, trat Tracy mit den spitzen Absätzen ihrer Schuhe kräftig auf die Farbtuben, die auch prompt aufplatzten. Daniel Cooper, der alles gesehen hatte, eilte näher. Er war sicher, daß Tracy ihren ersten Schritt getan hatte.
Der Wärter rauschte herbei und rief:»Was ist hier los?!«
Der Zwischenfall hatte die Aufmerksamkeit der Touristen erregt, und sie umwogten die gestürzte Malerin und traten auf
die aufgeplatzten Tuben und verschmierten die Farben zu grotesken Mustern. Der Wärter geriet in Panik und schrie:»Sergio! Komm her! Schnell!«
Tracybeobachtete, wie der Wärter aus dem Raum nebenan seinem Kollegen zu Hilfe rannte. Cesar Porretta war mit dem Puerto allein.
Tracy stand inmitten des Tumults. Diebeiden Wärter versuchten vergeblich, die Touristen von dem farbverschmiertenBoden wegzudrängen.
«Hol den Direktor!«rief Sergio.
Der andere Wärter eilte davon, auf die Treppe zu. Heiliger Gott, dachte er, was für eine Schweinerei!
Zwei Minuten später erschien Miguel Machada am Katastrophenort. Er warf einen entsetztenBlick auf denBoden und schrie:»Ein paar Putzfrauen! Tempo! Sie sollen Terpentin mitbringen und Lappen und Wasser zum Aufwischen!«
Sein Assistent sauste los, um dem Wunsch des Direktors zu willfahren.
Machada wandte sich Sergio zu.»Und Sie gehen gefälligst wieder auf Ihren Posten«, raunzte er.
«Ja, Senor.«
Tracybeobachtete, wie sich der Wärter mitbeiden Ellenbogen seinen Weg durch die Mengebahnte — zurück in den Raum, in dem Cesar Porretta arbeitete.
Cooper hatte Tracy tatsächlich nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Er hatte auf ihren nächsten Schritt gewartet. Doch der war ausgeblieben. Sie hatte sich weder einem der Gemälde genähert noch Kontakt zu einem Komplizen aufgenommen. Sie hatte lediglich eine Staffelei mit Farbtuben umgestoßen, aber er war sicher, daß sie es mit Absicht getan hatte. Nur: zu welchem Zweck? Irgendwie hatte Cooper das Gefühl, daß das Geplante — was immer es gewesen sein mochte — bereits geschehen war. Er schaute sich im Raum um. KeinBild fehlte.
Cooper hastete in den nächsten Raum. Dort war niemand außer dem Wärter und einem älteren, buckligen Mann, der dieBekleidete Maja kopierte. Auch hier fehlte keinBild. Aber irgend etwas stimmte trotzdem nicht. Cooper wußte es.
Er eilte zu dembeunruhigten Direktor, mit dem er schon einmal gesprochen hatte, und platzte gleich mit seinem Anliegen heraus:»Ich habe Grund zu der Annahme, daß hier in den letzten Minuten einBild gestohlen worden ist.«
Miguel Machada starrte den Amerikaner mit den fanatischen Augen an.»Was reden Sie da? Wenn das der Fall wäre, hätte einer der Wärter schon längst den Alarmknopf gedrückt.«
«Ich glaube, daß irgendwie eine Fälschung gegen ein Original ausgetauscht worden ist.«
Der Direktor lächelte milde.»Ihre Theorie in Ehren, Senor — sie hat nur einen kleinen Fehler. Diebreite Öffentlichkeit weiß es zwar nicht, aber hinter jedemBild sind Sensoren verborgen. Wenn jemand versuchen wollte, eins von der Wand zu nehmen, was ja wohl nötig wäre, um ein anderes hinzuhängen, würde auf der Stelle der Alarm ausgelöst.«
Daniel Cooper gabsich immer noch nicht zufrieden.»Könnte der Alarm nicht lahmgelegt worden sein?«
«Nein. Wenn ihn jemandblockieren würde, ginge ein anderer Alarm los. Senor, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, einBild aus dem Prado zu stehlen. Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind hundertprozentig.«
Cooper stand da und zitterte vor Frustration. Alles, was der Direktor sagte, war überzeugend. Es schien in der Tat ein Ding der Unmöglichkeit. Aber warum hatte Tracy Whitney dann mit Absicht diese Farbtuben über denBoden verstreut?
Cooper ließ nicht locker.»Tun Sie mir einen Gefallen. Sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen durchs ganze Museum gehen und sich vergewissern, daß wirklich nichts fehlt. Sie erreichen mich in meinem Hotel.«
Mehr konnte Cooper nicht machen.
Um 19 Uhr rief Miguel Machada den Amerikaner an.»Ich habe alles persönlich überprüft, Senor. Jedes Gemälde hängt an seinem Platz. Nichts fehlt.«
Das war's also. Es hatte sich scheinbar nur um einen dummen Zwischenfall gehandelt. Doch Daniel Cooper spürte mit der Witterung des Jägers, daß das verfolgte Wild entkommen war.
Jeff hatte Tracy zum Essen eingeladen. Sie soupierten im Speisesaal des Ritz.
«Sie sehen heute abendbesonders gut aus«, sagte Jeff.
«Danke. Ich fühle mich auch so.«
«Fahren Sie nächste Woche mit mir nachBarcelona, Tracy? Es ist eine faszinierende Stadt. Sie wird Ihnen sicher…«
«Tut mir leid, Jeff. Das geht nicht. Ich reise demnächst aus Spanien ab.«
«Wirklich?«Seine Stimme klang etwasbekümmert.»Wann?«
«In ein paar Tagen.«
«Ach, dabin ich aber schwer enttäuscht.«
Du wirst noch schwerer enttäuscht sein, wenn du erfährst, daß ich den Puerto geklaut habe, dachte Tracy. Sie fragte sich, wie er dasBild hatte stehlen wollen. Das zählte jetzt freilich nicht mehr. Ich habe den schlauen Jeff Stevens ausgetrickst. Und trotzdem empfand Tracy aus irgendeinem unerklärlichen Grund ein leisesBedauern.
Miguel Machada saß in seinemBüro, stärkte sich mit einer Tasse Kaffee undbeglückwünschte sich dazu, was für ein Erfolg derBesuch des Großherzogs gewesen war. Bis auf den dummen Zwischenfall mit den verschmierten Farben war alles genau nach Plan gelaufen. Er war dankbar, daß der Großherzog und seineBegleitung hatten abgelenkt werden können, bis das Chaosbeseitigt war. Der Direktor lächeltebei dem Gedanken an den schwachsinnigen amerikanischen Detektiv, der ihm einzureden versucht hatte, jemand habe einBild aus dem Prado gestohlen. Nicht gestern, nicht heute, nicht morgen, dachte er selbstgefällig.
Seine Sekretärinbetrat dasBüro.»Entschuldigung, Senor. Da ist ein Herr, der Sie sprechen möchte. Er hat mich gebeten, Ihnen dies zu geben.«
Sie reichte dem Direktor ein Schreiben. ImBriefkopf war ein Genfer Museum genannt.
Sehr verehrter Kollege, dieses Schreiben soll Monsieur Henri Rendell, den maßgeblichen Kunstexperten unseres Hauses, bei Ihnen einführen. Monsieur Rendellbereist zur Zeit diebedeutenden Museen der Welt und möchte insbesondere Ihre unvergleichliche Sammlung sehen. Ich wäre Ihnen zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie ihm diese zeigen wollten.
Unterschrieben war derBrief vom Direktor des Genfer Museums.
Früher oder später kommen sie alle zu mir, dachte Machada stolz.