Sie sah nichts. Der Schweiß, der ihr übers Gesicht strömte, machte sieblind. Sie nahm das Tuch von ihrem Hals und wischte sich die Stirn damit. Schonbesser. Nun noch der zweite Strick. Und fertig. Tracy ließ die Plane fallen. Jetztbrauchte sie nur noch zu warten. Ihr Gesicht glühte.
Ich muß aus der Sonne, dachte Tracy. Die Tropensonne kann sehr gefährlich sein.
Sie machte Urlaubin der Karibik. Jeff war angereist, um ihr Diamanten zubringen, doch er war ins Meer gesprungen und untergegangen. Sie streckte die Hand aus, um ihm zu helfen. Aber er entglitt ihrem Griff. Das Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen. Sie kriegte keine Luft mehr.
Tracy hörte, wie die Arbeiter ins Flugzeug kamen.
«Hilfe!«schrie sie.»Bitte, helfen Sie mir.«
Doch ihr Schrei war ein Flüstern, und niemand nahm es wahr.
Die riesigen Containerbegannen aus der Maschine zu rollen.
Tracy war ohnmächtig, als ihre Kiste auf einen Lastwagen vonBrucere & Cie geladen wurde. Auf demBoden des Transportflugzeugsbliebdas Seidentuch zurück, das Jeff ihr geschenkt harte.
Tracy wurde wach vom grellen Licht, das in den Container drang, als jemand die Plane hob. Langsam schlug sie die Augen auf. Sie war in einem Lagerhaus.
Jeff stand vor ihr und lächelte sie an.»Sie haben's geschafft!«sagte er.»Sie sind phänomenal. Das Kästchen, bitte.«
Sie schautebenommen zu, wie er sich das Kästchen schnappte.
«Bisbald. «Er wandte sich zum Gehen, dann hielt er an undblickte auf sie nieder.»Sie sehen schlecht aus, Tracy. Geht's Ihnen nicht gut?«
Sie konnte kaum sprechen.»Jeff, ich…«
Aber er war schon fort.
An das weitere Geschehen konnte sich Tracy nur nebelhaft erinnern. In irgendeinem Nebenraum waren frische Kleider für sie, und eine Frau fragte:»Sind Sie krank? Soll ich einen Arzt holen?«
«Nein, bloß nicht«, flüsterte Tracy.
Am Swissair‑Schalter liegt ein Ticket nach Genf für Siebereit. Verlassen Sie Amsterdam so schnell wie möglich.
Wenn die Polizei von dem Rauberfährt, riegelt sie die ganze Stadt ab. Es kann nichts schiefgehen, aber für den Fall eines Falles haben Sie hier die Adresse und den Schlüssel eines sicheren Hauses in Amsterdam. Es ist unbewohnt.
Der Flughafen. Sie mußte zum Flughafen.»Taxi«, murmelte sie.»Taxi.«
Die Frau zögerte einen Augenblick. Dann zuckte sie die Achseln.»Na schön. Ich rufe eins. Warten Sie hier.«
Tracy schwebte jetzt immer höher, der Sonne entgegen.
«Ihr Taxi ist da«, sagte ein Mann.
Tracy wünschte sich, daß die Leute aufhörten, sie zubelästigen. Sie wollte nur schlafen.
Der Taxifahrer fragte:»Wo soll's hingehen?«
Am Swissair‑Schalter liegt ein Ticket nach Genf für Siebereit…
Tracy fühlte sich zu schwach, um in ein Flugzeug zu steigen. Man würde sie gar nicht in die Maschine lassen. Man würde einen Arzt holen, ihr Fragen stellen. Sie mußte jetzt nur ein paar Minuten schlafen, und dann war alles wieder gut.
Der Taxifahrer wurde ungeduldig.»Wohin, bitte?«Tracy hatte keine andere Wahl. Sie nannte dem Fahrer die Adresse des sicheren Hauses.
Die Polizei verhörte sie wegen der Diamanten, und als sie keine Antwort gab, wurden die Kriminalbeamten wütend und steckten sie in eine Einzelzelle und drehten die Heizung auf, bis es kochend heiß im Raum war. Dann senkten sie die Temperatur, bis die Wände vereisten.
Tracy öffnete die Augen. Sie lag auf einemBett und hatte Schüttelfrost. Neben ihr eine Decke, aber sie war zu schwach, um sie über sich zu ziehen. Ihr Kleid war von Schweiß durchnäßt.
Ich werde hier sterben. Aber wobin ich überhaupt?
Im sicheren Haus. Ichbin im sicheren Haus. Und diese
Worte kamen ihr so komisch vor, daß sie zu lachenbegann, und aus dem Gelächter wurde ein Hustenanfall. Alles war schiefgelaufen. Sie hatte die Stadt nicht verlassen. Inzwischen würde die Polizei ganz Amsterdam nach ihr abkämmen: Die Whitney hatte ein Ticket nach Genf und hat es nichtbenutzt? Dann muß sie noch hier sein.
Tracy fragte sich, wie lang sie schon auf diesemBett lag. Sie wollte auf ihre Uhr schauen, aber sie konnte nichts erkennen. Sie sah alles doppelt. ZweiBetten standen in dem kleinen Raum, zwei Kommoden und zwei Stühle. Sie hörte auf zu zittern und glühte wieder. Sie mußte das Fenster aufreißen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu.
Tracy war erneut im Flugzeug, im Container eingeschlossen, und schrie um Hilfe.
Sie haben's geschafft! Sie sind phänomenal. Das Kästchen, bitte.
Jeff hatte die Diamanten an sich genommen und war vermutlich mit ihrem Anteil auf dem Weg nachBrasilien. Er würde sich mit einer seiner Frauen eine schöne Zeit machen und über sie spotten. Er hatte ihr wieder eins ausgewischt. Sie haßte ihn. Nein, sie haßte ihn nicht. Doch, sie haßte ihn aus tiefster Seele.
Mal war sie im Fieberwahn, mal fast klar im Kopf. Der Pelota‑Ball sauste auf sie zu, und Jeff riß sie zuBoden und hielt sie in seinen Armen, und seine Lippen waren ihren sehr nah, und dann saßen sie im Jockey in Madrid und aßen zu Abend. Sie sind etwas ganzBesonderes, Tracy.
Ichbiete ein Remis an, sagteBoris Melnikow.
Wieder überfiel ein Schüttelfrost Tracy, und sie war in einem Schnellzug, der durch einen dunklen Tunnel raste, und sie wußte, daß sie am Ende des Tunnels sterben würde. Alle Reisenden waren ausgestiegen — bis auf Alberto Fornati. Er war wütend. Erbeutelte sie und schrie sie an.
«Herrgott noch mal!«brüllte er.»Machen Sie die Augen auf!
Sehen Sie mich an!«
Mit unsagbarer Mühe schlug Tracy die Augen auf. Jeff stand an ihremBett. Er war weiß im Gesicht, und seine Stimmebebte. Natürlich träumte sie auch das.
«Wie lang liegen Sie schon hier?«
«Sie sind doch inBrasilien«, murmelte Tracy.
Danach konnte sie sich an nichts mehr erinnern.
Als Inspektor Trignant das Halstuch mit den Initialen TW übergeben wurde, das man auf demBoden des Air‑FranceTransportflugzeugs gefunden hatte, starrte er es geraume Zeit an.
Dann sagte er:»Rufen Sie Daniel Cooper.«
32
Alkmaar, im Nordwesten Hollands an der Nordsee gelegen, wird gern von Touristenbesucht, aber im Osten des Städtchens gibt es ein Viertel, in das sich nur selten Fremde verirrten. Jeff Stevens hatte hier mehrmals Urlaubmit einer KLM‑Stewardeß gemacht, die ihn das Niederländische gelehrt hatte. Er erinnerte sich gut an dieses Viertel — die Leute kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten und waren nicht übermäßig neugierig. Es war ein perfektes Versteck.
Jeff hätte Tracy am liebsten ins Krankenhaus gebracht, doch das war zu gefährlich. Und es war nicht minder riskant, wenn sie in Amsterdamblieb. Er hatte sie in Decken gewickelt und zum Auto getragen. Sie war auf der ganzen Fahrt nach Alkmaarbewußtlos gewesen. Ihr Puls war unregelmäßig, ihr Atem flach.
In Alkmaar stieg Jeff in einem kleinen Gasthof ab. Der Wirtbeobachtete, wie er Tracy nach oben in ihr Zimmer trug.
«Wir sind auf Hochzeitsreise«, erklärte Jeff.»Meine Frau ist krank geworden. Siebraucht Ruhe.«
«Soll ich einen Arzt holen?«
Jeff wußte selbst nicht genau, was er darauf antworten sollte. Dann meinte er:»Ich sage IhnenBescheid, wenn wir einenbrauchen.«