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„Ja, und dann ist es auch aufregend", sagte Karlsson. „Denn man kann so leicht abstürzen. Ich zeige dir ein paar Stellen, wo man jedesmal beinahe abstürzt."

Die Häuser waren so nah aneinandergebaut, daß man von dem einen Dach aufs andere gelangen konnte. Es gab eine Menge kleiner, sonderbarer Erker und Dachstuben und Schornsteine und Winkel und Ecken, so daß es nie eintönig wurde. Und es war wirklich aufregend, genau wie Karlsson gesagt hatte, eben weil man hin und wieder beinahe abstürzte. An der einen Stelle war ein ziemlich breiter Abstand zwischen zwei Häusern — das war eben so eine Stelle, wo Lillebror beinahe abstürzte. Aber Karlsson packte ihn noch schnell, als Lillebror mit dem einen Bein schon über die Dachrinne hinausgeraten war.

„Großartig, was?" sagte Karlsson und zog Lillebror zurück. „So was meinte ich gerade. Mach es noch mal!" Aber Lillebror wollte es nicht noch mal machen. Ihm war es ein bißchen zuviel „beinahe". Es gab mehrere solcher Stellen, wo man sich mit Armen und Beinen anklammern mußte, um nicht hinunterzufallen, und Karlsson wollte, daß Lillebror so viel Spaß wie möglich von dem Ausflug hätte — daher nahm er nicht immer den leichtesten Weg.

„Ich finde, wir sollten ein bißchen Streiche machen", sagte Karlsson. „Ich habe die Angewohnheit, abends immer auf dem Dach umherzuklettern und den Leuten, die hier in all diesen Dachstuben wohnen, einen kleinen Streich zu spielen." „Wie machst du das?" erkundigte sich Lillebror. „Ich spiele den verschiedenen Leuten verschiedene Streiche, natürlich. Niemals denselben Streich zweimal. Der beste Streichemacher der Welt — rate, wer das ist!" Da begann ein kleines Kind ganz in der Nähe zu schreien. Lillebror hatte dies Kindergeschrei schon vorher gehört, aber dann war es einen Augenblick still gewesen. Das Kind hatte sich wohl ein bißchen ausgeruht. Aber jetzt fing es wieder an, und das Weinen kam aus der nächsten Dachstube. Es hörte sich so kläglich und verlassen an.

„Armes Kind", sagte Lillebror. „Es hat vielleicht Bauchweh?"

„Das werden wir bald heraushaben", sagte Karlsson. „Komm mit!"

Sie krochen in der Regenrinne entlang, bis sie genau unterhalb des Dachfensters angekommen waren. Karlsson reckte vorsichtig den Kopf und sah hinein.

„Sehr einsames kleines Kind", sagte er. „Mama und Papa sind wohl weg und treiben sich herum, kann ich mir denken." Das Kind schrie jetzt noch kläglicher.

„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson, zog sich hoch und wälzte sich über das Fenstersims. „Hier kommt Karlsson vom Dach, der beste Kinderaufpasser der Welt."

Lillebror wollte nicht allein draußen stehen bleiben. Er rutschte hinter Karlsson her über das Fenstersims, wenn er auch bange war bei dem Gedanken, was geschehen würde, wenn die Eltern des Kindes unversehens nach Hause kamen. Aber Karlsson war nicht eine Spur bange. Er trat an das Bett, in dem das Kind lag, und kraulte ihm mit einem kurzen dicken Zeigefinger das Kinn.

„Buschi-buschi-buschi", sagte er schalkhaft.

Dann wandte er sich zu Lillebror um.

„So redet man zu kleinen Kindern! Das gefällt ihnen."

Der Säugling hörte vor lauter Verwunderung auf zu schreien, aber sobald er sich ein wenig gefaßt hatte, fing er von neuem an.

„Buschi-buschi-buschi — und dann macht man so", sagte Karlsson.

Er riß das Kind aus dem Bett und schleuderte es mehrmals hintereinander in die Luft. Vielleicht gefiel das dem Kind, denn es lachte plötzlich ein kleines, zahnloses Lächeln. Karlsson war stolz.

„Keine Kunst, Kindern eine Freude zu machen", sagte er. „Der beste Kinderaufpasser der We ..."

Weiter kam er nicht, denn das Kind begann von neuem zu schreien.

„Buschi-buschi-buschi!" schnauzte Karlsson erzürnt und schleuderte das Kind noch heftiger gegen die Decke. „Buschi-buschi-buschi habe ich gesagt, und das meine ich auch!"

Das Kind schrie aus vollem Halse, und Lillebror streckte die Arme nach ihm aus.

„Komm, ich werd' sie mal nehmen", sagte er.

Er mochte kleine Kinder furchtbar gern, und er hatte ziemlich viel mit Mama und Papa hin und her beraten, ob sie ihm nicht eine kleine Schwester besorgen konnten, wenn sie ihm nun durchaus keinen Hund schenken wollten.

Er nahm Karlsson das kleine Bündel ab und hielt es zärtlich in seinen Armen.

„Sei lieb und hör auf zu schreien", sagte er.

Das Kind verstummte und blickte ihn mit einem Paar ganz blanker, ernsthafter Augen an. Dann lachte es von neuem sein zahnloses Lächeln und lallte leise.

„Siehst du, das kommt von meinem Buschi-buschi-bu-schi", sagte Karlsson. „Sowas schlägt nie fehl, das habe ich tausendmal ausprobiert."

„Ich möchte mal wissen, wie das Kind heißt", sagte Lillebror und strich mit dem Zeigefinger über die weiche kleine Wange. „Wie soll sie schon heißen?" sagte Karlsson. „Goldsophie natürlich — wie sie alle heißen."

Lillebror hatte nie von einem Kind gehört, das Goldsophie hieß, aber er dachte, der beste Kinderaufpasser der Welt wisse wohl besser darüber Bescheid, wie Kinder im allgemeinen heißen.

„Kleine Goldsophie", sagte Lillebror, „ich glaube, du hast Hunger."

Denn Goldsophie hatte seinen Zeigefinger gepackt und wollte daran lutschen.

„Hat Goldsophie Hunger? Nun, hier stehen Wurst und Kartoffeln", sagte Karlsson mit einem Blick auf die Kochnische. „Kein Kind braucht zu verhungern, solange Karlsson Wurst und Kartoffeln herbeizuschaffen vermag." Lillebror glaubte nicht, das Goldsophie Wurst und Kartoffeln essen könne.

„So kleine Kinder bekommen sicher Milch", sagte er. „Denkst du, der beste Kinderaufpasser der Welt wüßte nicht, was Kinder bekommen und was nicht?" fragte Karlsson. „Aber von mir aus — ich kann wegfliegen und eine Kuh holen."

Er warf einen wütenden Blick auf das Fenster.

„Wenn es auch schwierig sein wird, das Kuhgestell durch dies kleine, schmale Fenster zu kriegen."

Goldsophie suchte verzweifelt nach Lillebrors Zeigefinger und weinte kläglich. Es klang wirklich so, als habe sie Hunger. Lillebror sah in der Kochnische nach, aber er fand keine Milch. Dort lagen nur drei Wurstscheiben auf einer Platte. „Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson. „Mir fällt eben gerade ein, wo es Milch gibt. Ich selber trinke dort immer mal einen Schluck. Heißa hopsa, ich komme bald wieder." Dann drehte Karlsson an dem Knopf, den er auf dem Bauch hatte, und brummte durch das Fenster von dannen, bevor Lillebror sich auch nur umgesehen hatte. Lillebror bekam fürchterliche Angst. Wenn Karlsson nun stundenlang wegblieb, wie es seine Art war! Und wenn die Eltern des Kindes dann nach Hause kamen und Lillebror mit ihrer Goldsophie im Arm vorfanden!

Aber Lillebror brauchte nicht lange unruhig zu sein. Diesmal hatte Karlsson sich beeilt. Stolz wie ein Gockelhahn brummte er durchs Fenster herein, und in der Hand hielt er so eine Säuglingsflasche.

„Wo hast du denn die her?" fragte Lillebror ganz verblüfft. „Von meiner gewöhnlichen Milchstelle", sagte Karlsson. „Einem Balkon drüben auf Oestermalm." „Hast du sie geklaut}" fragte Lillebror völlig entgeistert. „Ich habe sie geliehen", sagte Karlsson.

„Geliehen — wann willst du sie wieder zurückgeben?" fragte Lillebror.

„Niemals", sagte Karlsson.

Lillebror sah ihn streng an, aber Karlsson holte mit dem Arm aus und sagte:

„Eine kleine Flasche Milch — das stört keinen großen Geist! Die, von denen ich sie geliehen habe, die haben Dril-linee und die stellen haufenweise Flaschen in Eiseimern auf den Balkon raus, und die mögen es gern, wenn ich mir Milch für Goldsophie von ihnen leihe."

Goldsophie streckte ihre kleinen Händchen nach der Flasche aus und schrie vor Hunger.