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Ich ging, auch das schien allen einzuleuchten - allen außer Eumelos -, als Freundin mit Briseis zu den Griechen, mit uns zwei meiner Brüder und fünf Krieger, alle unbewaffnet. Niemand von uns Troern zweifelte, daß einer Troerin, die zu ihrem Vater geht, ein würdiges Geleit gebührt. Aber die beinahe ängstliche Verwirrung dieser Griechen! Kalchas, nachdem er seine Tochter innig und behutsam begrüßt hatte, erklärte mir den befremdlichen Empfang. Niemals würde auch nur einer von ihnen waffenlos ins feindliche Lager gehn. Aber sie hätten in einem solchen Falle unser Wort, rief ich. Kalchas der Seher lächelte. Ein Wort! Stell dich um, Kassandra.

Und je eher, desto besser. Hätte nämlich ich sie nicht erschreckt, sie hätten deine waffenlosen Brüder umgelegt. - Erschreckt - womit. - Mit der Macht des Zaubers, der in einem waffenlosen Krieger bei uns steckt, besonders wenn er eine Frau begleitet. -

Bei uns, Kalchas? - Bei uns Troern, Kassandra. - Zum erstenmal im Leben sah ich einen Mann vom Heimweh ausgebrannt.

Wir standen am Meer, die Wellen leckten unsre Füße. Ich sah die Unmengen von Waffen, Lanzen, Wurfspeere, Schwerter, Schilde hinter dem Holzwall, den die Griechen längs der Küste eilig gegen uns errichtet hatten. Kalchas verstand meinen Blick, erwiderte ihn: Ihr seid verloren. Ich wollte ihn versuchen. Wir könnten Helena dem Menelaos wiedergeben, sagte ich. Wieder lächelte er sein schmerzliches Lächeln: Könntet ihr das wirklich?

Ein Schock: Er wußte. Wußten sie es etwa alle, die da heranstolzierten, mich und Briseis zu begaffen: der nüchterne Menelaos, Odysseus, scharf beobachtend, Agamemnon, der mir gleich zuwider war. Diomedes von Argos, ein baumlanger Kerl.

Sie standen und stierten. So blickt man in Troia nicht auf Frauen, sagte ich in unsrer Sprache, die nur Kalchas hier verstand. - Du sagst es, erwiderte er, unbewegt. Daran gewöhnt euch. - Und hierher holst du Briseis? Zu diesen? - Leben soll sie, sagte Kalchas. Überleben. Mehr nicht. Leben um jeden Preis.

Jetzt wußt ich also, warum Kalchas bei den Griechen war.

Nein, Kalchas, sagte ich, um jeden Preis? Das nicht.

Heut denk ich anders. Ich war so ruhig. Jetzt ist alles in mir aufgerührt. Die schreckliche Frau werde ich um mein Leben bitten. Vor ihr niederwerfen werd ich mich. Klytaimnestra, sperr mich ein, auf ewig, in dein finsterstes Verlies. Gib mir knapp zum Leben. Aber, ich fleh dich an: Schick mir einen Schreiber, oder, besser noch, eine junge Sklavin mit scharfem Gedächtnis und kraftvoller Stimme. Verfüge, daß sie, was sie von mir hört, ihrer Tochter weitersagen darf. Die wieder ihrer Tochter, und so fort. So daß neben dem Strom der Heldenlieder dies winzge Rinnsal, mühsam, jene fernen, vielleicht glücklicheren Menschen, die einst leben werden, auch erreichte.

Und daran könnt ich glauben, auch nur einen Tag?

Erschlag mich, Klytaimnestra. Töte mich. Mach schnell.

In der Zitadelle wird getrunken. Der wüste Lärm, den ich gern überhören wollte, jetzt schwillt er an. So werden, die mich holen, zu allem übrigen auch noch betrunken sein.

Den Held Achill haben wir damals, als wir Briseis ihrem Schicksal übergaben, nicht gesehn. Er war ihr Schicksal, er sah, irgendwo verborgen, uns. Wie mir mein Herz brannte, als ich sie umarmte. Unbewegten Gesichts stand sie an Diomedes gelehnt, den sie zum erstenmal in ihrem Leben sah. Der ungeschlachte Mensch. Ich sah meinen zarten knabenhaften Bruder Troilos vor mir. Briseis! sagte ich leise, - was willst du. Der liebt mich, erwiderte sie mir. Der sagt, er liebt mich. - Ich sah: Er legte seine Hand auf sie, wie man es bei einer Sklavin tut. Die Griechenmänner um uns lachten ihr dröhnendes Männerlachen. Eine abscheuliche Angst ergriff mich vor der Liebe der Griechen.

Aber wo war Achill. Als ich seinen Namen erwähnte, der in mir bohrte, da endlich sah ich Kalchas sein Gesicht verlieren. Da brach die Maske auf, vor mir stand der vertraute Troer, der Freund meiner frühen Kinderjahre, der kluge maßvolle Ratgeber meines Vaters. Er zog mich beiseite, er achtete nicht auf den Argwohn der Griechen, den er ja erweckte, wenn er mir offenbar ein inneres Geheimnis anvertraute, das ihn drückte. Ja, Achill. Der war auch sein Problem. Er und die Griechen, sagte er, behaupteten, er sei einer Göttin Sohn. Ihr Name: Thetis. Nun. Dies wollten wir, unter uns Priestern, dahingestellt sein lassen. Achill verschenke viel Kriegsgerät und Wein dafür, daß die Legende sich verbreite. Dem, der sie zu bezweifeln wage, drohe er mit finsterster Bestrafung - und der Mann, das solle jeder glauben, wisse zu strafen wie kein zweiter. So daß, was er mir jetzt erzähle, leicht sein Tod sein könne. Nämlich: Als der Krieg beginnen sollte - Odysseus und Menelaos sammelten die griechischen Verbündeten, er, Kalchas, war bei den Verhandlungen zugegen und wisse seitdem, was es heißt, ein Grieche sein -, da kamen sie auch zu Achill. Der war, so sagte seine Mutter, Göttin oder nicht, abwesend, weit entfernt, verreist. Odysseus, der die Menschen kennt, und bis zu einem gewissen Punkt auch sich, was selten ist -

Odysseus hatte schnell Verdacht geschöpft, ihn und den Menelaos, den alle Griechen, weil er Helena verloren hatte, insgeheim verachteten, bei der Frau gelassen, war seiner Spürnase gefolgt und fand Achill in einer abgelegnen Kammer mit einem ändern Jüngling auf dem Bett. Und da der erfahrene vorausschauende Odysseus ja sich selbst, indem er sich närrisch stellte, dem Truppenaufgebot hatte entziehn wollen

- wie! Das wüßten wir nicht? Ja was wüßten wir von unsern Feinden überhaupt! -, da er nicht dulden wollte, daß ein anderer davonkam, wo er bluten mußte, habe er also den Achill buchstäblich am Schlafittchen in den Krieg geschleppt. Es mochte sein, daß er das schon bereute. Achill stellte nämlich allen nach: Jünglingen, nach denen ihn wirklich verlangte, und Mädchen, als Beweis, daß er wie alle war. Im Kampf ein Unhold, damit jeder sah, daß er nicht feige war, wußte er nichts mit sich anzufangen nach der Schlacht.

Und diesem hat er, der Seher Kalchas, später seine Tochter überlassen müssen.

Vielleicht hat er sich vorgemacht, nur der Wüsteste könne unter Wüstlingen eine Frau beschützen. Ich sah Briseis wieder, als wir nach Troias Fall durch das Lager der Griechen getrieben wurden. Ich glaubte, alles Grauen, das ein Mensch sehen kann, hätt ich gesehn. Ich weiß, was ich sage: Alles übertraf der Briseis Gesicht.

Daß er, Achill das Vieh, tausend Tode gehabt hätte. Daß ich bei einem jeden dabei gewesen wäre.

Die Erde möge seine Asche ausspein.

Ich bin sehr müde.

Als wir an jenem fernen Tag von den Griechen zurückkamen, ohne Briseis, war ich nach meinem Gefühl sehr lange weggewesen, und sehr, sehr weit. Da lag, hinter ihrer hohen Mauer, mein Troia, die geliebte Stadt. Das Angriffsziel. Die Beute. Ein Gott hatte mir meine Augen vertauscht. Ich sah mit einemmal alle Schwächen, welche den Griechen nützen konnten. Ich schwor mir, nie, niemals sollte einer wie Achill durch unsre Straßen gehn. Mehr Troerin bin ich, bis auf diesen allerletzten Tag, an keine m Tage meines Lebens je gewesen. Den anderen, ich sah es, ging es ebenso wie mir. So kamen wir nach Hause, ans Skäische Tor. Da stellte uns die Wache. Man brachte uns im Torhaus in einen kleinen, finsteren und stinkenden Raum. Leute des Eumelos diktierten einem verlegnen, wichtigtuerischen Schreiber unsre Namen, die wir, auch ich und meine Brüder, die ein jeder kannte, ihnen nennen mußten. Mein Auflachen wurde mir streng verwiesen. Wo wir gewesen seien. So, beim Feind. Und zu welchem Zweck.

Da glaubte ich zu träumen. Die Männer, auch meine Brüder, Söhne des Königs, wurden durchsucht, Tasche um Tasche, Naht für Naht. Dem ersten, der mich anfaßte, hielt ich das blanke Messer auf die Brust, das ich, um dem Feind nicht ausgesetzt zu sein, für alle Fälle bei mir trug. Dort, sagte ich bitter, dort hab ich es nicht gebraucht.