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Sonst sprachen unsre Augen. Daß wir uns liebten. Daß wir Abschied nehmen mußten. Nie mehr, Hektor, Lieber, habe ich ein Mann sein wollen. Oft jenen Mächten, die für das Geschlecht der Menschen einstehn, gedankt, daß ich Frau sein darf. Daß ich an dem Tag, an dem du fallen würdest, wie wir beide wußten, nicht dabeisein mußte, das Schlachtfeld meiden konnte, auf dem Achill erneut sein Wesen trieb, nachdem sein Liebesfreund Patroklos von den Unseren getötet war. Zwiespältige Nachricht! War nicht Polyxena nun gerettet? Achills Sklavin kam mit verzerrten Zügen zu Anchises: Briseis, unsre Briseis, wurde, um ihren bockigen Herrn zu versöhnen, von Agamemnon eigenhändig ihm zurückgebracht. In welcher Verfassung! Das Mädchen weinte. Nein, nun gehe sie nicht mehr zurück. Wir sollten mit ihr machen, was wir wollten. Arisbe gab der lieblichen Oinone einen Wink. Mit ihr, dieser jungen Sklavin, die versteckt sein wollte, begann das ungebundne Leben in den Höhlen. Im nächsten Sommer sah ich sie wieder, ein andrer Mensch. Und auch ich bereit, der andre Mensch zu werden, der sich unter Verzweiflung, Schmerz und Trauer schon so lange in mir regte. Die erste Regung, die ich zuließ, war der Stich von Neid, den ich empfand, als Achills Sklavin, eng umschlungen mit Oinone, ging, ich wußte nicht, wohin. Und ich? Rettet mich auch! hätte ich fast gerufen, aber was mir zu erleben vorbehalten war, hatte ich noch nicht erlebt. Den Tag auf meinem Weidenlager, in kaltem Schweiß, als Hektor, wie ich wußte, auf das Schlachtfeld ging und, wie ich wußte, fiel.

Ich weiß nicht, wie es vor sich ging; nie durfte jemand mir davon sprechen, auch Aineias nicht, der dabei war, doch um den ich mich nicht sorgte. In der tiefsten Tiefe; im innersten Innern, da, wo Leib und Seele noch nicht geschieden sind und wohin kein Wort, auch kein Gedanke reicht, erfuhr ich alles über Hektors Kampf, Verwundung, seinen zähen Widerstand und seinen Tod. Ich war Hektor, das ist nicht zuviel gesagt, weiclass="underline" ich war mit ihm verbunden, viel zu wenig sagte. Achill das Vieh hat ihn, hat mich

erstochen, verstümmelt, am Gehenk des Aias viele Male um die Burg geschleift. Ich war lebend, was der tote Hektor wurde: ein Klumpen rohes Fleisch. Fühllos. Das Geschrei der Mutter, des Vaters Heulen: fern. Ob er den Leichnam von Achill erbitten sollte. Warum denn nicht. Des Vaters nächtlicher Gang, der mich, wäre ich noch ich gewesen, unendlich hätte rühren können. Ein wenig rührte mich, daß er sich an Achill, den er im Schlaf getroffen, nicht vergreifen konnte. Dann stand ich, ungerührt, wieder einmal auf der Mauer, am wohlbekannten Platz neben dem Skäischen Tor. Unten die Waage. Auf der einen Schale eine rohe Masse Fleisch, die einst Hektor, unser Bruder, war und auf der ändern unser ganzes Gold für Rektors Mörder. Dies war der tiefste oder höchste Punkt des Krieges. Meine innre Kälte. Andromache, die leblos auf der Erde lag. Und Polyxenas Gesicht, das hierher paßte, Lust an Selbstzerstörung. Wie sie verächtlich ihre Armringe und Ketten auf den Goldberg warf, dem ein weniges noch zu dem Gewicht von Rektors Leiche fehlte. Wir lernten rasend schnell. Daß man Tote mit Gold aufwiegt, hatten wir nicht gewußt. Doch es war noch andres möglich: Einen toten Mann gegen eine lebendige Frau zu tauschen. Achill schrie es herauf, zu Priamos: He, König! Gib mir deine schöne Tochter Polyxena und behalt dein Gold.

Polyxenas Lachen. Und des Königs Antwort, die er schnell mit Eumelos und Andron abgesprochen: Berede Menelaos, daß er auf Helena verzichtet, und du bekommst die Tochter Polyxena.

Von diesem Tag an träumte ich nicht mehr, ein schlimmes Zeichen. An diesem Tag und in der Nacht, die auf ihn folgte, wurde jenes Teil zerstört, aus dem die Träume kommen, auch die schlimmen. Achill das Vieh hielt außer uns und in uns jeden Zoll besetzt. In jener Nacht, da er die Leiche des Patroklos, seines Liebsten, verbrennen ließ, schlachtete Achill das Vieh als Opfer zwölf Gefangene, die edelsten, zwei Söhne Hekabes und Priamos' darunter. In jener Nacht verließen uns die Götter.

Zwölfmal der Schrei, der eines Tieres. Zwölfmal gruben sich der Mutter Fingernägel tiefer in mein Fleisch. Dann prasselten dreizehn Scheiterhaufen auf, ein ungeheuer großer und zwölf kleinere, die schauerliche rote Glut gegen den schwarzen Himmel.

Dann roch es nach verbranntem Fleisch, der Wind kam von See. Zwölfmal hatte das glühende Eisen in uns jene Stelle ausgebrannt, aus der Schmerz, Liebe, Leben, Träume kommen können. Das namenlose Weiche, das den Mensch zum Menschen macht. Hekabe, als sie von mir abfiel, war eine alte Frau, hohlwangig, weißhaarig.

Andromache ein wimmerndes Bündel in der Ecke. Polyxena scharf und entschlossen wie ein Schwert. Priamos, bar jeden Königtums, ein kranker Greis.

Troia lag dunkel, totenstill. Ein Trupp unsrer Krieger stürmte unter der Führung von Bruder Paris in die Kellerräume der Zitadelle, in denen, schlotternd vor Angst, die griechischen Gefangenen beieinander hockten. Eines der Palastmädchen holte mich. Ich trat in den Keller, der nach Moder, Schweiß und Exkrementen stank. In zitternder Stille standen die Troer und die gefangnen Griechen sich gegenüber, zwischen ihnen der Abgrund eines Schrittes, über dem Abgrund der Troer blanke Messer. Da trat ich, ohne Priesterkleid, in diesen schmalen Zwischenraum, ging ihn, vom heißen Atem der Griechen, von den kalten Messern der Troer gestreift, Schritt für Schritt entlang, von der einen Wand zur ändern. Alles still. Hinter mir sanken die Messer der Troer. Die Griechen weinten. Wie liebte ich meine Landsleute.

Paris vertrat mir den Ausgang. Du also, Priesterin, gestattest meinen Leuten nicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. - Ich sagte: Nein.

Das war beinah das einzge Wort, das mir noch blieb.

Panthoos machte mich darauf aufmerksam, daß Wörter körperliche Folgen haben.

Das Nein habe eine zusammenziehende, das Ja eine lösende Wirkung. Wie kam es nur, warum ließ ich es zu, wieso blieb auch Aineias derart lange aus - Panthoos näherte sich mir wieder. Obwohl wir uns nicht mehr leiden konnten. Ich wurde grundlos zornig, wenn ich ihn bloß sah - schmal, zusammengezogen, mit den Priesterfrauenkleidern, und darauf dieser große Kopf. Immer das zynische Grinsen.

Ich mochte Leute nicht, denen man die Angst anroch. Er vertrug kein Mitleid, in dem Verachtung steckte. Unbemerkt von mir war wieder Frühling. Wir standen unter den Oliven im Apollon-Hain, am Abend. Mir war aufgefallen, daß ich Panthoos nur noch in Tempelnähe sah. Ja, sagte er, jenseits dieser Hecke beginnt die Wildnis. Die Gefahr. - Ich sah ihn mir ausführlich an. Welchem Tier glich er doch jetzt. Einem Iltis, der bedroht wird. Der aus Angst die Lippen von den Zähnen hochzieht, wie im Ekel, und dabei die Eckzähne entblößt. Der angreift, weil er Angst hat. Mir wurde übel. Eine Vorstellung überkam mich, die ich nicht abwehren konnte. Leute mit Knyppeln trieben einen Iltis aus seinem Bau, durch den Tempelbezirk, jagten ihn aus dem Gehege und erschlugen ihn, der pfeifend, zischend starb. Er sah den Schrecken in meinen Augen und warf sich auf mich, begrub mich unter sich, stammelte meinen Namen an meinem Ohr, flehte um Hilfe. Ich gab ihm nach. Kam ihm entgegen. Er versagte. Aus Wut und Enttäuschung zischte er wie das Tier.

Es kam heraus, ich hatte auch ihn in jener Nacht gerettet; er war im Keller unter den gefangnen Griechen. Daß ich die Messer nicht gefürchtet hatte, konnte er mir nicht vergeben. Ihr kriegt mich nicht, zischte er. Die Griechen kriegen mich auch nicht. Er zeigte mir die Kapsel mit dem Pulver. Er behielt recht. Wir nicht, die Griechen nicht - die Amazonen haben ihn bekommen.

Penthesileas Frauen. Aineias, stellte sich jetzt heraus, hatte sie auf sicheren Wegen hergeführt. Er mit seiner weißen Hand ging neben der dunklen Penthesilea mit dem wilden schwarzen Haar, das ihr nach allen Seiten vom Kopf wegstand. Täuschte ich mich, oder hing des Aineias Blick an ihr? Dann kam Myrine, kleines Pferdchen, atemlos, am Ende eines langen Laufes, der kein Ziel mehr hatte. Auch sie ganz auf Penthesilea ausgerichtet. Was wollte die in Troia. Man sagte mir, Aineias sagte mir: Sie sucht den Kampf. Also waren wir so weit, daß ein jeder, der den Kampf sucht, Mann oder Weib, bei uns willkommen ist? Aineias sagte, ja, wir sind so weit. Sehr zurückhaltend beurteilte er die kleine, fest geschlossene Frauenschar. Zurückhaltend lagen wir nebeneinander und sprachen über Penthesilea, es war Irrsinn. Kein Wort brachte ich heraus über die Nacht, da die Griechen die Gefangnen töteten. Aineias fragte nicht. Weiß, weiß leuchtete sein Körper in der Dunkelheit. Er berührte mich.