Unwirklicheres hatte ich nie gesehn. Und am schauerlichsten war die Gestalt des Königs, die, den verfallnen Leib in Purpur eingehüllt, von vier kräftigen jungen Kerlen vor dem Zug getragen wurde.
Es war vorbei. Am Abend, auf der Mauer, hatte ich die Unterhaltung mit Aineias, nach der wir uns trennten. Myrine wich nicht mehr von mir. Sicher ist es eine Täuschung, daß das Licht über Troia in den letzten Tagen fahl war. Fahl die Gesichter. Vage, was wir sagten.
Wir warteten.
Der Zusammenbruch kam schnell. Das Ende dieses Krieges war seines Anfangs wert, schmählicher Betrug. Und meine Troer glaubten, was sie sahn, nicht, was sie wußten. Daß die Griechen abziehn würden! Und dieses Monstrum vor der Mauer stehenließen, das alle Priester der Athene, der das Ding geweiht sein sollte, eilfertig
»Pferd« zu nennen wagten. Also war das Ding ein »Pferd«. Warum so groß? Wer weiß. Ebenso groß wie die Ehrfurcht der geschlagnen Feinde vor Pallas Athene, die unsre Stadt beschützte.
Holt das Pferd herein.
Das ging zu weit, ich traute meinen Ohren nicht. Zuerst versuchte ich es sachlich: Seht ihr nicht, das Pferd ist viel zu groß für jedes unsrer Tore.
So erweitern wir die Mauer.
Jetzt rächte sich, daß sie mich kaum noch kannten. Der Schauder, der an meinem Namen hing, war schon verblaßt. Die Griechen haben ihn mir wieder angehängt. Die Troer lachten über mein Geschrei. Die ist verrückt. Los, brecht die Mauer auf! Nun holt doch schon das Pferd! Heftiger als jeder andre Trieb war ihr Bestreben, dies Siegeszeichen bei sich aufzustellen. So wie die Leute, die in irrem Taumel den Götzen in die Stadt beförderten, sahn keine Sieger aus. Ich fürchtete das schlimmste, nicht, weil ich den Plan der Griechen Zug um Zug durchschaute, sondern weil ich den haltlosen Übermut der Troer sah. Ich schrie, bat, beschwor und redete in Zungen. Zum Vater kam ich nicht, der sei unpäßlich.
Eumelos. Vor dem stand ich wieder. Sah das Gesicht, welches man von Mal zu Mal vergißt und das daher von Dauer ist. Ausdruckslos. Ehern. Unbelehrbar. Selbst wenn er mir glaubte - er würde sich den Troern nicht entgegenstellen. Sich vielleicht.erschlagen lassen. Der überlebte nämlich. Und die Griechen würden ihn gebrauchen. Wohin wir immer kämen, dieser war schon da. Und würde über uns hinweggehn.
Jetzt verstand ich, was der Gott verfügte: Du sprichst die Wahrheit, aber niemand wird dir glauben. Hier stand der Niemand, der mir hätte glauben müssen; der das nicht konnte, weil er gar nichts glaubte. Ein Niemand, der nicht glaubensfähig war.
Da habe ich den Gott Apoll verflucht.
Was in der Nacht geschah, die Griechen werden es erzählen, auf ihre Art. Myrine war die erste. Dann Schlag auf Schlag und Hieb auf Hieb und Stich auf Stich. Blut floß durch unsre Straßen, und der Jammerton, den Troia ausstieß, hat sich in meine Ohren eingegraben, ich habe ihn seitdem bei Tag und Nacht gehört. Nun wird man mich von ihm befrein. Als sie mich aus Angst vor Götterbildern später fragten: ob es denn wahr sei, daß Klein Aias mich an der Athene-Statue vergewaltigt hätte, habe ich geschwiegen. Es war nicht bei der Göttin. Es war im Heldengrab, in dem wir Polyxena zu verstecken suchten, die laut schrie und sang. Wir, ich und Hekabe, stopften ihr den Mund mit Werg. Die Griechen suchten sie, im Namen ihres größten Helden, des Viehs Achill. Und sie haben sie gefunden, weil ihr Freund, der schöne Andron, sie verriet. Gegen seinen Willen, brüllte er, aber was hätte er denn machen sollen, da sie ihn doch mit Tod bedrohten. Laut lachend hat Klein Aias ihn erstochen.
Polyxena war auf einmal ganz bei Sinnen. Töte mich, Schwester, bat sie leise. Ach ich Unglückselige. Den Dolch, den Aineias mir am Ende aufgedrängt, hatte ich hochfahrend weggeworfen. Nicht für mich, für die Schwester hätt ich ihn gebraucht.
Als sie sie wegschleiften, war Klein Aias über mir. Und Hekabe, die sie festhielten, stieß Flüche aus, die ich noch nie gehört hatte. Eine Hündin, schrie Klein Aias, als er mit mir fertig war. Die Königin der Troer eine heulende Hündin.
Ja. So war es.
Und jetzt kommt das Licht.
Als ich mit Aineias auf der Mauer stand, zum letztenmal das Licht betrachten, kam es zwischen uns zum Streit. Daran zu denken, habe ich bis jetzt vermieden. Aineias, der mich nie bedrängte, der mich immer gelten ließ, nichts an mir biegen oder ändern wollte, bestand darauf, daß ich mit ihm ging. Er wollte es mir befehlen. Unsinnig sei es, sich in den Untergang hineinzuwerfen, der nicht aufzuhalten sei. Ich sollte unsre Kinder nehmen - er sagte: unsre Kinder! - und die Stadt verlassen. Ein Trupp von Troern habe sich dazu bereitgefunden, und nicht die schlechtesten. Mit Vorräten versehen und bewaffnet. Und entschlossen, sich durchzuschlagen. Ein neues Troia irgendwo zu gründen. Von vorne anzufangen. Meine Anhänglichkeit in Ehren. Doch nun sei es genug.
Du mißverstehst mich, sagte ich zögernd. Nicht Troias wegen muß ich bleiben, Troia braucht mich nicht. Sondern um unsretwillen. Um deinet- und um meinetwillen.
Aineias. Lieber. Du hast mich verstanden, lange eh du's zugabst. Es war ja klar: Allen, die überlebten, würden die neuen Herren ihr Gesetz diktieren. Die Erde war nicht groß genug, ihnen zu entgehn. Du, Aineias, hattest keine Wahclass="underline" Ein paar hundert Leute mußtest du dem Tod entreißen. Du warst ihr Anführer. Bald, sehr bald wirst du ein Held sein müssen.
Ja! hast du gerufen. Und ? - An deinen Augen sah ich, du hattest mich begriffen.
Einen Helden kann ich nicht lieben. Deine Verwandlung in ein Standbild will ich nicht erleben.
Lieber. Du hast nicht gesagt, das werde dir nicht passieren. Oder: Ich könnte dich davor bewahren. Gegen eine Zeit, die Helden braucht, richten wir nichts aus, das wußtest du so gut wie ich. Du hast den Schlangenring ins Meer geworfen. Du würdest weit, sehr weit gehen müssen, und was vorn ist, würdest du nicht wissen.
Ich bleibe zurück.
Der Schmerz soll uns an uns erinnern. An ihm werden wir uns später, wenn wir uns wiedertreffen, falls es ein Später gibt, erkennen.
Das Licht erlosch. Erlischt.
Sie kommen.
Hier ist es. Diese steinernen Löwen haben sie angeblickt. Im Wechsel des Lichts scheinen sie sich zu rühren.
Die Autorin
Christa Wolf wurde am 18. März 1929 als Tochter eines Kaufmanns in Landsberg/Warthe geboren. Sie studierte in Jena und Leipzig Germanistik, arbeitete als Verlagslektorin und lebt heute als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk ist mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet worden.