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»Bitte? Es war immerhin mein Opili!«

»Richtig. Aber für Marc war Opili garantiert nur ein alter Dackel. Und damit hat er aus Menschensicht auch nicht ganz Unrecht.«

Ich lege meinen Kopf auf die Schnauze und schweige. Bin ich vielleicht beleidigt? Nein. Ich bin traurig. Und gekränkt. Ich lebe offensichtlich mit Leuten zusammen, die sich nicht im Geringsten um mein Gefühlsleben scheren. Eine erschreckende Erkenntnis. Wieso bloß mache ich mir dann umgekehrt so viele Gedanken um sie? Um ihre Krisen, Sorgen und Nöte? Das lasse ich demnächst doch einfach. Jeder ist sich selbst der Nächste. Schon wahr. Und nicht nur der nächste Mensch. In Zukunft gilt das auch für Dackel.

Herr Beck holt tief Luft. »Sieh es doch mal so: Dein Opili war wahrscheinlich schon ganz schön alt. Möglicherweise auch krank, das geht ja oft Hand in Hand. Und vielleicht hatte er am Ende auch gar keine Lust mehr auf sein Hundeleben. Könnte doch sein.«

Ich schüttele entschieden den Kopf.

»Man merkt, dass du Opili nicht kennst. Er war total fit. Ein Klassehund. Immer gut drauf und voller Ideen. Lustlos? Das Wort gab es für ihn gar nicht.«

»Mein lieber Herkules, abgesehen davon, dass niemand immer gut drauf ist, und sei er noch so jung, muss ich dir leider sagen, dass das Älterwerden nicht immer das reine Vergnügen ist. Ich merke es doch an mir selbst. Was war ich früher für ein tollkühner Kater. Und heute? Liege ich gerne mal den ganzen Tag bei Nina auf dem Fensterbrett und lausche andächtig, wenn sie wieder ein paar arme Verwirrte vor dem Wahnsinn rettet. Herkules, glaube mir, das ist nix, wenn man alt wird. Du wirst es schon noch sehen.«

Jetzt bin ich ernsthaft besorgt. Will mir Herr Beck damit etwa sagen, dass er keine Lust mehr hat, mit mir durch die Welt zu streifen? Opili ist die eine Sache – aber wenn Beck nun auch schwächeln sollte … Der ist doch noch gar nicht so alt, oder? Was würde ich bloß ohne ihn machen?

»Geht es dir nicht gut?«, will ich von Herrn Beck wissen.

»Doch, es geht mir gut. Aber ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich renne nicht mehr jeder dummen Maus hinterher. Das ist mir viel zu anstrengend geworden. Und ich brauche mehr Ruhe als früher, mehr Erholung. Gestern war es zum Beispiel so laut in der Wohnung über uns, dass ich tagsüber nicht richtig schlafen konnte. Das merke ich heute. Ich bin ziemlich schlapp.«

»Also geht es dir schlecht?«

»Nein. Wie ich schon sagte: Ich bin nur schlapp.«

Da kommt mir eine Idee. »Aber du würdest mir Bescheid sagen, wenn es dir mal nicht so gut geht, oder?«

Beck guckt erstaunt. »Warum?«

»Na ja, ich dachte, wo ich doch gewissermaßen an der Quelle sitze …«

»An welcher Quelle? Vertickst du illegale Dopingmittel für Katzen?«

»Was?« Wovon redet der Kater?

»Ach, nur ein Scherz. Nein, ich frage mich nur, wie du mir helfen könntest, falls es mir mal schlecht gehen sollte.«

»Du sagst mir Bescheid, und ich informiere Marc. Und der hilft dir dann. Also, bevor die unsensible Nina etwas merkt, nehmen wir die Sache doch lieber selbst in die Hand.«

»He! Nina ist nicht unsensibel! Sie ist eine tolle Frau.«

»Das sind ja ganz neue Töne! Ich dachte immer, du …« Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment übertönt ein ohrenbetäubendes Hämmern alle weiteren Geräusche. Beck rollt sich auf den Rücken und stöhnt.

»O nein! Jetzt geht das schon wieder los. Ich werde noch verrückt.«

»Was ist denn das? Über euch wohnt doch niemand mehr«, wundere ich mich.

»Die Wohnung bleibt aber nicht leer, Herkules. Da ziehen natürlich neue Menschen ein. Und die haben offenbar vor, dort keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Schrecklich!«

Das findet offenbar auch Nina, die in diesem Moment mit den Worten Jetzt reicht es mir! an der offenen Wohnzimmertür vorbeischießt und zur Wohnungstür rennt. Irgendetwas sagt mir, dass wir gleich Zeugen einer handfesten menschlichen Auseinandersetzung werden. Ich krieche unter dem Tisch hervor.

»Mann, wo willst du denn hin, Kumpel?« Herr Beck kann sich offenbar nicht aufraffen, seinem Frauchen zu folgen.

»Na, vielleicht braucht Nina Hilfe? Wenn du Recht hast und die Menschen über euch wirklich keinen Stein auf dem anderen lassen, dann sind sie möglicherweise gewaltbereit. Da ist es immer gut, einen Jagdhund an seiner Seite zu haben. Mit schlappen Katern ist das allerdings so eine Sache. Du bleibst mal besser unter dem Tisch liegen, um dich kann ich mich in so einer Krisensituation nicht auch noch kümmern.«

Herr Beck macht ein Geräusch, das wie PPFFF klingt, und taucht kurz darauf neben mir auf. Gemeinsam laufen wir in den Hausflur. Nina steht schon oben vor der Tür und klingelt Sturm. Als wir nach den letzten Treppenstufen um die Ecke biegen, kommen wir gerade im richtigen Moment: Die Türe öffnet sich, dahinter steht ein junger Mann mit wild in alle Richtungen abstehenden hellen Haaren. Ehe er es sich noch versieht, schreit ihn Nina auch schon an.

»Was fällt Ihnen eigentlich ein, hier stundenlang das ganze Haus zu tyrannisieren? Ich habe Patienten – soll ich jetzt meine Praxis wegen Ihnen dichtmachen?«

Der junge Mann tritt einen Schritt zurück und mustert Nina interessiert von oben bis unten. Dann lächelt er. »Nun mal halblang, Frau Nachbarin. Wir haben kurz nach 15 Uhr. Wenn ich die Hausordnung richtig interpretiere, ist das eine ausgezeichnete Zeit für Renovierungsarbeiten. Und die sind in der Wohnung leider dringend nötig. Also – wenn nicht jetzt, wann dann?«

»Von mir aus gar nicht! Wieso können Sie nicht still und leise die Wände streichen, so wie alle anderen Menschen auch? Warum haben Sie die Wohnung überhaupt angemietet, wenn Sie nun anscheinend jede einzelne Wand rausreißen oder versetzen?«

Nina funkelt den Mann böse an, der grinst ziemlich breit.

»Wissen Sie, ich bin Ästhet. Da kann ich mich mit simplem Wändestreichen leider nicht zufriedengeben. Das werden Sie sicher verstehen – Sie scheinen doch auch Wert auf Äußeres zu legen. Hübsches Kleid übrigens.«

Der Typ grinst – sofern das überhaupt möglich ist – noch breiter, Nina schnaubt förmlich.

»Sie … Sie … unverschämter Kerl! Ich werde mich bei der Hausverwaltung über Sie beschweren! Sie hören noch von mir!« Dann macht Nina auf dem Absatz kehrt und stürmt nach unten. Beck und ich bleiben verdutzt sitzen. Der Mann schaut uns an.

»Oh, seid ihr Teil der Abordnung? Eins muss man ihr lassen, euer Frauchen hat Temperament.« Er nickt. Etwa anerkennend? Dann schließt er die Tür. Beck und ich schauen uns einigermaßen ratlos an.

»Also, mein Lieber – wo war denn jetzt dein Einsatz als schützender Jagdhund? Davon habe ich nicht viel gesehen.«

»Dafür ging das alles viel zu schnell. Wenn er sie angefasst hätte, dann hätte ich natürlich eingegriffen. Aber stattdessen hat er ihr doch ein nettes Kompliment gemacht. Ich verstehe gar nicht, warum Nina sich so darüber aufgeregt hat.«

»Welches nette Kompliment? Habe ich da etwas verpasst? Bin ich nicht nur alt, sondern auch taub?« Herr Beck legt den Kopf schief.

»Na, das mit dem Kleid. Er sagte doch, dass Ninas Kleid hübsch sei.«

»Mann, Herkules – das war doch kein Kompliment! Damit wollte er sie ärgern! Und das hat ja auch einwandfrei funktioniert.«

»Bitte? Wie kann ein Mann denn eine Frau damit ärgern, dass er ihr sagt, dass ihr Kleid hübsch ist? Darüber freuen sich Frauen doch. Das macht gar keinen Sinn.«

»Macht es doch. Denn damit sagt er ihr, dass er sie nicht ernst nimmt.«

»Quatsch. Damit sagt er ihr, dass sie ein hübsches Kleid trägt.« Ob Herr Beck Recht hat mit dem Älterwerden? Er ist ganz offensichtlich schon völlig verwirrt. Tüdelig, wie der alte von Eschersbach sagen würde.