Выбрать главу

Hm. So Zeug eben. Mit Zunge küssen, obwohl man sich nicht kennt. Als mir Beck vor langer Zeit erklärte, dass die Menschen ihre Zunge ab und zu auch für etwas anderes brauchen, als Worte zu formen, war ich sehr überrascht. Ich meine, mir als Hund muss man nicht sagen, wie schön es ist, jemanden abzuschlecken. Das weiß ich. Aber dass Menschen im Grunde ihres Herzens genauso denken, hätte ich nicht gedacht. Bis eben Beck mir das erläuterte.

Allerdings war ich bisher davon ausgegangen, dass Menschen nur solche anderen Menschen abschlecken, die sie wirklich gut kennen. Stattdessen auch Fremde? Das ist nach meiner Kenntnis vom menschlichen Paarungsverhalten nun in der Tat ungewöhnlich. Aus diesem ganzen Kennenlernzeug vor der Paarung wird doch sonst eine Riesensache gemacht. Wie lange das allein gedauert hat, bis Marc endlich Carolin das erste Mal geküsst hat – also, mit einer einzigen Party war es da nicht getan. Nein, der Arme musste sich wochenlang Mühe geben. Alles in allem klingt das so, als sollte man sich die Party oben mal ansehen.

Meine Chance dazu ergibt sich schneller als erwartet. Denn noch bevor ich meinen letzten Gedanken zum Thema Lärm, Küssen und Party richtig zu Ende gedacht habe, kommt Nina aus dem Wohnzimmer. Sehr entschlossen stapft sie zur Wohnungstür – mir ist sofort klar, wo sie hin wilclass="underline" nach oben, sich beschweren. Ich hefte mich also an ihre Fersen, Beck tut es mir gleich. Und Nina ist offenbar so wütend, dass sie gar nicht bemerkt, dass ihr eine kleine Eskorte die Treppe hoch folgt.

Oben angekommen, klingelt sie kurz. Als nicht sofort geöffnet wird, klopft sie sehr entschlossen mit der Faust gegen die Tür. Das gleiche Spiel wie neulich: Die Tür öffnet sich, dahinter der junge Mann mit den hellen Haaren. Die sind heute allerdings nicht so verwuschelt wie beim letzten Mal, sondern ordentlich gekämmt, und auch sonst sieht der Nachbar heute irgendwie gepflegter aus. Sauberes Hemd, keine farbverschmierte Hose. Nicht schlecht!

»Frau Nachbarin! Welche Freude! Sie folgen meiner Einladung und bringen noch zwei weitere kleine Gäste mit?«

Nina, die offensichtlich gerade zum Angriff übergehen wollte, schaut verwirrt. »Kleine Gäste?«

»Na, der Hund und die Katze. Oder gehören die nicht zu Ihnen? Dann hat sich wohl schon auf der Straße rumgesprochen, dass hier gerade das Fest des Jahres steigt.« Er lächelt. Nein. Er grinst.

»Herr … Herr …«

»Alexander«, ergänzt der Hellhaarige.

»Ja. Alexander. Ihre Einladung habe ich tatsächlich aus dem Briefkasten gefischt, aber ich bin keinesfalls hier, um ihr zu folgen. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich eine anstrengende Arbeitswoche hinter mir und muss mich dringend erholen.«

Alexander grinst noch breiter. »Ja, Sie haben Recht. Ich als Student habe natürlich die ganze Woche im Bett gelegen – wenn ich Sie nicht gerade mit meiner Renovierung terrorisiert habe – und Kräfte für meine Party gesammelt. Aber da sehen Sie mal, was für ein ekstatisches Fest Sie verpassen würden, wenn Sie jetzt nicht reinkommen. Bitte!«

Falls das eine erneute Einladung war, geht Nina nicht darauf ein.

»Ich bin wirklich kein Kind von Traurigkeit, aber Ihre Musik ist so laut, dass ich unten nicht einmal meinen eigenen Fernseher verstehe. Bitte drehen Sie den Ton runter.«

»Damit eine schöne Frau wie Sie den Samstagabend vor dem Fernseher verbringt? Nein, das werde ich auf keinen Fall tun. Eher drehe ich den Ton noch lauter.«

»Wenn Sie das machen, rufe ich die Polizei. Mir reicht’s!«

Nina will sich umdrehen, da packt Alexander sie mit beiden Händen an den Schultern und zieht sie zu sich über die Schwelle in die Wohnung. Beck und ich hüpfen schleunigst hinterher, dann drückt Alexander die Tür wieder zu. Nina ist so überrumpelt, dass sie sich nicht wehrt.

»Hey, Simon, bring mir bitte mal zwei Gläser Sekt! Und zwar flott!«

Ich kann nicht sehen, wem Alexander das zugerufen hat, aber das Kommando funktioniert. Zwei Sekunden später drückt Alexander Nina ein Glas in die Hand.

»Auf gute Nachbarschaft. Schön, dass du da bist.«

Ogottogott! So behandelt niemand unsere Nina ungestraft. Der soll sich mal besser warm anziehen. In Erwartung des sicheren Donnerwetters drücke ich mich an die Wand des Flurs und mache mich ganz klein.

Doch es geschieht das Unglaubliche: Kratzbürste Nina kippt diesem Alexander das Glas nicht etwa über den Kopf, sondern leert es in einem Zug. Dann macht sie einen Schritt nach vorne – und küsst ihn!

Ich bin fassungslos. Wir sind noch keine zwei Minuten auf der Party, und schon küsst Nina einen Mann, den sie kaum kennt. Mittlerweile küsst der auch Nina. Also, will sagen, sie küssen sich. Und zwar sehr innig. Meine Güte, die Menschenkenntnis von Herrn Beck ist einfach vollkommen. Teufelskerl!

Jetzt lässt Nina Alexander wieder los und mustert ihn gründlich. »Ich heiße übrigens Nina.«

Der Typ grinst. Nein, diesmal lächelt er. »Ich weiß.«

SIEBZEHN

Du hast was? Du hast deinen Nachbarn aufgerissen? Den Lauten von neulich? Auf seiner Einweihungsparty?« Carolin guckt genau so, wie ich gestern auf der Party geguckt hätte, wenn ich ein Mensch wäre. Nina kichert. »Warst du betrunken, oder was?«

»Nein, sogar ziemlich nüchtern. Apropos – wollen wir nicht von Kaffee auf Prosecco umsteigen? Mir ist gerade so danach.«

Caro nickt ergeben, und Nina winkt der Kellnerin. Die beiden sitzen wieder an ihrem Lieblingstisch im Violetta. Eigentlich wollte Caro mich nur ganz schnell einsammeln, aber nachdem Nina sie mit einem verschwörerischen ich muss dir unbedingt noch etwas erzählen geködert hatte, war ihr Widerstand sofort gebrochen.

»Also, du bist hoch, um dich zu beschweren, und dann?«

»Dann fiel mir auf, dass der Bursche ziemlich gut aussieht und ungefähr fünftausend Jahre vergangen sind, seit ich das letzte Mal Sex hatte.«

Fünftausend Jahre? Ist das lang? Klingt irgendwie so und wäre ja auch kein Wunder. Denn wie ich schon feststellte, hat das normale Paarungsverhalten von Menschen für meinen Geschmack einen geradezu unglaublich langen Vorlauf, siehe Marc und Carolin. Da kann man wahrscheinlich schon mal fünftausend Jahre warten, bis sich was tut. Insofern hat sich Nina hier eindeutig als Frau der Tat gezeigt und sich offenbar das nächste verfügbare Männchen geschnappt. Gefällt mir! Carolin dagegen scheint weniger angetan.

»Und dann bist du gleich mit ihm in die Kiste?«

»Na, was heißt hier gleich? Wir haben uns auf der Party natürlich erst miteinander unterhalten.«

Das allerdings ist die etwas geschönte Variante. Tatsächlich haben Nina und Alexander nach meiner Wahrnehmung die restliche Party knutschend verbracht – und zwar von dem Augenblick, in dem Nina in die Wohnung kam, bis zu dem Moment, in dem die letzten Gäste die Party verließen.

»Ach?«

»Na ja, und als die Party vorbei war, haben wir eben noch ein bisschen weitergefeiert. Im ganz kleinen Kreis.« Sie kichert wieder.

»Also wirklich, Nina!«

»Sag mal, seit wann bist du denn so prüde?«

»Bin ich gar nicht. Aber das ist immerhin dein Nachbar, dem wirst du doch jetzt ständig begegnen.«

»Na und?«

»Ja, ist es was Ernstes?«

»Quatsch. Der Typ ist mindestens sechs, sieben Jahre jünger als ich.«

»Und das ist ein Ausschlusskriterium?«

»Genau. Ich steh nicht auf jüngere Männer. Die sind mir zu unreif.«

»Aber für Sex geht es gerade noch, oder wie?«

»Da muss Jugend ja kein Nachteil sein.«

Nina grinst, Caro starrt sie an.

»Nina, du bist unmöglich. Was ist denn, wenn er sich jetzt in dich verliebt hat?«