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Luisa betrachtet den momentanen Inhalt ihres Bärchenkoffers kritisch. »Weißt du, ich muss mir jetzt echt überlegen, was ich mitnehme. Viele Sachen von mir sind nämlich leider voll Baby. Das merken die anderen doch gleich, wenn ich nicht aufpasse, weißt du?«

Ich lege mich neben den Koffer und versuche zu verstehen, was genau Luisa meint. Voll Baby. Hm. Was könnte das wohl bedeuten? Luisa ist doch längst kein Baby mehr. Und die Sachen, die sie so kritisch beäugt, wären für ein Menschenbaby auch viel zu groß.

»Das hier zum Beispiel«, sie hält mir ein T-Shirt unter die Nase, »Rosa! Und das auch … und hier: schon wieder Rosa. Dabei ist Rosa gar nicht in. Das ist eine Farbe für kleine Mädchen.«

Aha. Nun bin ich sowieso kein Farbspezialist, weil ich die Unterschiede, die Menschen da angeblich sehen, kaum ausmachen kann. Insofern war ich schon erstaunt, als ich lernte, dass Menschen bestimmte Farben für Männer, andere wiederum für Frauen vorgesehen haben. Dass es aber auch Farben für bestimmte Körpergrößen gibt, überrascht mich noch mehr. Welchen Sinn hat das? Luisa legt mehrere Kleidungstücke nebeneinander und guckt nachdenklich.

»Mama kauft sowieso immer Babyklamotten für mich. Und die lässigen Sachen, die Carolin für mich gekauft hat, kann ich bei ihr gar nicht anziehen. Dann ist sie gleich traurig. Also lasse ich das lieber. Aber deshalb denkt sie natürlich, ich finde die Babysachen noch toll, und dann bekomme ich noch mehr davon. Die anderen Mädels haben viel coolere Klamotten.«

Ich merke schon – gelegentlich ist es sehr praktisch, ein Fell zu haben. Ob das nun cool ist oder nicht: Es ist meins, und daran lässt sich auch nichts ändern. Überhaupt scheint eines der großen menschlichen Probleme zu sein, dass es für Menschen so viele Möglichkeiten gibt. Rock oder Hose? Suppe oder Braten? Marc oder Daniel? Kein Wunder, dass sie da manchmal ein bisschen durcheinanderkommen.

Aber wenigstens Luisa scheint sich nun entschlossen zu haben, was sie auf das Schloss mitnehmen will. Jedenfalls packt sie sehr entschieden mehrere Hosen und Hemden in ihren kleinen Koffer und schließt ihn.

»So, fertig! Glaube ich jedenfalls.« Luisa greift nach mir und setzt mich auf ihren Schoß, dann beginnt sie, mich unter dem Maul zu streicheln. Sehr angenehm! »Es ist schon komisch: Ich freue mich riesig – aber ich habe auch ein bisschen Angst. Was, wenn die wieder total blöd zu mir sind? Manchmal habe ich Angst, dass ich in Hamburg nie Freunde finden werde. Ich bin auf alle Fälle sehr froh, dass du mitkommen darfst. Das war eine gute Idee von Carolin. Mit dir zusammen bin ich immer viel mutiger, weißt du?«

Bei so einem Lob fängt mein Schwanz doch fast von alleine an zu wedeln! Luisa kichert.

»Hihi, deine Haare kitzeln an meinen Beinen!«

Richtig. Luisa trägt ja nur ihr Nachthemd. Und jetzt gähnt sie herzhaft.

»Vielleicht hat Papa Recht, und es ist wirklich ziemlich früh. Ich lege mich noch ein bisschen hin. Willst du mit in mein Bett kommen?«

Na, das muss man mich nun garantiert nicht zweimal fragen. Begeistert folge ich Luisa in ihr Kinderzimmer und hüpfe zu ihr ins Bett. Dort lege ich mich zu ihren Füßen und schlafe sofort ein.

»So, dann zeige ich euch jetzt mal, wo ihr schlafen werdet.« Corinna von Eschersbach, die Frau des jungen Grafen, führt uns durch einen Teil des Schlosses, den selbst ich noch nie gesehen habe. Er liegt im Westflügel, also dem Teil, in dem der junge Graf mit seiner Familie wohnt. Von innen sieht es hier eigentlich aus wie in einem normalen Haus, nur größer. Die Decken sind sehr hoch, und wenn ich das nicht schon aus dem anderen Teil des Schlosses gewöhnt wäre, würde es mir vielleicht ein bisschen Angst machen. Den fünf Mädchen scheint es jedenfalls gerade so zu gehen – sie laufen mit weit aufgerissenen Augen und Mündern hinter der Gräfin her und haben sogar aufgehört, miteinander zu tuscheln. Carolin, die auch dabei ist, dreht sich zu den Kindern um.

»Also, das ist schon etwas Tolles, so ein echtes Schloss, oder? Ich muss sagen, dass ich euch ein bisschen beneide. Das nächste Mal komme ich mit, Frau von Eschersbach!«

Die beiden Frauen lachen. Dann öffnet Corinna von Eschersbach eine Tür zu einem großen Raum, der offensichtlich als Schlafsaal dienen soll. Jedenfalls stehen hier mehrere Betten nebeneinander, jeweils getrennt durch ein kleines Schränkchen. Zwei der Betten sehen sogar aus wie ein kleiner Turm – mit einem Bett oben und einem unten. Sehr interessantes Konstrukt.

»Jede von euch kann sich nun ein Bett aussuchen und im Schrank daneben ihre Sachen verstauen. Die Stockbetten teilen sich den etwas größeren Schrank daneben. Ihr werdet euch einig, oder?«

Die Mädchen nicken und beginnen sofort, ihre Sachen auf den Betten zu verteilen. Corinna nickt Carolin zu.

»Hätten Sie noch Lust auf einen Kaffee?«

»Gerne.«

Kurz darauf sitzen wir in einer Küche – allerdings nicht in Emilias Reich, der großen Schlossküche im Erdgeschoss, sondern in einer viel kleineren, die mich stark an die Küche in Marcs Wohnung erinnert. Corinna von Eschersbach gießt Carolin einen großen Becher mit Kaffee und Milch ein.

»Ich hoffe, dass die Mädchen am Sonntag auch wirklich zufrieden sind. Es ist schließlich das erste Mal, dass ich so etwas mache – obwohl ich schon länger Lust dazu hatte. Mein Schwiegervater hat sich bisher immer gegen die Idee gewehrt, aber mit Fürsprache von Herrn Dr. Wagner hat es diesmal geklappt. Also, drücken Sie uns die Daumen, dass es schön für die Kinder wird.«

»Ach, bestimmt wird es das, da habe ich gar keine Zweifel! Ponys, ein echtes Schloss – was soll da schiefgehen?«

»Sie haben Recht. Ich habe mir auch schon ein paar schöne Dinge überlegt, die wir an diesem Wochenende unternehmen werden. Um den Reitunterricht mache ich mir sowieso keine Sorgen, schließlich bin ich ausgebildete Reitlehrerin.«

»Na also – das wird bestimmt toll. Aber noch eine ganz andere Frage: Ist es in Ordnung, wenn Herkules bei Luisa schläft? Ich fand es sehr nett, dass sie ihn überhaupt mitnehmen darf. Aber wenn das mit dem Schlafen ein Problem ist, habe ich dafür Verständnis. Wissen Sie, Luisa hatte es in den letzten Monaten nicht leicht. Sie ist gerade erst von München nach Hamburg gezogen, und ich habe das Gefühl, dass sie sich mit Herkules zusammen etwas sicherer fühlt.«

»Natürlich, das verstehe ich. Und solange Herkules stubenrein ist und hier nicht die Vorhänge anknabbert, darf er gerne bei den Mädchen bleiben.« Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Becher und mustert Carolin neugierig. »Luisa ist nicht Ihre gemeinsame Tochter, oder?«

Caro schüttelt den Kopf. »Nein. Luisa ist Marcs Kind aus erster Ehe. Aber wir wohnen seit ein paar Wochen zusammen, und ich mag das Mädchen sehr gerne.«

»Das merkt man. Und es scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen.«

»Ja. Jedenfalls hoffe ich das. Trotzdem ist es für Luisa natürlich nicht einfach. Im Grunde ihres Herzens wünscht sie sich bestimmt, dass ihre Eltern wieder ein Paar wären.«

Corinna von Eschersbach nickt. »Tja, Patchwork ist oftmals schwierig. Ich weiß, wovon ich rede. Meine Mutter hat nach der Trennung von meinem Vater auch noch einmal geheiratet. Die erste Zeit war es nicht leicht. Aber ich kann Sie beruhigen – heute verstehen wir uns alle gut, und ich habe auch sehr schöne Erinnerungen an meine Kindheit. Und übrigens«, sie beugt sich zu mir herunter und streicht mir über den Kopf, »ist dafür unter anderem ein Artgenosse von Herkules verantwortlich. Apropos Herkules – heißt der nicht Carl-Leopold? Oder haben Sie ihn umgetauft?«

»Oh, das ist eine längere Geschichte. Aber ich erzähle sie immer wieder gern!«