Выбрать главу

Brannigan murmelte etwas, das der Portier vor dem schmiedeeisernen Eingangstor zum Glück nicht mitbekam und drehte sich zu dem blauweißen VW-Bus um, der nur wenige Meter entfernt am Straßenrand stand. In seinem Laderaum, wo zwei Abhörspezialisten momentan alle Hände voll zu tun hatten, befanden sich gleich drei Peilsender auf einmal, Ortungsgeräte und mehrere Mikrofone, mit deren Hilfe man halb Berlin hätte bespitzeln können. Trotzdem war der Funkkontakt im Verlauf der letzten halben Stunde immer wieder abgerissen, zuletzt vor wenigen Minuten. Brannigan verzog das Gesicht. Von dem Schnickschnack, mit dem diese Klapperkiste vollgepfropft war, hielt er nicht gerade viel, fast so wenig wie von den beiden Milchbubis, die mehrere Stunden gebraucht hatten, um den Zarewitsch zu lokalisieren. Auf diesen neumodischen Firlefanz konnte man sich wirklich nicht verlassen, vielleicht war gerade das der Grund, weshalb sich sein Unbehagen beim Betreten des weitläufigen Anwesens noch verstärkte. Irgendwie hatte er das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden, und wenn es etwas gab, auf das er sich verlassen konnte, dann war es sein Instinkt.

»Womit kann ich dienen, der Herr?«

Welch eine Frage. Nicht gerade bei bester Laune, blitzte Brannigan den Portier, der ihn seit geraumer Zeit beäugt hatte, mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. Geschniegelte Lackaffen wie ihn hatte er gefressen, beileibe nicht erst seit heute. »Mit gar nichts!«, gab er patzig zurück, nicht willens, sich auf irgendwelche Diskussion einzulassen, zückte seine Dienstmarke und hielt sie dem Graubart undefinierbaren Alters vors Gesicht. »Noch Fragen?«

»Bitte, der Herr.«

Na also, warum nicht gleich. Ohne einen Blick auf die Nobelkarossen, piekfein gekleideten Gäste und wie aus dem Ei gepellten Pagen vor dem Haupteingang zu verschwenden, durchquerte Brannigan den ausladenden Portikus, ließ den Pagen, der ihm die Tür aufhielt, einfach links liegen und begab sich schnurstracks zur Rezeption. Und das ausgerechnet ihm, einem Zeitgenossen, der keinerlei Wert auf sein Äußeres und die Gesellschaft von geschniegelten, auf Hochglanz gebürsteten Pavianen legte. Brannigan kochte vor Wut. Auf die Idee, ihn in einen solchen Schuppen zu locken, hatte auch nur der Zarewitsch kommen können. So er denn überhaupt hier abgestiegen war.

Ein Befürchtung, die sich umgehend zu bestätigen schien. »Bedaure, der Herr«, gab sich der Empfangschef, ein aufgetakeltes Fossil mit Kaiser-Wilhelm-Bart, überaus zugeknöpft, nachdem Brannigan sein Anliegen vorgetragen hatte. »Aus Gründen der Diskretion sind wir nicht befugt, Auskünfte über unsere Gäste zu erteilen.«

Getreu seinem Naturell, nicht lange um den heißen Brei herumzureden, holte Brannigan kurz Luft, zückte seine Dienstmarke und knallte sie so heftig auf den Tresen, dass sein Gegenüber vor Schreck erbleichte. »Apropos Diskretion –«, fuhr er den Empfangschef an, wobei er der Versuchung, ihn am Schlafittchen zu packen, nur mit Mühe widerstehen konnte, »alles, worüber wir gesprochen haben, bleibt selbstverständlich unter uns. Andernfalls kriegen Sie es mit mir zu tun. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, der Herr

Ja, hatte er. Auf einmal wie ausgewechselt, begab sich der Empfangschef auf die Suche nach dem Tarnnamen, den Brannigan ihm genannt hatte, und durchforstete in Windeseile das Gästebuch. Ohne Erfolg.

»Komisch.« Brannigan stutzte. Vorausgesetzt, die beiden Milchbubis vor der Tür hatten keinen Mist gebaut, musste der Zarewitsch in diesem Nobelschuppen abgestiegen sein. »Und was ist mit Kuragin?«, hakte er kurze Zeit später nach und wurde das Gefühl nicht los, wieder einmal mehr als nötig preisgegeben zu haben. »Juri Andrejewitsch Kuragin?«

»Russe?«

»So was in der Art.« Brannigan lehnte sich über den Tresen und funkelte den Empfangschef wie ein sprungbereiter Dobermann an. »Besser, Sie vergessen den Namen wieder. Und zwar gleich!«

Das wirkte. Innerhalb von Sekunden, die Brannigan wie Minuten vorkamen, deutete der Finger des Gegenüber auf den Namen, nach dem er auf der Suche war. Kuragin. Juri Andrejewitsch Kuragin. Brannigan war wie vor den Kopf gestoßen. An Dreistigkeit war die Masche, auf die der Zarewitsch verfallen war, bestimmt nicht zu überbieten.

»Zimmer 215 – die Fürstensuite«, hörte Brannigan den Empfangschef sagen, bevor er sich abwandte, den Blick durch die Lobby schweifen ließ und sich eiligen Schrittes zum Fahrstuhl begab. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

*

Was daraufhin geschah, ereignete sich genau so, wie Brannigan es befürchtet hatte. Kaum hatte er an die Tür von Zimmer 215 geklopft, verstärkte sich seine Befürchtung, dass der Vogel bereits ausgeflogen war. Niemand antwortete ihm, woraufhin er die Tür aufstieß, in Deckung ging und so lange wartete, bis sich etwas rührte. Dass dieser Fall nicht eintrat, war allerdings keine große Überraschung für ihn. Dank seiner profunden Kenntnisse war der Zarewitsch mittlerweile mit sämtlichen Tricks, Kniffen und Winkelzügen vertraut, mit deren Hilfe man allzu hartnäckige Verfolger an der Nase herumführen konnte.

Auch und gerade dann, wenn es sich um den einstigen Lehrmeister handelte.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ dieser seine Waffe wieder unter dem Jackett verschwinden und einen Fluch vom Stapel, der das größte Raubein zum Erröten gebracht hätte. Zählte das Ambiente, in dem er sich bewegte, doch zum Feinsten, was es derzeit in Berlin gab. Fenster mit Blick auf den Grunewald, scharlachrote Tapeten, Rokoko-Spiegel, Chaiselongue, Kronleuchter aus venezianischem Glas und kein Quadratzentimeter Boden, über dem nicht ein sündhaft teurer Perserteppich oder Läufer ausgebreitet war.

Nicht zu vergessen der Aktenkoffer, der auf einem aus Mahagoni gefertigten Schreibsekretär stand und sich bei näherem Hinsehen als leer erwies.

Brannigan konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Während all der Jahre, in denen er mit ihm zusammengearbeitet hatte, war der Zarewitsch stets ein Snob geblieben. Sämtlichen Versuchen, ihn zum American Way of Life zu bekehren, zum Trotz. Ein Snob und einer der gerissensten Hunde, denen er, Jim Brannigan, über den Weg gelaufen war.

Wie um dies zu bestätigen, läutete im selben Moment das Telefon. Nichts Gutes ahnend, nahm Brannigan ab und lauschte.

Und war erneut baff.

»Na, wo bleiben denn deine guten Manieren, Jim?«, spöttelte die Stimme am anderen Ende der Leitung, die Stimme eines Mannes, den er wie aus dem Effeff kannte. »Jetzt komm schon, so überrascht, wie du aus der Wäsche guckst, kannst du ja nun wirklich nicht sein.«

»Wusste gar nicht, dass du unter die Hellseher gegangen bist, Juri.«

Kuragin stieß ein heiseres Lachen aus. »Das nun nicht gerade«, gestand er mit verbittertem Unterton ein. »Schließlich bin ich ja bei der CIA.«

»Bei der CIA? Da habe ich aber etwas anderes gehört.«

»Was du nicht sagst, Jim«, amüsierte sich Kuragin, längst nicht so jovial, wie man es von ihm gewohnt war. »Bist eben immer schon viel zu vertrauensselig gewesen.«

»Ich?«

»Ja, du – James Landon Brannigan. Aber lassen wir das. Vorerst.«

»Mit anderen Worten: Du willst dich mit mir treffen.«

»Bingo, Jim. Wo und wann genau, bekommst du gleich schriftlich.«

»Schriftlich, aha.«

Kuragin gluckste. »Keine Bange, Jim – du musst dich nur umdrehen, hinüber zum Teetisch gehen und den Umschlag öffnen, den ich für dich deponiert habe. Anschließend wirst du ein bisschen schlauer sein, zumindest, was unser freundschaftliches Tête-à-Tête am heutigen Abend angeht. Ach, und Jim: Das mit dem Peilsender tut mit leid. Ehrlich.«