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»Auf gar keinen Fall, Konew. Das ist ein Befehl.«

»Und was ist, wenn die Amerikaner einen Präventivschlag führen? Nur damit ich weiß, was zu tun ist, wenn es so weit ist. Gut möglich, dass Sie dann nicht mehr zu erreichen sein werden, Genosse«, bohrte der Sowjetmarschall nach, nicht gewillt, ohne Weiteres klein beizugeben.

»Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus, Konew. So lange Kennedy Präsident ist, wird das nicht passieren. Und wissen Sie auch, wieso? Dieser Ostküsten-Playboy hat die Hosen gestrichen voll. Große Klappe, aber nichts dahinter. Mit dem können wir Blindekuh spielen, Iwan Stepanowitsch.«

»Wenn es so ist, wie Sie sagen, Towarischtsch, warum lassen wir es dann nicht drauf ankommen und erteilen den Imperialisten eine Lektion?«

»Nichts dagegen, Herr Marschall, wenn auch nicht so, wie es Ihnen vorschweben mag.« Im Gegensatz zu sonstigen Gewohnheiten ließ sich Chruschtschow von seinem Untergebenen nicht aus der Reserve locken und schlug einen versöhnlichen Tonfall an. »Wenn die Zeit reif dafür ist, werden wir die Yankees vorführen und vor aller Welt lächerlich machen. Darauf können Sie sich verlassen. Aber wenn, dann nicht in Berlin. Da werden wir in der Defensive bleiben, um jeden Preis.«

»Um jeden?«

»Damit wir uns richtig verstehen, Iwan Stepanowitsch: Sollte es zum Äußersten kommen, sind Sie befugt, jedwede Mittel anzuwenden, um einer Aggression in angemessener Form zu begegnen.«

Fürs Erste zufrieden, erhob Konew keine Einwände mehr und lächelte zufrieden vor sich hin. »Eine Frage noch, Genosse Chruschtschow«, fügte er schließlich an, nachdem er die Details der geplanten Operation nochmals dargelegt und mit der Nummer eins der KPdSU durchgesprochen hatte. »Kann es sein, dass Sie mit dem Gedanken spielen, Atomraketen auf Kuba …«

Doch Chruschtschow ließ ihn gar nicht erst ausreden. »Zukunftsmusik, Iwan Stepanowitsch«, erwiderte er freundlich, aber bestimmt. »Wer weiß, was in den nächsten Jahren noch so alles passieren wird. Dieses Jahr werden wir es dabei belassen, die Yankees an der Nase herumzuführen.« Ein hintergründiges Lachen drang an Konews Ohr. »Nur Mut, Iwan Stepanowitsch, Sie kriegen das schon hin. Und nicht vergessen, kein Schuss ohne meine ausdrückliche Genehmigung. Es sei denn, die Amerikaner sind so dämlich und machen ernst. Aber keine Sorge. So weit wird es bestimmt nicht kommen. Doswidanja35, Marschall Konew – und eine geruhsame Nacht.«

»Ebenfalls.« In seinem Groll, dem er durch ein Tippen an die Stirn Luft machte, schleuderte Konjew den Hörer so heftig auf die Gabel, dass er das gleichzeitige Klopfen nicht bemerkte und sich wieder an die Arbeit machte. Gerade jetzt, vier Stunden vor der geplanten Operation, gab es noch jede Menge zu tun. Depeschen mussten unterzeichnet, Lageberichte studiert und alle nur erdenklichen Maßnahmen getroffen werden. Dabei konnte er niemanden brauchen, zumindest während der nächsten halben Stunde nicht.

Sein Wunsch ging allerdings nicht in Erfüllung. Es klopfte erneut, dermaßen laut, dass Konew verärgert in die Höhe fuhr. »Was ist denn jetzt schon wieder, verdammt noch mal!«, polterte der einstige Kriegsheld, als er den Kopf zur Tür drehte und seinen Adjutanten auf der Schwelle stehen sah. »Verdammt, kann man hier nicht mal fünf Minuten seine Ruhe haben?«

Der gedrungene Kirgise, höchstens halb so alt und 20 Kilo leichter wie sein korpulenter Vorgesetzter, machte eine beschwichtigende Geste und zog die Schultern im Zeitlupentempo in die Höhe. »Ich fürchte Nein, Genosse Kommandeur«, druckste er herum, bevor er sich in die Höhle des Löwen wagte und die Tür kaum hörbar ins Schloss fallen ließ. »Es gibt da nämlich etwas, worüber Sie im Bilde sein sollten.«

»Doch nicht etwa schon wieder eine Panne, Kulikowski, oder?«, fragte Konew, eine Depesche in der Hand, die ihn vor einer Viertelstunde erreicht hatte. »Für so etwas sind diese Trottel in Pankow nämlich immer gut.«

Kulikowski, der seine tatarische Abstammung nicht verleugnen konnte, wog bedächtig das Haupt. »Das nun nicht gerade, Ge…«

»Was zum Teufel denn dann? Spucken Sie’s aus, Leutnant Kulikowski, ich habe noch etwas vor!«

»Die Sache ist die, Genosse Sowjetmarschall. Vor gut einer Stunde hat unser Radar ein unbekanntes Flugobjekt erfasst, vermutlich auf dem Weg von Ramstein nach Berlin.«

»Vermutlich?«

»Das genau ist das Problem. Etwa 20 Kilometer vom alliierten Luftraum entfernt, also noch über DDR-Gebiet, ist der Flugkörper plötzlich vom Radarschirm verschwunden.«

»Einfach so?«

»Um es vorwegzunehmen: Wir waren es nicht, Genosse Kommandeur. Überhaupt war das Scheißding sehr schnell, verdammt schnell sogar.« Kulikowski legte eine Kunstpause ein. Erst dann rückte er mit der Wahrheit heraus und gestand: »Unsere Abfangjäger waren einfach zu langsam, Towarischtsch, die haben nur noch die Kondensstreifen gesehen.«

»Wie immer.« Der schlechten Nachrichten allmählich überdrüssig, stützte sich Konew auf der Tischplatte ab und stemmte seinen massigen Rumpf in die Höhe. »Allmählich wird mir die Angelegenheit wirklich zu bunt«, erboste er sich, kurz davor, seine Wut an einem Briefbeschwerer abzureagieren, den er mit der rechten Hand umklammert hielt. »Höchste Zeit, dass wieder mal ein paar Köpfe rollen.«

»Tut mir leid, Genosse Kommandeur, aber das ist längst noch nicht alles.« Kulikowski schluckte, brachte indes nach kurzem Zögern den Mut auf, den Funkspruch hervorzukramen, welchen er in seiner Uniformjacke verwahrt hatte. »Erst ein paar Minuten alt, Genosse«, erläuterte er mit Leichenbittermiene. »Von einem unserer Kommandeure.«

Auf das Schlimmste gefasst, riss Konew seinem Adlatus das ockerfarbene Blatt aus der Hand, las es und wurde feuerrot im Gesicht. »Was hat denn das jetzt schon wieder zu bedeuten?«, schimpfte er, auf dem besten Weg, endgültig die Fassung zu verlieren. »Ein Wrack, vermutlich amerikanisches Militärflugzeug? Was zum Teufel soll das heißen? Vermutlich – wenn ich das schon höre. Sagen Sie mal, Kulikowski – sind die da draußen tatsächlich so dämlich, wie sie tun? Zu dumm, um ein amerikanisches Flugzeug zu identifizieren, das muss man sich mal vor …«

»Nicht zu dumm, Genosse Sowjetmarschall, sondern schlicht und einfach nicht in der Lage.«

»Wieso, verdammt noch mal?«

»Zum einen, weil die Wrackteile über eine Fläche von mehreren Quadratkilometern verstreut sind. Das kann dauern, Genosse Kommandeur, so wie es aussieht, mindestens bis morgen früh.«

»Nur keine kapitalistische Hast!«, flüchtete sich Konew in Galgenhumor, drehte Kulikowski den Rücken zu und schirmte sein Gesicht gegen das grelle Abendrot ab, das ihm durch das Fenster entgegenflutete. »Und zum anderen?«

»Es mehren sich die Anzeichen, Iwan Stepanowitsch, derentwegen man zu dem Schluss kommen kann, dass es an Bord des amerikanischen Flugzeugs vor dem Absturz zu einer heftigen Explosion gekommen ist. So zumindest die Augenzeugen aus einem Dorf in der Nähe. Dermaßen heftig, dass es unseren Spezialisten schwerfallen dürfte, sämtliche Wrackteile zu bergen.«

»Wozu auch. Überlebende dürfte es wohl kaum gegeben haben.«

Kulikowski schlug seine mandelförmigen Augen weit auf und ließ den Blick zwischen seinen auf Hochglanz polierten Stiefeln hin und her wandern. »Bei allem gehörigen Respekt, Genosse Oberkommandierender. Ich denke, Sie ziehen die falschen Schlüsse.«

»Ach, ja? Dann seien Sie bitte so gut und klären mich auf.« Konew rieb den Zeigefinger an seiner Nase und hielt es offenbar nicht für nötig, seinem Adjutanten ins Gesicht zu blicken. »Wer weiß, vielleicht machen Sie am Ende noch Karriere. In Sibirien, meine ich.«