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»Und ein Schlag ins Gesicht unserer Verbündeten.«

»Falls nötig, korrigieren Sie mich, Luke –«, begehrte Dulles auf, »waren nicht Sie es, über dessen Schreibtisch die Planungen für Zapata gelaufen sind? Oder sollte ich da etwas verwechselt haben?«

Calabrese verzog keine Miene, wenn der CIA-Chef mit einer Antwort gerechnet hatte, wurde er enttäuscht. Sein Protegé wusste genau, wie er Dulles zu nehmen hatte, weshalb er eine Kunstpause einlegte und so tat, als habe ihn sein Gegenüber auf dem falschen Fuß erwischt. Anschließend jedoch, als sich der Direktor des US-Auslandsnachrichtendienstes bereits als Sieger wähnte, zog er ein Tonband aus dem Jackett, wartete die Reaktion von Dulles erst gar nicht ab und fädelte es mit versteinerter Miene ein. »Ich denke, Sie sollten da mal reinhören, Sir«, beschied er seinem Vorgesetzten, während er mit gerunzelter Stirn auf den Abspielknopf drückte. »Bin gespannt, was Sie dazu sagen.«

»Zuerst möchte ich einmal wissen, worum es hier überhaupt …«

»Keine Bange, Sir –«, tat Calabrese kund, nicht ohne Überheblichkeit, wie Dulles nebenbei registrierte. »Das, was Sie auf dem Band hören werden, spricht für sich.«

*

Aus der Stimme auf dem Band, den Worten eines offenbar noch recht jungen Mannes, sprach die nackte Verzweiflung. Verzweiflung pur und darüber hinaus eine gehörige Portion Wut, Zorn, abgrundtiefe Enttäuschung – und Hass. Hell auflodernder, unbändiger Hass. »Wir haben keine Munition mehr, kämpfen am Strand. Bitte schickt Hilfe. Können nicht mehr lange durchhalten.«

»Funkspruch vom 19. April, Sir. 11.18 Uhr Ortszeit.« Calabrese hielt das Band an, zog die buschige Braue hoch und fragte spitzzüngig: »Mehr davon, Sir?«

Dulles gab keine Antwort. Stattdessen atmete er tief durch, bettete die Pfeife in den eigens für ihn angefertigten Aschenbecher aus echtem Bergkristall und rang sich ein knappes Nicken ab.

Calabrese quittierte es mit einem Lächeln und drückte wieder auf die Starttaste.

»Keine Munition mehr. Die Männer kämpfen bereits im Wasser«, tönte es aus dem Lautsprecher, und es schien, als stünde José Pérez San Román direkt neben ihm. »Wenn nicht bald Hilfe kommt, geht Blue Beach verloren.«

»11.31 Uhr, Sir«, erläuterte Calabrese, stoppte das Band und sah Dulles über die Ränder seiner Brille hinweg an. »Ich denke, das genügt, oder?«

Dulles schüttelte unwirsch den Kopf.

»Befinde mich im Wasser. Keine Munition mehr. Sind umzingelt. Wenn Hilfe, dann innerhalb der nächsten Stunde.« Ein kurzes Rauschen, dann die Worte: »Wann wird eure Hilfe hier eintreffen und wie?« Sekunden später: »Warum helft ihr uns nicht? Zerstöre die gesamte Ausrüstung, inklusive Funkgerät. Panzer in Sicht. Habe nichts mehr, womit ich mich verteidigen kann. Setze mich in die Sümpfe ab. Kann mich nicht mehr …«

»Danke, Chief Executive, das reicht.« Allen Welsh Dulles, von dem es hieß, ihn könne nichts aus der Fassung bringen, hatte genug gehört. Sichtlich mitgenommen, stützte er die Ellbogen auf die Tischplatte, bettete das Kinn auf die verschränkten, mit Altersflecken besprenkelten Hände und starrte minutenlang vor sich hin. Calabrese wusste, dass es unklug gewesen wäre, jetzt das Wort zu ergreifen, weshalb er einfach stehen blieb, die Augen niederschlug und sich nicht vom Fleck rührte.

Er tat gut daran. Dulles war außer sich, und als es der sichtlich zufriedene Leiter von DECOP wagte, einen Blick auf seinen Vorgesetzten zu werfen, fuhr er instinktiv zusammen. »Kennedy!«, grollte der Direktor der CIA und hieb mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass seine Pfeife aus dem Aschenbecher katapultiert wurde. »Und alles nur wegen diesem Kennedy!«

Hochzufrieden über die Wendung des Gesprächs, musste Calabrese seine ganze Schauspielkunst aufbieten, um die Genugtuung, die er empfand, zu verbergen. »Kennedy?«, heuchelte er, »darf man fragen, was der Präsident mit …«

»Jetzt tun Sie doch nicht so, Luke!«, empörte sich Dulles, sprang auf und stapfte mit hochrotem Gesicht vor dem Fenster hin und her. »Sie wissen doch ebenso gut wie ich, wem wir diese Schlappe zu verdanken haben. Erst wirft dieser irische Hosenscheißer unsere ursprünglichen Pläne über den Haufen, und dann kriegt er im letzten Moment kalte Füße.«

»Nun ja, schließlich ist er der Präsident.«

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, blieb Dulles abrupt stehen. Von der Aura der Seriosität, die ihn umgab, war nichts mehr übrig geblieben, lediglich ein verbitterter alter Mann, der vergeblich um Fassung rang. »Mal ehrlich, Luke –«, schnaubte der Direktor der CIA, »sind Sie wirklich so naiv, oder tun Sie nur so? Gagarin, Kuba und am Ende vielleicht auch noch Vietnam – wir können uns keine Schlappe mehr leisten! Noch so ein Reinfall wie vor acht Tagen und kein Mensch nimmt uns mehr für voll – am allerwenigsten die Russen!«

»So düster würde ich die Lage nicht sehen, Sir.« Calabrese spulte das Band zurück und steckte es wieder ein. »Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.«

»Finden Sie? Kommt drauf an, in welche Fettnäpfchen diese Sippschaft im Weißen Haus noch tappt. Für Überraschungen ist dieser Appeaser10 ja immer gut.« Dulles ließ seinem Ärger freien Lauf. »Zieht in letzter Minute die Luftunterstützung zurück. Ich darf gar nicht dran denken. Und warum? Weil er Schiss hat, Luke – ganz einfach Schiss. Vor Castro, Chruschtschow, den Russen und insbesondere vor der eigenen Courage. Glauben Sie etwa, die kriegen das nicht mit? Und ob! Noch so ein Reinfall, und die ganze rote Brut tanzt uns auf der Nase herum. Darauf können Sie wetten.«

»Es sei denn, wir lassen uns etwas einfallen, Sir.«

»Na, Sie machen wir vielleicht Spaß. Dazu müssten wir erst mal wissen, was Chruschtschow im Schilde führt.«

Calabrese kratzte sich an der Braue und drückte seine Brille gegen die schweißglänzende hohe Stirn. »Genau das ist die Frage, Sir, da haben Sie recht.« Ein hintergründiges, an Überheblichkeit grenzendes Lächeln auf den Lippen, rieb der Mann, auf dessen Schreibtisch sich mehr Geheimakten häuften als irgendwo sonst, die schwammigen Handflächen aneinander und überlegte. »Obwohl ich mir sehr gut vorstellen kann, wo es demnächst zum Showdown kommen wird.«

Hellhörig geworden, blieb Allen Welsh Dulles stehen. Er traute Calabrese nicht über den Weg, am heutigen Tage weniger denn je. »Und wo, wenn man fragen darf?«, hakte er nach. »Nun kommen Sie schon – oder hat Ihre Glaskugel etwa den Geist aufgegeben?«

Die Antwort kam schneller als gedacht, und der Tonfall, in dem dies geschah, war derart ernst, dass Dulles die Lust am Foppen verging. »In Berlin, Sir«, murmelte Calabrese, während sein Blick an Dulles vorbei zum Fenster wanderte, auf dem der Aprilregen lange Schlieren hinterließ. »Wo anders als in Berlin. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Sir? Mein Instinkt sagt mir, dass wir bis zum nächsten Kräftemessen nicht allzu lange warten müssen.«

»Und dann?«

»Dann werden wir Sorge tragen, dass das Kennedy-Syndrom keinen Schaden mehr anrichten kann. Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln!«

ZWEI

»The NATO shield was long ago extended to cover West Berlin, and we have given our word that an attack upon that city will be regarded as an attack upon us all.«

»Der Schutzschild der NATO wurde vor langer Zeit zum Schutz von Berlin ausgedehnt, und wir haben unser Wort gegeben, dass ein Angriff auf diese Stadt als Angriff auf uns alle angesehen werden wird.«

(Aus der Fernsehansprache von John F. Kennedy vom 25. Juli 1961)

»Das Weiße Haus war schon einige Zeit vor dem August 1961 zu dem Schluss gekommen, dass die USA eine physische Barriere zwischen Ost und West weder verhindern konnten noch wollten.«