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(Aus: Seymour Hersh, Kennedy. Das Ende einer Legende, Hamburg 1998, S. 267)

CAMELOT

Washington D. C.

(Dienstag, 25. 07.1961)

3

Weißes Haus, Oval Office

| 20.12 h Washingtoner Zeit

John Fitzgerald Kennedy, 35. Präsident der USA, war ein schwer kranker Mann. Niemand wusste das besser als er. Im Verlauf seiner Karriere hatte der erste katholische Präsident der Vereinigten Staaten bereits zweimal die Sterbesakramente empfangen und sich von seinem Leiden, der Addison’schen Krankheit, nie richtig erholt. Gegen ihre Symptome, zum Beispiel Verdauungsbeschwerden, Fieberschübe und Schwächeanfälle, kam er einfach nicht an, weder mithilfe herkömmlicher Medikamente noch durch Kortisonpräparate, die ihm in immer kürzeren Abständen verabreicht wurden. Darüber hinaus hatte er mit weiteren Gebrechen zu kämpfen, darunter Migräne, Magenkrämpfe und Rückenbeschwerden. Vor allem Letztere sorgten dafür, dass er sich vor Schmerzen mitunter kaum rühren konnte, und wäre der eigens für ihn angefertigte Schaukelstuhl und die Fußstütze unter seinem Schreibtisch im Oval Office nicht gewesen, hätte er am heutigen Tage, einem der wichtigsten seit seiner Amtsübernahme vor gut einem halben Jahr, vermutlich passen müssen.

Krank sein war somit Alltag für ihn, beschwerdefreie Tage die Ausnahme. Da half keine Hydrokortison-Injektion und auch keine Wärmepackung, kein Ultraschall, Präparat gegen Durchfall, Antibiotikum oder Schlafmittel, in welcher Form auch immer. Ohne seinen täglichen Medikamentencocktail wäre der Liebling der Medien und unwiderstehliche Charmeur nicht imstande gewesen, die Probleme, mit denen er sich herumschlagen musste, auch nur annährend in den Griff zu bekommen. »Und wenn es Pferdepisse ist – Hauptsache, es hilft!«, pflegte der Präsident zu scherzen, doch gab es Tage, an denen ihm das Lachen verging.

Heute, an einem brütend heißen Juliabend, war genau dies der Fall. Sein trockener Humor, eines seiner hervorstechendsten Charaktermerkmale, war ihm abhandengekommen. Müde und abgekämpft wie selten, lockerte der Präsident seine Krawatte, schloss die Tür, die vom Oval Office in den Säulengang führte, und gab einen lang gezogenen Seufzer von sich. Hier draußen, im Rosengarten des Weißen Hauses, konnte man es im Gegensatz zum Oval Office wenigstens aushalten, und so ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er am liebsten alles stehen und liegen lassen und auf dem Familiensitz in Palm Beach mal wieder richtig ausspannen würde.

Das wiederum konnte er sich abschminken, nicht nur aus einem, sondern einer Vielzahl von Gründen. Da war zum einen der Bürgerkrieg in Laos, wo laut Geheimdienstberichten die Kommunisten weiter auf dem Vormarsch waren. Jenseits der Grenze, in Vietnam, sah es nicht viel besser aus. Wie lange sich der mit den USA verbündete Süden ohne massive Unterstützung würde halten können, stand in den Sternen, genauso wie die Antwort auf die Frage, was aus den Exilkubanern, die sich in der Hand von Castro befanden, wohl werden würde. Viel Gutes war von seinem Intimfeind nicht zu erwarten, eher das Gegenteil. Dieser Bastard war immer für eine Überraschung gut, worauf er im Moment getrost verzichten konnte.

Er hatte andere Sorgen, weiß Gott. In Berlin stand es nicht gerade zum Besten, man musste kein Prophet sein, um zu erkennen, dass es dort demnächst zur Sache gehen würde. So richtig, wohlgemerkt. Auf Biegen und Brechen. Mit diesem Bauerntrampel von Chruschtschow war nicht gut Kirschen essen, die Frage war, welchen Schachzug er wohl als Nächstes machen würde. Um ihm, dem verachteten Sohn schwerreicher Eltern, eins auszuwischen, war Stalins Nachfolger jedes Mittel recht. Wenn nötig, sogar die Drohung mit Krieg.

So schnell wie von Chruschtschow erhofft, würde er sich den Schneid allerdings nicht abkaufen lassen. Da kannten ihn die Russen schlecht. Okay, in letzter Zeit hatte er ordentlich Federn lassen müssen, doch was Berlin betraf, verstand er keinen Spaß. Aus diesem Grund, aber auch, um nicht als flügellahmer Adler dazustehen, würde es dort kein Zurück geben. No way. Vor gut einer Stunde, in seiner landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache, hatte er den Russen noch mal ordentlich die Leviten gelesen. In Berlin würde alles so bleiben, wie es war. Sonst würde sich Chruschtschow auf etwas gefasst machen müssen.

Hier die Alliierten, dort die Russen und ihre Statthalter im Osten der Stadt. Hier Freiheit, dort Knechtschaft. Hier die rettende Insel, dort das Meer der Unfreiheit.

So und nicht anders lautete die Devise.

Roger, Mister Chruschtschow?

»So allein, Bruderherz? Na komm schon, so schlecht war deine Ansprache nun auch wieder nicht.«

Am Ende des Säulenganges angekommen, in dem er geraume Zeit hin und her spaziert war, hellte sich Kennedys Miene beim Anblick seines Bruders Robert merklich auf. Bobby, so sein Spitzname, war seine rechte Hand. Für ihn, den um acht Jahre Jüngeren und amtierenden Justizminister, galt das Gleiche wie für die täglichen Muntermacher: Ohne sie und seinen engsten Vertrauten war er aufgeschmissen. So sicher wie das Amen in der Kirche.

»Jedenfalls nicht so schlecht wie die Neuigkeiten, die du auf Lager hast«, flüchtete sich der Präsident in Galgenhumor. Vor Bobby brauchte er sich wenigstens nicht zu verstellen, weswegen er sich merklich zu entspannen begann. »Mehr kann man ja wohl nicht verlangen.«

Robert Kennedy, je nach Bedarf Prellbock, Seelentröster oder Mann fürs Grobe, grinste breit. »Wie heißt es so schön: Ein Unglück kommt selten allein«, feixte er. »Weshalb der uns beiden ans Herz gewachsene CIA-Direktor, der sich nicht hat abwimmeln lassen, sein Alter Ego gleich mitgebracht hat.«

»Dulles und Calabrese – womit hab ich das verdient!«, stöhnte Kennedy mit fatalistischer Miene auf, straffte seine Krawatte und machte sich auf den Rückweg ins Oval Office. »Ausgerechnet jetzt, wo es mir dreckig geht.«

»Keine Sorge«, versicherte sein engster Vertrauter in der offenkundigen Absicht, den Bruder und Präsidenten aus seiner düsteren Stimmung zu reißen. »Mit den beiden Ränkeschmieden werden wir schon fertigwerden. Schließlich wissen wir genau, mit wem wir es zu tun haben.«

»Mit den durchtriebensten Bastarden weit und breit, ich weiß«, versetzte Kennedy, ließ seinem Bruder den Vortritt und flüsterte ihm im Vorbeigehen zu: »Fragt sich nur, was sie diesmal ausgeheckt haben.«

*

»In die Offensive gehen – und wieso?«

»Weil wir es uns meiner Ansicht nach nicht mehr leisten können, andauernd den Schwanz einzu … äh … eine Schlappe nach der anderen zu kassieren, Mister President. Noch so ein Schnitzer, und unser Imageverlust bei den Verbündeten wird so groß sein, dass uns kein Mensch mehr für voll nehmen wird, Sir«, schulmeisterte Dulles, wobei er den Justizminister, der ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre, wohlweislich ignorierte. »Dessen bin ich mir absolut …«

Der wiederum ließ sich jedoch nicht beirren. »Fragt sich nur, was Sie unter Schnitzer verstehen«, fiel Robert Kennedy dem CIA-Direktor ins Wort. »Für den Fall, dass sie auf das Schweinebucht-Desaster anspielen, steht ja wohl fest, auf wessen Kappe es geht, oder?«

Calabrese, auf den der Seitenhieb des Justizministers gemünzt war, nahm ihn ohne erkennbare Regung hin. Ganz anders Dulles, der Bobby Kennedy direkt gegenübersaß. Nur mit Mühe konnte der erboste CIA-Chef seine Erregung verbergen, zuckte zusammen und stierte den gerade einmal halb so alten Intimus des Präsidenten wutentbrannt an. »Bei allem schuldigen Respekt, Attorney General11«; entrüstete er sich, auf dem besten Weg, gegen die herrschende Etikette zu verstoßen, »wäre es nach der CIA gegangen, hätten Castros Truppen keinen Fuß auf die Erde bekommen. Das wissen Sie so gut wie ich. Nur ein halbes Dutzend B-26-Bomber mehr, und wir hätten diese roten Insurgenten in die Steinzeit zurückge …«