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»Letzteres«, murmelte Lea und ließ den Blick zwischen ihren Bewachern hin und her wandern.

Dann rannte sie los.

*

Zum Teufel mit der Vorsicht, mit den Amis, Russen und sämtlichen Ordnungshütern dieser Welt!, dachte Tom Sydow und mogelte sich an den beiden Kollegen vorbei, deren Aufmerksamkeit durch die Vorgänge auf der Brücke derart in Anspruch genommen war, dass sie dies erst viel zu spät bemerkten. In Momenten wie diesen musste man vor allem an sich selbst denken. An sich und die Menschen, die einem etwas bedeuteten.

Es kümmerte ihn einen Dreck, ob die Militärpolizisten ihn zum Stehenbleiben aufforderten oder hinter ihm herbrüllten oder ihn darauf aufmerksam machten, dass das, was er gerade tat, purer Leichtsinn und im Grunde lebensgefährlich war. Und es kümmerte ihn einen Dreck, welche Konsequenzen sein Handeln nach sich ziehen würde. In diesem Moment konnten ihm sämtliche Ordnungshüter dieser Welt, die eigenen Kollegen mit eingeschlossen, gestohlen bleiben. Und sämtliche Geheimdienste des gesamten Planeten, allen voran CIA, KGB, Staatssicherheit – oder wie diese staatlich gelenkten Syndikate auch immer heißen mochten. Sydow wollte jetzt nur noch eins: endlich seine Frau, die lachend und winkend auf ihn zurannte, in die Arme schließen. Und er wollte die Ereignisse der letzten 20 Stunden und sämtliche Abgründe, von denen aus er in die Tiefe gestarrt hatte, vergessen. Morgen war auch noch ein Tag, wenn auch einer, an dem nichts mehr so sein würde, wie es war. Das galt, wie ihm sehr wohl bewusst war, nicht nur für Berlin, sondern auch für ihn, Tom Sydow, von Beruf Kriminalhauptkommissar. Solange keine Klarheit darüber herrschte, was mit Veronika passiert war, würde die Kripo Berlin die zweite Geige spielen, ganz gleich, was der Herr Polizeipräsident oder sonst wer dazu sagen würde.

»Verspricht du mir etwas, Tom?«, flüsterte ihm Lea ins Ohr, nachdem sie sich aus seinen Armen gelöst, ihn gestreichelt und seine Hand ergriffen hatte, um die wenigen Meter, die sie vom Westufer der Spree trennten, hinter sich zu bringen. »Versprichst du mir, nichts unversucht zu lassen, um … um …« Dann versagte ihr die Sprache, und sie hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten.

»Ich werde sie rausholen, koste es, was es wolle«, nahm Sydow seiner Frau die Worte aus dem Mund, verstärkte den Druck seiner Hand und durchschritt mir ihr die Gasse der Schaulustigen, welche sich wie von selbst gebildet hatte. »Und wenn ich einen Tunnel buddeln muss!«

ACHT

»Ich könnte die Alliierten zum Handeln bewegen, wenn er [Chruschtschow] irgendetwas mit Westberlin anstellt, aber nicht, wenn er in Ostberlin etwas tut.«

(Präsident Kennedy gegenüber Walt Rostow,

Juli 1961)

›Kennedys Reaktionen auf den Mauerbau waren bewusst behutsam. Er blieb, wie geplant, bis zum Montagmorgen auf seinem Familiensitz und ließ lediglich durch das Außenministerium erklären, die Abriegelung West-Berlins habe keine Auswirkungen auf die alliierten Rechte in West-Berlin und den Zugang dorthin. In dieser zurückhaltenden Reaktion kommt zum Ausdruck, dass Kennedy die Berliner Mauer als Gottesgeschenk betrachtete.‹

(Aus: Robert Dallek: John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben. Frankfurt am Main 2007, S. 375)

ENTWARNUNG

Hyannis Port, Massachusetts

(13.08.1961)

34

Kennedy Compound

| 13.05 h Ortszeit (19.05 h Berliner Zeit)

»Keinerlei Indizien für einen Militärschlag, sehe ich das richtig, Dean?«, wollte John F. Kennedy wissen, den Blick auf Calabrese gerichtet und den Hörer am linken Ohr, aus dem die Stimme von Dean Rusk, Außenminister der USA, erklang. »Die igeln sich nur ein, oder?«

»Treffend formuliert, Mister President –«, antwortete der 53-jährige Karrierediplomat aus Georgia, seines betont kühlen und sonoren Tonfalls wegen Buddha genannt, »kein Grund zur Aufregung, wie man so schön sagt. Nach den mir vorliegenden Berichten ist zwar jede Menge Militär mit im Spiel, aber es hat den Anschein, als seien die Russen und ihre ostdeutschen Schoßhündchen darauf bedacht, die Finger von den Westsektoren zu lassen. Klipp und klar gesagt, Sir: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine militärische Offensive der Roten Armee oder NVA gegen Westberlin.«

»Na, dann ist ja alles in Ordnung.« Der Präsident stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, lehnte sich zurück und ließ den Arm auf der Lehne des Plüschsofas ruhen, auf dem er kurz zuvor Platz genommen hatte. Mit dem Wohnzimmer seines Vaters, seinem gegenwärtigen Refugium, waren unzählige Erinnerungen verbunden, dokumentiert durch Dutzende von Porträts, auf denen er mit seinen Eltern, Geschwistern und anderen Mitgliedern des Clans abgebildet war. Hier, an diesem Ort scheinbar ungetrübter Idylle, hatte er sich stets geborgen gefühlt, vor allem, wenn es galt, Entscheidungen von großer Tragweite zu fällen. So wie jetzt, im Angesicht eines Mannes, der versucht hatte, ihn auf schmähliche Weise zu hintergehen.

»Halten Sie mich auf dem Laufenden, Dean«, bat Kennedy, ein Lächeln im Gesicht, welches beim Anblick von Calabrese buchstäblich gefror, und fügte mit Blick auf seinen Intimfeind hinzu: »Damit mir nur ja nichts aus dem Ruder läuft.«

»Selbstverständlich, Mister President.«

»Bis morgen, Dean.«

»Ich weiß ja nicht, wie Rusk zu der Auffassung kommt, dort drüben sei alles in Ordnung«, knirschte Calabrese, nachdem der Präsident aufgelegt hatte, bemüht, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Was mich betrifft, bin ich nach wie vor der Meinung, dass man den Russen nicht über den Weg …«

»Wenn es jemanden gibt, dem ich nicht über den Weg trauen kann, dann Ihnen, Luke!«, warf der Präsident grimmig ein, stützte das Kinn auf die rechte Hand und mied den Anblick seines Kontrahenten, der, aller Nervosität zum Trotz, kerzengerade auf der Kante seines Sessels saß und sich nicht vom Fleck rührte. Eines Widersachers, der nichts unversucht gelassen hatte, um ihm und dem gesamten Land großen Schaden zuzufügen. »Das steht doch wohl fest.«

»Wie darf ich das verstehen, Sir?«

»So, wie ich es sage«, erwiderte Kennedy, von einem Moment auf den anderen betont kühl, und nippte an seinem Orangensaft, welchem ein Mittel gegen die Unterleibsschmerzen beigemischt worden war, an denen er seit zwei Tagen litt. »Oder sind Sie der Meinung, Hochverrat sei ein Kavaliersdelikt?«

»Wollen Sie damit andeuten, Mister President …«, begann Calabrese, Böses ahnend, und schnappte verzweifelt nach Luft. Und dann, Auge in Auge mit einem sichtlich erbosten Präsidenten, verließ ihn der Mut und er sackte in sich zusammen.

»Hochverrat, Chief Exekutive!«, fuhr Kennedy den Leiter für verdeckte Auslandsoperationen an. »Sie haben richtig gehört. Mit dem Ziel, unser Land in einen Krieg hineinzuziehen. Einen Krieg, in dem es nach landläufiger Meinung Millionen von Toten geben würde.« Kennedy knallte das Saftglas auf den Tisch und sprang erregt auf. »Eins muss man Ihnen lassen, Luke: Um mich zu hintergehen, haben Sie und dieser … dieser … wie heißt er doch gleich, Andy?«

»Ross, Mister President. Jermaine Ross. Leiter der BOB«, antwortete Andris Peterson, die Arme verschränkt und direkt hinter Calabrese postiert, als warte er auf das Zeichen, ihm den Hals umzudrehen. »Ein Jammer, dass er momentan verhindert ist.«

»Macht nichts, wir haben ja noch unseren guten alten Luke. Hand aufs Herz, Chief Executive – dass die Sache so endet, hätten Sie nicht gedacht, was?«