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»Fjodor, ich habe versucht, euch zu helfen.«

»Das glaube ich dir sogar. Du hast uns gezeigt, wie wir überleben konnten.«

»Ja.«

»Und in mancherlei Hinsicht bin ich dir sogar dankbar. Sonst hätte der Mann, der meinen Sohn umgebracht hat, auch noch mich und meine Familie umgebracht. Du hast uns gerettet. Deshalb bin ich auch hier - nicht um dich zu demütigen, sondern um mich zu revanchieren. Wassili hat recht. Du musst deine Frau opfern. Mach dir nicht die Mühe, nach Beweisen zu suchen. Denunziere sie, dann überlebst du. Raisa ist eine Spionin, das ist schon längst beschlossene Sache. Ich habe Anatoli Brodskys Geständnis gelesen. Es ist mit derselben schwarzen Tinte geschrieben wie der Polizeibericht über meinen Sohn.«

Nein, Fjodor hatte unrecht. Aus ihm sprach die Wut. Leo besann sich darauf, dass er eine ganz eindeutige Aufgabe hatte. Er sollte gegen seine Frau ermitteln und über die Erkenntnisse Bericht erstatten. Seine Frau war unschuldig.

»Ich bin fest überzeugt, dass der Grund für die Einlassungen des Verräters im Hinblick auf meine Frau nichts anderes war als Rache. Und bislang legen meine Ermittlungsergebnisse nahe, dass das stimmt.«

Wassili war wieder ins Zimmer getreten. Es war unmöglich zu sagen, wie viel von dem Gespräch er schon mitbekommen hatte. Jedenfalls antwortete er: »Außer dass die anderen sechs Leute, die er genannt hat, alle verhaftet wurden. Und alle sechs haben bereits gestanden.«

»Umso mehr freut es mich, dass ich derjenige war, der ihn festgenommen hat.«

»Der Name deiner Frau wurde von einem verurteilten Spion genannt.«

»Ich habe das Geständnis gelesen. Raisas Name ist der letzte auf der Liste.«

»Die Namen wurden nicht nach ihrer Wichtigkeit geordnet.«

»Ich glaube, dass ihr Name aus Gehässigkeit hinzugefugt wurde. Ich glaube, dass er mich persönlich treffen wollte. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sich von diesem so offensichtlich verzweifelten Trick jemand an der Nase herumführen lässt. Ihr seid herzlich eingeladen, mir bei der Durchsuchung zu helfen - falls das der Grund für euer Kommen war. Wie ihr sehen könnt ...« -Leo deutete auf die herausgerissenen Dielen - »... ich war ziemlich gründlich.«

»Gib sie auf, Leo. Sei doch mal realistisch. Auf der einen Seite ist da deine Karriere, deine Eltern. Auf der anderen Seite steht eine Verräterin und Schlampe.«

Leo warf Fjodor einen Seitenblick zu. Auf dessen Gesicht zeigte sich keinerlei Regung, keine Schadenfreude. Wassili fuhr fort. »Du weißt doch selbst, dass sie eine Hure ist. Deshalb hast du sie doch früher schon einmal beschatten lassen.«

Leos Wut wich dem Schock. Sie hatten es gewusst. Sie hatten es die ganze Zeit gewusst.

»Hast du etwa geglaubt, das wäre ein Geheimnis? Das weiß doch jeder. Denunziere sie, Leo. Mach dem ein Ende. Befrei dich endlich von diesen Zweifeln, von den bohrenden Fragen in deinem Hirn. Gib sie auf. Danach gehen wir zusammen einen trinken, und am Ende des Abends hast du eine neue Frau.«

»Ich werde morgen über meine Erkenntnisse berichten. Wenn Raisa eine Verräterin ist, werde ich das auch zu Protokoll geben. Und wenn nicht, sage ich es ebenfalls.«

»Dann wünsche ich dir viel Glück, Genosse. Solltest du diesen Skandal überleben, dann wirst du eines Tages der Leiter des MGB, da bin ich mir sicher. Und dann wäre es eine Ehre, unter dir zu arbeiten.«

An der Tür wandte Wassili sich noch einmal um. »Denk an meine Worte. Dein Leben und das deiner Eltern gegen ihres. Da fällt einem die Entscheidung doch leicht.«

Leo schloss die Tür. Die Händen zitterten ihm und er hörte, wie sie sich entfernten. Er ging zurück ins Schlafzimmer und besah sich das Durcheinander. Dann legte er zunächst die Dielen zurück an ihren Platz und schraubte sie fest. Er machte das Bett, zog sorgfältig alle Laken gerade und zerknitterte sie anschließend wieder ein wenig, so wie er sie auch vorgefunden hatte. Er verstaute Raisas Kleider, faltete sie und legte sie übereinander. Ihm fiel ein, dass er sich nicht mehr genau erinnern konnte, in welcher Reihenfolge er sie herausgezogen hatte. Dann musste es eben so reichen.

Als er ein Baumwollhemd aufhob, fiel ein kleines Ding heraus und rollte über den Boden. Leo bückte sich und hob es auf. Es war eine kupferne Rubelmünze. Er warf sie auf sein Nachtschränkchen. Als sie auftraf, brach sie auseinander und die zwei Hälften purzelten zu beiden Seiten hinunter. Das Innere der einen Hälfte war ausgehöhlt. Wenn man sie zusammenschob, sah es aus wie eine ganz normale Münze. Aber sie war hohl. Leo hatte solche Münzen schon gesehen. Man benutzte sie zum Schmuggeln von Mikrofilmen.

21. Februar

Anwesend bei Leos Absetzung waren Generalmajor Kuzmin, Wassili Nikitin und Timur Rafaelowitsch, der Beamte, der Leo bei Anatoli Brodskys Verhör ersetzt hatte. Leo kannte ihn nur flüchtig: ein ehrgeiziger, aber glaubwürdiger Mann, der nicht viele Worte machte. Die Erkenntnis, dass Rafaelowitsch bereit gewesen war, das gesamte Geständnis einschließlich des Hinweises auf Raisa zu beglaubigen, war für Leo ein Schlag ins Gesicht. Der Mann war keiner von Wassilis Lakaien, weder respektierte noch fürchtete er ihn. Leo fragte sich, ob Wassili eine Möglichkeit gehabt hatte, Raisas Namen in das Geständnis zu schmuggeln. Auf Rafaelowitsch hatte er keinerlei Einfluss, wenn es nach dem Rang ging, war er dem anderen beim Verhör sogar untergeordnet gewesen. Die letzten beiden Tage war Leo bei dem, was er tat, davon ausgegangen, dass es sich bei dem Ganzen um einen Racheakt von Wassili handelte. Da hatte er sich also getäuscht. Wassili steckte nicht dahinter. Der Einzige, der ein solches Geständnis fälschen und dann auch noch von einem so hochrangigen Offizier bestätigen lassen konnte, war Generalmajor Kuzmin.

Die Falle hatte ihm kein anderer als sein Lehrmeister gestellt, derjenige, der Leo einst unter die Fittiche genommen hatte. Leo hatte seinen Rat hinsichtlich Anatoli Brodskys missachtet, und jetzt erteilte man ihm eine Lektion. Was hatte Kuzmin noch gleich zu ihm gesagt? Gefühlsduseleien können einen Mann blind für die Wahrheit machen.

Es war ein Test, eine Aufgabe. Sie wollten Leos Tauglichkeit als Offizier prüfen. Mit Raisa hatte das gar nichts zu tun. Rein gar nichts. Warum hätten sie sonst ausgerechnet den Ehemann der Frau beordern sollen, die Untersuchungen zu leiten, wenn nicht, um herauszufinden, wie der sich dabei verhalten würde? Und war nicht Leo derjenige gewesen, den sie beschattet hatten? War Wassili nicht vorbeigekommen, um zu überprüfen, ob er die Wohnungsdurchsuchung auch gründlich durchführte? Das, was sich in der Wohnung befand, hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Alles passte zusammen. Wassili hatte ihn gestern aufgestachelt, hatte ihm geraten, seine Frau zu denunzieren, weil er hoffte, dass Leo genau das Gegenteil machen und für sie eintreten würde. Er wollte gar nicht, dass Leo Raisa denunzierte. Er wollte, dass er den Test nicht bestand, dass er sein Privatleben über die Partei setzte. Es war ein Trick. Alles, was Leo tun musste, war, Generalmajor Kuzmin zu beweisen, dass er bereit war, seine Frau zu denunzieren. Zu beweisen, dass seine höchste Loyalität dem MGB galt, dass sein Glaube über jeden Zweifel erhaben war. Zu beweisen, dass sein Herz grausam sein konnte. Wenn er das machte, dann waren sie alle gerettet: Raisa, sein ungeborenes Kind, seine Eltern. Seine Zukunft beim MGB war gesichert und Wassili konnte ihm egal sein.

Aber war das nicht nur eine Vermutung? Was, wenn der Verräter wirklich das war, was er gestanden hatte: eben ein Verräter? Was, wenn er doch irgendwie mit Raisa zusammengearbeitet hatte? Vielleicht hatte er ja die Wahrheit gesagt. Wie konnte sich Leo so sicher sein, dass der Mann unschuldig war? Und wie konnte er sich sicher sein, dass seine Frau unschuldig war? Immerhin gab sie sich mit diesem Sprachlehrer ab, einem Dissidenten. Warum? Was hatte diese Münze in ihrer Wohnung zu suchen? Waren denn nicht die sechs anderen in dem Geständnis Erwähnten verhaftet und erfolgreich verhört worden? Die Liste hatte sich als echt erwiesen, und Raisas Name stand darauf. Doch, sie war eine Spionin, und hier in seiner Tasche hatte er den Beweis dafür, die Kupfermünze. Er brauchte nur diese Münze auf den Schreibtisch zu legen und zu empfehlen, dass man sowohl sie als auch Iwan Tschukow zum Verhör abholte. Man hatte ihn zum Narren gehalten. Wassili hatte recht, sie war eine Verräterin. Und das Kind war von einem anderen. Hatte er nicht immer schon gewusst, dass sie ihm untreu war? Sie liebte ihn nicht, da war er sich sicher. Warum sollte er alles für sie riskieren? Für eine Frau, die ihm die kalte Schulter zeigte, ihn bestenfalls tolerierte. Sie war eine Bedrohung all dessen, wofür er gearbeitet hatte, alles, was er für seine Eltern und sich selbst erreicht hatte. Sie war eine Bedrohung für das ganze Land, sein Land, für dessen Verteidigung Leo gekämpft hatte.