»Bitte!« sagte sie leise. »Wir haben bereits darüber gesprochen. Ich bin so müde heute.«
»Es tut mir leid.« Er verfluchte sich selbst, daß er sie so bedrängte. Sein alter Fehler, Zartgefühl war nicht seine Stärke. »Fühlst du dich nicht wohl?«
»Nur müde«, erwiderte sie. Sie schien sich zu bemühen, mehr Energie zu zeigen, als in ihr war. Sie winkte, und einer ihrer Betas begann einen Stapel von glänzenden Metallreifen zu montieren, die geheimnisvoll um eine verborgene Achse rotierten. Eine neue Skulptur? fragte sich Krug. Ein zweiter Android rückte die Wände, und ein Strahl von warmem bernsteinfarbenen Licht fiel auf ihn und Clarissa. Musik erklang in der Luft aus mikroskopischen glitzernden Lautsprechern, die, fein wie eine Staubwolke, im Garten schwebten. Clarissa sagte überlaut: »Wie geht es deinem Turm?«
»Wunderbar. Wunderbar. Du solltest ihn sehen.«
»Vielleicht werde ich nächste Woche kommen. Wenn es nicht zu kalt ist dort oben. Ist er schon fünfhundert Meter hoch?«
»Höher. Wächst ständig. Nur nicht schnell genug. Ich erwarte schmerzhaft, daß er fertig wird, Clarissa, daß ich ihn benutzen kann. Ich bin krank vor Ungeduld.«
»Du siehst heute ein wenig abgespannt aus«, sagte sie. »Fiebrig, innerlich erregt. Du solltest dich manchmal ausruhen.«
»Ich? Mich ausruhen? Warum? Bin ich so alt?« Er wurde sich bewußt, daß er heftig geworden war. Er fuhr in ruhigerem Ton fort: »Vielleicht hast du recht. Ich weiß nicht. Ich gehe jetzt besser. Ich will dich nicht stören. Wollte nur einen kleinen Besuch machen. Sage Manuel, es war nichts Besonderes. Nur um guten Tag zu sagen. Wann habe ich ihn überhaupt das letztemal gesehen? Vor zwei, drei Wochen? Nicht seit er aus diesem Egotauschinstitut kam. Ein Mann kann wohl von Zeit zu Zeit seinen Sohn besuchen.« Impulsiv griff er nach ihr, zog sie an sich. Er fühlte sich wie ein Bär, der eine Nymphe umarmt. Ihre Haut war kalt unter dem Schleiergewand. Sie bestand nur aus Haut und Knochen. Er könnte sie mit einem schnellen Griff entzweibrechen. Wieviel wog sie? Fünfzig Kilo? Weniger? Der Körper eines Kindes. Vielleicht konnte sie gar keine Kinder zur Welt bringen. Krug ertappte sich, daß er sie sich mit Manuel im Bett vorzustellen versuchte, schob den Gedanken erschrocken beiseite. Er küßte sie auf ihre kalte Wange. »Paß auf dich auf«, sagte er. »Wir beide werden auf uns aufpassen, uns gründlich ausruhen. Grüße Manuel von mir.«
Er eilte zur Transmatkabine. Wohin jetzt? Krug fieberte. Seine Wangen glühten. Er trieb hilflos am breiten Busen des Meeres. Koordinaten taumelten durch sein Gehirn. Blind wählte er eine Kombination, fütterte sie In die Maschine. Piep-piep-piep. Das skandierte Zischen des verstärkten Sternensignals zehrte an seinem Gehirn. 2-5-1, 2-3-1. 2-1. Hallo? Hallo? Die Thetaenergie verschlang ihn.
Er landete im Innern einer riesigen muffigen Höhle.
Undeutlich sah er Dutzende von Kilometern über sich ein Dach. Die metallischen, reflektierenden, gelbbraunen Wände strebten in einer Kurve nach oben, um an einem fernen Punkt zusammenzustoßen. Eine riesige Kuppel. Grelle Lichter flammten und flackerten. Scharfkantige Schatten bewegten sich. Die Luft war erfüllt von den Geräuschen einer Baustelle. Es wimmelte von geschäftigen Androiden. Sie umdrängten ihn, schauten ehrfürchtig zu ihm auf, stießen sich gegenseitig an, flüsterten: »Krug… Krug… Krug…« Warum sehen Androiden mich immer so scheu an? Er maß sie mit finsterem Blick. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Seine Beine wurden schwach. Er müßte Spaulding um eine Abkühlungspille bitten, aber Spaulding war anderswo. Krug reiste heute allein. Ein Alpha trat auf ihn zu. »Wir wurden nicht informiert, uns auf das Vergnügen dieses Besuches vorzubereiten, Mr. Krug.«
»Es war nur ein plötzlicher Einfall. Wollte nur hereinschauen. Bitte… dein Name…«
»Romulis Fusion, Sir.«
»Wie groß ist die Belegschaft hier, Alpha Fusion?«
»Siebenhundert Betas, Sir, und neuntausend Gammas. Die Alphagruppe ist sehr klein. Wir sind auf Sensoren angewiesen für den größten Teil der Kontrollfunktionen. Soll ich Sie herumführen? Möchten Sie die neuen Mondautos sehen? Die Jupitersonden? Vielleicht das Raumschiff?«
»Das Raumschiff, ja, das Raumschiff.« Krug begriff. Er war in Denver, im nordamerikanischen Fahrzeugmontagezentrum des Krug-Konzerns. In dieser riesigen Katakombe wurden viele Typen von Transportgeräten hergestellt, die alle Bedürfnisse beifriedigten, denen das Transmatsystem nicht gewachsen war: Seetransportschiffe, Atmosphärengleiter, Stratosphärengleiter, Schlepper für überschwere Lasten; auch Geräte zur Verwendung auf Welten mit hohem Druck, von Ionen angetriebene Schiffe für kurze Raumfahrten, interstellare Sonden, Schwerkraftglocken, Himmelstaucher, Kleinbahnen, Sonnensonden. Hier arbeitete seit sieben Jahren ein ausgewählter technischer Stab am Prototyp des ersten bemannten Raumschiffs für interstellare Expeditionen. Seit er mit dem Bau des Turms begonnen hatte, war das Raumschiff ein Stiefkind unter Krugs Projekten geworden.
»Das Raumschiff«, sagte Krug. »Ja. Bitte, schauen wir es uns an.«
Die Betas wichen ehrerbietig zurück, als Romulus Fusion ihn zu einem kleinen tropfenförmigen Gleiter führte. Mit dem Alpha am Steuer fuhren sie geräuschlos durch die Montagehallen, vorbei an Fließbändern mit halbfertigen Fahrzeugen jeder Art, glitten eine Rampe hinunter, die zu einem noch tieferen Stockwerk dieser unterirdischen Werkstatt führte. Der Gleiter hielt. Sie stiegen aus.
»Hier«, sagte Romulus Fusion.
Krug sah ein seltsames, hundert Meter langes Fahrzeug, auf beiden Seiten von seiner nadelscharfen Nase bis zu seinem gedrungenen Schwanzende mit Flossen besetzt. Der dunkelrote Rumpf schien aus zusammengebackenem Geröll geformt zu sein. Seine Oberfläche war rauh und knotig. Fenster waren keine zu sehen. Die Masseinjektoren waren konventionell in der Form, rechtwinklige, nach hinten geöffnete Schlitze.
Romulus Fusion sagte: »Es wird in drei Monaten zum ersten Probeflug fertig sein. Wir rechnen mit einer stetigen Beschleunigungsleistung von 2,4 g, was das Schiff relativ schnell auf nahezu Lichtgeschwindigkeit bringen wird. Wollen Sie das Innere besichtigen?«
Krug nickte. Die Ausstattung des Schiffes war bequem und keineswegs ungewöhnlich; er sah ein Kontrollzentrum, Erholungsräume, eine Kraftstation, Dinge, die in jedem Raumschiff zu finden waren. »Es kann eine Besatzung von acht Mann aufnehmen«, sagte der Alpha zu ihm. »Während des Fluges umgibt ein automatisches Ablenkungsfeld das Schiff, um alle freifliegenden Partikel abzuwehren, die natürlich ungeheuer gefährlich sein könnten bei solchen Geschwindigkeiten. Das Schiff steuert sich automatisch; es braucht keine Überwachung. Dies sind die Behälter für die Besatzung.« Romulus Fusion zeigte auf vier Doppelreihen Gefrierzellen mit Vorderseiten aus schwarzem Glas, die, jeder zweieinhalb Meter lang und einen Meter breit, an der Wand befestigt waren. »Wir wenden die konventionelle Lebensunterbrechungstechnologie an«, sagte er. »Das Kontrollsystem des Schiffs beginnt auf ein Signal der Mannschaft oder der Bodenstation hin automatisch die hochverdichtete Kühlflüssigkeit in die Behälter zu pumpen, und die Körpertemperaturen der Besatzungsmitglieder werden gesenkt bis auf den gewünschten Grad. Sie überdauern die Reise in dieser Kühlflüssigkeit, die dem doppelten Zweck dient, den Lebensprozeß zu verlangsamen und die Besatzung gegen die Wirkungen der stetigen Beschleunigung abzuschirmen. Die Aufhebung der Lebensunterbrechung ist ebenso einfach. Eine maximale Tiefschlafperiode von vierzig Jahren ist geplant; im Falle längerer Reisen wird die Besatzung alle vierzig Jahre geweckt, einem Training, ähnlich dem bei neuen Androiden angewandten, unterzogen, und kehrt nach kurzem Wachsein wieder zurück in die Behälter. Auf diese Weise kann die gleiche Besatzung eine Reise von praktisch unbeschränkter Dauer durchführen.«