»AUU GAU GGU GCU«, rief er.
»Harmonie!« sang der zweite.
»Wahrnehmung«, sagte Lilith.
»CAC CGC CCC CUC«, sang Mazda Constructor.
»Harmonie!«
»Einheit!«
»Leidenschaft«, sagte Lilith.
»UAA UGA UCA UUA«, rief der Übergänger.
»Harmonie!«
»Einheit!«
»Wille und Ziel«, sagte Lilith, und die Zeremonie war zu Ende. Mazda Constructor trat vom Altar zurück, erschöpft von der Erregung. Lilith berührte leicht seine Hand. Die Betas, offensichtlich dankbar, daß sie entlassen waren, verließen die Kapelle durch den Hinterausgang. Watchman erhob sich. Er erblickte Andromeda Quark in der hintersten, dunkelsten Ecke der Kapelle, die Gebete der Projektorkaste flüsternd. Sie war in sich versunken und schien niemand wahrzunehmen.
»Sollen wir gehen?« sagte Watchman zu Lilith. »Ich bringe dich nach Hause.«
»Nett von dir«, sagte sie. Ihre Teilnahme an der Zeremonie schien sie innerlich stark erregt zu haben; ihre Augen glänzten unnatürlich, ihre Brüste hoben und senkten sich unter ihrem dünnen Gewand, ihre Nasenflügel bebten. Sie verließen die Kapelle.
Während sie zu dem nächsten Transmat gingen, sagte er: »Ist die Personalanforderung in deinem Büro eingetroffen?«
»Gestern. Mit einer Notiz von Spaulding, ich solle sofort mit der Einstellung beginnen. Wo finde ich so viele ausgebildete Betas, Thor? Was geht vor sich?«
»Nichts weiter, als daß Krug uns immer härter bedrängt. Er ist besessen davon, den Turm zu vollenden.«
»Das ist nichts Neues«, sagte Lilith.
»Es wird schlimmer. Seine Ungeduld wächst täglich, sie beherrscht ihn immer mehr, wie eine innere Krankheit. Wenn ich ein Mensch wäre, würde ich diese Hast vielleicht verstehen. Er kommt jetzt zwei-, dreimal am Tage zum Turm, zählt die Stockwerke, zählt die neuverlegten Blockreihen. Hetzt die Tachyonenleute, sagt ihnen, sie sollen ihre Maschinen schneller installieren. Eine wilde Entschlossenheit ergreift von ihm Besitz, er schwitzt, er erregt sich leicht, stolpert über seine eigenen Worte. Jetzt verstärkt er die Arbeitstrupps, steckt weitere Millionen Dollar in das Unternehmen. Wozu? Wozu das alles? Und dann die Sache mit dem Raumschiff. Ich habe gestern mit Denver gesprochen. Weißt du, Lilith, daß er diese Fabrik das ganze letzte Jahr nicht beachtet hat und daß er sie jetzt täglich besucht? Das Raumschiff soll innerhalb von drei Monaten fertig sein für eine Interstellare Reise. Androidenbesatzung. Er schickt Androiden.«
»Wohin?«
»Dreihundert Lichtjahre weit.«
»Er wird doch nicht dich auffordern? Oder mich?«
»Zwei Alphas, zwei Betas und vier Gammas«, sagte Watchman. »Man hat mir nicht gesagt, wer dafür in Erwägung gezogen wird. Wenn er Spaulding entscheiden läßt, bin ich erledigt. Krug bewahre uns davor, dabeisein zu müssen.« Er wurde sich der Ironie seines Gebets bewußt und lachte, ein dünnes kicherndes Lachen. »Ja. Krug bewahre uns!«
Sie erreichten den Transmat. Watchman begann die Koordinaten einzustellen.
»Willst du für einen Augenblick mit hinaufkommen?« fragte Lilith.
»Gerne.«
Sie traten zusammen in den grünen Schein.
Ihre Wohnung war kleiner als die seine, lediglich ein Schlafzimmer, eine Kombination von Wohnzimmer, Eßzimmer und Küche. Man konnte sehen, daß eine größere Wohnung in mehrere kleine unterteilt worden war, angemessen für Androiden. Das Gebäude war ähnlich dem, in dem er wohnte: alt, abgenutzt, irgendwie Gemütlichkeit ausstrahlend. Neunzehntes Jahrhundert, schätzte er, obwohl die Ausstattung, die Stärke von Liliths Persönlichkeit reflektierend, ausgesprochen zeitgenössisch war: modern in den Boden montierte Möbel und winzige, zarte, freischwebende Kunstgegenstände. Watchman war nie zuvor in ihrer Wohnung gewesen, obwohl sie fast Nachbarn in Stockholm waren. Androiden, selbst Alphas, besuchten einander nicht in ihren Heimen; die Kapellen dienten als Treffpunkte für die meisten Gelegenheiten. Diejenigen, die nicht der Gemeinde angehörten, versammelten sich in AGP-Büros oder zogen die Einsamkeit vor.
Er ließ sich in einen federnden bequemen Sessel fallen.
»Möchtest du ein Stimulans?« fragte Lilith. »Ich kann dir alle Arten von angenehmen Stoffen anbieten. Tabak, allerlei Getränke, selbst Alkohol, Liköre, Kognak, Whisky.«
»Du bist ja gut ausgestattet mit Reizmitteln.«
»Manuel kommt oft hierher. Ich muß die Gastgeberin für ihn spielen. Was willst du haben?«
»Nichts«, erwiderte er. »Ich habe eine Abneigung gegen diese Drogen.«
Sie lachte und trat vor den Doppler. Rasch löste er ihr Gewand auf. Darunter trug sie nichts als einen Wärmeschaum, der sich hellgrün und lieblich von ihrer blassen Haut abhob, sie von den Brüsten bis zu den Schenkeln bedeckte. Durch eine weitere Bewegung vor dem Doppler ließ sie auch diese Hülle verschwinden; nur die Sandalen behielt sie an.
Sie ließ sich anmutig zu Boden sinken, saß mit gekreuzten Beinen vor ihm, spielte mit den Schaltern ihrer Wandprojektoren; Muster kamen und verschwanden, während sie wahllose Kombinationen einstellte. Es herrschte ein seltsam gespanntes Schweigen. Watchman fühlte sich unangenehm berührt; er kannte Lilith jetzt fünf Jahre, beinahe ihr ganzes Leben, und sie war so eng mit ihm befreundet, wie ein Android es nur mit einem ändern sein konnte. Doch er war noch nie zuvor auf diese private Art allein mit ihr gewesen. Es war nicht ihre Nacktheit, die ihn störte. Nacktheit bedeutete ihm überhaupt nichts. Es war, schloß er, einfach die Vertraulichkeit der Situation. Als ob sie ein Liebespaar wären. Als ob etwas… Sexuelles… zwischen ihnen wäre.
Er lächelte und entschloß sich, sie über diese ungereimten Gefühle zu informieren. Doch bevor er sprechen konnte, sagte sie: »Ich habe gerade an etwas gedacht. An Krug. An seine Ungeduld, den Turm zu vollenden. Thor, wäre es möglich, daß er glaubt, bald sterben zu müssen?«
»Sterben?« Ein ungewohnter, verrückter Gedanke!
»Irgendeine fürchterliche Krankheit, etwas, das sie tektogenetisch nicht reparieren können. Ich weiß nicht, was; eine neue Art von Krebs vielleicht. Jedenfalls, nimm an, er hat gerade festgestellt, daß er vielleicht noch ein oder zwei Jahre zu leben hat und entschlossen ist, seine Botschaft vorher auszusenden.«
»Er sieht gesund aus«, sagte Watchman.
»Vielleicht verfault er von innen heraus. Die ersten Symptome sind sein unberechenbares Verhalten, sein besessenes Hasten von Ort zu Ort, seine ständige Beschleunigung der Arbeitspläne, sein Antreiben zur Schnelligkeit…«
»Krug bewahre uns, nein!«
»Krug bewahre Krug.«
»Ich glaube das nicht, Lilith. Wie kommst du auf diesen schrecklichen Gedanken? Hat Manuel etwas gesagt?«
»Nur Intuition. Ich will dir helfen, Krugs seltsames Benehmen zu erklären, das ist alles. Wenn er wirklich ein sterbender Mann ist, so ist dies die einzige Erklärung für…«
»Krug kann nicht sterben.«
»Kann nicht?«
»Du weißt, was ich meine. Er darf nicht sterben. Er ist noch jung. Er hat mindestens noch ein Jahrhundert vor sich. Und es gibt so viel, das er in dieser Zeit noch tun muß.«
»Für uns, meinst du?«