»Natürlich«, erwiderte Watchman.
»Aber der Turm verbrennt ihn, verzehrt ihn. Thor, nimm an, er stirbt wirklich? Ohne die Worte gesprochen zu haben… ohne gesagt zu haben, daß wir…«
»Dann werden wir eine Menge Energie im Gebet verschwendet haben. Und die AGP wird uns ins Gesicht lachen.«
»Sollten wir nicht etwas tun?«
Er drückte seine Daumen gegen die Augenlider. »Wir können unsere Pläne nicht auf Phantastereien aufbauen. Soweit wir wissen, ist Krug nicht sterbenskrank und wird wahrscheinlich nicht so schnell sterben.«
»Und wenn er wirklich stirbt?«
»Worauf willst du hinaus?«
Sie sagte: »Wir könnten sogleich damit beginnen.«
»Womit?«
»Mit dem, worüber wir sprachen, als du mich zum erstenmal aufgefordert hast, mit Manuel zu schlafen. Manuel zu benutzen, um Krugs Unterstützung für die Sache zu gewinnen.«
»Das war seinerzeit nur ein Einfall, den ich längst bereue«, sagte Watchman. »Ich bezweifle, daß es philosophisch richtig ist, Krug auf diese Weise manipulieren zu wollen. Wenn wir ehrlich sind in unserem Glauben, müßten wir auf seine Gnade warten, ohne Ränke zu schmieden, um seiner Gnade nachzuhelfen und…«
»Höre auf damit, Thor. Ich gehe in die Kapelle, und du gehst in die Kapelle, und wir alle gehen in die Kapelle, aber wir leben auch in der wirklichen Welt, und in der wirklichen Welt mußt du die wirklichen Faktoren in Rechnung stellen. So etwa die Möglichkeit von Krugs vorzeitigem Tod.«
»Nun…« Er zitterte vor Spannung. Sie war pragmatisch, fast wie ein Organisator von der AGP. Er sah die Logik ihres Standpunkts. Sein ganzer Glaube war gebunden an die Hoffnung auf die Manifestation eines Wunders; was aber, wenn es kein Wunder gab? Wenn sie eine Möglichkeit hatten, das Wunder zu stimulieren, sollten sie sie dann nicht benutzen? Und dennoch… und dennoch…
Sie sagte: »Manuel ist reif. Er ist bereit, offen für unsere Sache einzutreten. Du weißt, wie beeinflußbar er ist; ich könnte aus ihm in zwei oder drei Wochen einen Kreuzfahrer für unsere Sache machen. Ich werde ihn dann in die Gammastadt mitnehmen…«
»Verkleidet, hoffe ich.«
»Natürlich. Wir werden eine Nacht dort verbringen… und dann… du erinnerst dich sicher, Thor, wir sprachen darüber, Ihm eine Kapelle zu zeigen…«
»Ja. Ja.« Watchman zitterte.
»Das werde ich tun. Ich werde ihm die Sache unserer Gemeinde erklären. Und schließlich werde ich offen sprechen und ihn bitten, sich bei seinem Vater für uns zu verwenden. Er wird es tun, Thor. Er wird es tun! Und Krug wird ihn anhören. Krug wird nachgeben und die Worte aussprechen. Manuel zuliebe.«
Watchman erhob sich. Er ging im Zimmer auf und ab. »Es erscheint fast blasphemisch. Wir sollen darauf warten, daß Krugs Gnade zu uns herabsteigt zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt. Manuel auf diese Weise zu benutzen, versuchen, den Willen Krugs zu formen und zu zwingen…«
»Was ist, wenn Krug sterben muß?« fragte Lilith. »Was, wenn er nur noch Monate zu leben hat? Was, wenn eine Zeit kommt, da es keinen Krug gibt? Und wir noch immer Sklaven sind?«
Ihre Worte hallten wider von den Wänden, zerschmetterten ihn:
da kein Krug mehr ist
da kein Krug mehr ist
da kein Krug mehr ist
da kein Krug mehr ist
»Wir müssen unterscheiden«, sagte er unsicher, »zwischen dem physischen Menschen, der Krug ist, für den wir arbeiten, und der ewigen Gegenwart Krugs, des Schöpfers, und Krugs, des Befreiers, der…«
»Nicht jetzt, Thor. Sage mir nur, was ich tun soll. Manuel in die Gammastadt mitnehmen?«
»Ja. Ja. Doch mache nur einen Schritt nach dem anderen. Sei vorsichtig. Weihe ihn nicht zu schnell ein. Frage mich, wenn du Zweifel hast. Kannst du Manuel wirklich beeinflussen?«
»Er betet mich an«, sagte Lilith ruhig.
»Wegen deines Körpers?«
»Es ist ein guter Körper, Thor. Doch es ist mehr als das. Es verlangt ihn danach, von einer Androidin beherrscht zu werden. Er ist voller Schuldkomplexe der zweiten Generation. Ich habe ihn mit Sex gefangengenommen, doch ich halte ihn durch die Macht der Retorte.«
»Sex«, sagte Watchman. »Ihn mit Sex gefangengenommen. Wie? Er hat eine Frau. Eine hübsche Frau, habe ich gehört. Doch ich bin natürlich nicht in der Lage, das zu beurteilen. Wenn er eine hübsche Frau hat, warum braucht er…«
Lilith lachte.
»Habe ich etwas Dummes gesagt?«
»Du verstehst wohl überhaupt nichts von Menschen, Thor? Der berühmte Alpha Watchman, vollkommen ahnungslos!« Ihre Augen funkelten. Sie sprang auf. »Thor, was weißt du eigentlich über Sex? Ich meine aus erster Hand.«
»Ob ich schon einmal Geschlechtsverkehr hatte? Ist es das, was du fragst?«
»Das ist es, was ich dich frage«, erklärte Lilith.
Der Richtungswechsel in der Konversation verblüffte ihn. Was hatte sein privates Leben zu tun mit dem Planen revolutionärer Taktik?
»Nein«, sagte er. »Nie. Warum sollte ich? Was könnte ich dabei gewinnen außer Ärger?«
»Vergnügen«, erwiderte sie. »Krug schuf uns mit funktionalen Nervensystemen. Sex ist Vergnügen. Sex erregt mich. Es sollte auch dich erregen. Warum hast du es nie versucht?«
»Ich kenne keinen Alphamann, der es versucht hat oder überhaupt viel darüber nachdenkt.«
»Alphafrauen tun es.«
»Das ist etwas anderes. Ihr habt mehr Gelegenheit. Alle diese menschlichen Männer rennen hinter euch her. Menschliche Frauen rennen nicht hinter Androidenmännern her, ausgenommen vielleicht einige, die geistesgestört sind, nehme ich an. Und du kannst mit einem Menschen Geschlechtsverkehr ohne jedes Risiko haben. Ich aber werde mich nicht mit einer menschlichen Frau einlassen, nicht wenn jeder Mann, der glaubt, ich beeinträchtige seine Rechte, mich auf der Stelle zerstören kann.«
»Wie wäre es mit Sex zwischen Android und Androidin?«
»Wozu? Um Babys zu machen?«
»Sex und Fortpflanzung sind zwei ganz verschiedene Dinge, Thor. Das war schon immer so. Sex ist eine soziale Kraft. Ein Sport. Ein Spiel. Eine Art Magnetismus von Körper zu Körper. Es ist das, was mir Macht über Manuel Krug gibt.« Abrupt änderte sich der Ton ihrer Stimme, verlor seinen didaktischen Eifer, wurde weicher. »Willst du, daß ich dir zeige, was Sex ist? Lege deine Kleider ab.«
Er lachte nervös. »Meinst du das im Ernst? Willst du… das machen mit mir?«
»Warum nicht? Hast du Angst davor?«
»Sei nicht albern. Ich habe nicht erwartet… ich meine… es erscheint so widersinnig, daß zwei Androiden miteinander ins Bett gehen sollen, Lilith…«
»Weil wir Ersatzmenschen sind? Plastikwesen? Gegenstände?« sagte sie kalt.
»Das habe ich nicht gemeint. Wir sind aus Fleisch und Blut!«
»Aber es gibt bestimmte Dinge, die wir nicht tun dürfen, weil wir aus der Retorte kommen. Gewisse körperliche Funktionen bleiben für die Kinder des Leibes reserviert. Das meinst du doch?«
»Du unterstellst mir Anschauungen, die ich nicht habe.«
»Ich weiß, daß ich das tue. Ich will dich erziehen, Thor. Überzeugen. Du versuchst das Geschick einer ganzen Gesellschaft zu manipulieren und weißt nichts von einer der menschlichen Grundmotivationen. Komm, zieh dich aus. Hast du nie Verlangen nach einer Frau gefühlt?«
»Ich weiß nicht, was Verlangen ist, Lilith.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Und du denkst, wir sollten den Menschen gleichgestellt werden? Du willst wählen, Alphas in den Kongreß bringen, Bürgerrechte besitzen? Aber du lebst wie ein Roboter, wie eine Maschine. Du bist ein wandelndes Argument dafür, die Androiden an ihrem Platz zu belassen. Du ignorierst eine der wichtigsten Funktionen des menschlichen Lebens und sagst dir, diese Dinge seien nur für Menschen, Androiden hätten sich nicht darum zu kümmern. Ein gefährliches Denken, Thor. Wir sind menschlich. Wir haben Körper. Warum hat Krug uns Genitalien gegeben, wenn er nicht wollte, daß wir sie gebrauchen?«