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Nein. Nein. Natürlich nicht, Alpha Meson.

Ich habe auch nicht geglaubt, daß du so denkst, sagt Lilith.

Der Slobiesüchtige umkreist uns mit entnervender Langsamkeit, singt etwas so langsam, daß ich unfähig bin, die einzelnen Silben miteinander zu verbinden und einen Sinn herauszuhören. Er bleibt stehen. Ein eisiges Lächeln breitet sich unendlich langsam auf seinem Gesicht aus. Er gibt ein grollendes Knurren von sich. Er sinkt ungelenk in Hockstellung. Seine Hand hebt sich mit gekrümmten Fingern wie eine Klaue. Sie ist offensichtlich auf Liliths Brust gerichtet. Keiner von uns bewegt sich.

Jetzt verstehe ich das Singsang des Gammas:

A…A…A…A…A…G…A…A…

C…A…A…U…

Was versucht er zu sagen?

Lilith schüttelt den Kopf. Es ist nicht wichtig, sagt sie.

Sie tritt zurück, als die zeigende Hand nur noch zehn Zentimeter von ihrem Busen entfernt ist. Auf dem Gesicht des Gammas beginnt Unmut an die Stelle des Lächelns zu treten. Er scheint verletzt. Sein Gesang nimmt einen fragenden Ton an:

A…U…A…A…U…G…A…

U…C…A…U…U…

Das Geräusch langsamer, schleppender Schritte näherte sich von hinten. Es ist ein zweiter Slobiesüchtiger: ein Mädchen, bekleidet mit einem zerfetzten, langen Mantel, der von ihrer Schulter herabhängt, und den sie wie eine Schleppe mehrere Meter hinter sich herschleift. Er ist vorn geöffnet, ihre Schenkel und Lenden sind nackt. Sie hat ihr Haar grün gefärbt und es in Form einer Tiara hochgebunden. Ihr Gesicht ist verwüstet und bleich und ihre Augen sind kaum geöffnet. Ihre Haut ist naß vor Schweiß. Sie schwebt auf unsern Freund zu und sagt etwas zu ihm mit einer verblüffenden Baritonstimme. Er antwortet wie im Traum. Ich kann nichts von dem verstehen, was sie sagen. Ist es wegen der verlangsamenden Droge oder sprechen sie einen Gammadialekt? Etwas Häßliches scheint sich anzubahnen. Ich nicke Lilith zu, schlage ihr mit einer Geste vor, daß wir gehen sollen, doch sie schüttelt den Kopf. Bleibe. Beobachte sie.

Die Süchtigen vollführen einen grotesken Tanz, sich mit den Fingerspitzen berührend, heben sie die Knie und lassen sie wieder sinken. Eine Gavotte für Marmorstatuen. Ein Menuett für ausgestopfte Elefanten.

Sie singen einander an. Sie umkreisen einander. Die Füße des Mannes verwickeln sich in den nachschleifenden Mantel des Mädchens. Sie bewegt sich. Er bleibt stehen. Der Mantel fällt von ihren Schultern. Das Mädchen steht nackt auf der Straße. Zwischen ihren Brüsten hängt an einer grünen Schnur ein Messer. Ihr Rücken ist kreuz und quer mit Narben bedeckt. Ist sie gegeißelt worden? Ihre Nacktheit erregt mich. Ich sehe, wie sich ihre Brustwarzen langsam aufrichten. Der Mann nähert sich der Frau. Mit schmerzlicher Langsamkeit hebt er die Hand und greift nach dem Messer. Ebenso langsam läßt er es sinken und berührt mit dem kalten Metall die Lenden des Mädchens, ihren Bauch, ihre Stirn. Das heilige Zeichen. Lilith und ich stehen an der Mauer, nahe dem Eingang zu der Praxis des Arztes. Das Messer bereitet mir Unbehagen.

Laß mich es ihm wegnehmen, sage ich.

Nein. Nein. Du bist nur Besucher hier. Das geht dich nichts an.

Dann laß uns gehen, Lilith.

Warte, schau zu.

Unser Freund singt wieder. Eine wirre Folge von Buchstaben, wie zuvor. U…C…A…U…C…G…U…C…C…

Sein Arm holt aus, bewegt sich wieder nach vorn. Die Spitze des Messers zielt auf den Magen des Mädchens. An der Spannung seiner Muskeln sehe ich, daß der Stoß volle Kraft haben wird. Dies ist kein Tanzschritt. Die Klinge ist nur noch wenige Zentimeter von ihrem Leib entfernt, als ich vorstürze und sie ihm aus der Hand schlage.

Er beginnt zu stöhnen. Die Frau begreift noch nicht, daß sie gerettet worden ist. Sie gibt ein tiefes dröhnendes Bellen von sich, das vielleicht ein Schrei sein soll. Sie fällt zu Boden, umfaßt ihre Brüste mit der einen Hand, stößt die andere zwischen ihre Schenkel. Sie windet sich in langsamen Bewegungen.

Du hättest dich nicht einmischen sollen, sagt Lilith wütend. Komm jetzt, es ist besser, wir gehen.

Aber er hätte sie getötet!

Nicht deine Sache. Nicht deine Sache.

Sie packt mich beim Handgelenk. Ich drehe mich um. Wir entfernen uns. Aus den Augenwinkeln sehe ich, daß die Frau aufsteht. Das grelle Licht der Reklame des Arztes Poseidon Musketier schimmert auf ihren nackten Hüften. Lilith und ich machen zwei Schritte. Dann hören wir ein Grunzen. Wir schauen zurück. Das Mädchen ist aufgestanden, hat das Messer in der Hand, und hat es in den Bauch des Mannes gestoßen. Langsam zieht sie es durch sein Fleisch von der Hüfte bis zur Brust. Seine Eingeweide quellen hervor, und er wird sich dessen nur langsam bewußt. Er setzt zu einem gurgelnden Schrei an.

Jetzt müssen wir gehen, sagt Lilith. Wir eilen zu der Ecke. Als wir sie erreichen, drehe ich mich noch einmal um. Die Tür des Alpha Musketier hat sich geöffnet. Eine hagere Gestalt, groß wie ein Alpha, mit einer Mähne wilden grauen Haars und hervorstehenden Augen, steht in ihr. Ist es der berühmte Arzt? Er läuft zu den Slobiesüchtigen. Die Frau kniet vor ihrem Opfer, das noch nicht gefallen ist. Sein Blut färbt ihre schimmernde Haut purpurn. Sie singt: G! A! A! G! A! G! G! A! C!

Hier hinein, sagt Lilith, und wir betreten einen niedrigen dunklen Gang.

Eine Treppe. Trockener Geruch von Fäulnis und Verwesung. Spinnweben. Wir tauchen in unbekannte Tiefen. In der Ferne, tief unten, glühen gelbe Lichter. Wir gehen hinunter und hinunter und hinunter.

Wo sind wir? frage ich.

Ein Sicherheitstunnel. Gebaut während des Gesundheitskrieges vor zweihundert Jahren, Teil eines Systems, das unter ganz Stockholm verläuft. Die Gammas haben es übernommen.

Eine Kloake.

Ich höre kurze Ausbrüche von Gelächter, Gesprächsfetzen. Es gibt Läden hier unten, vergitterte Schaufenster, hinter denen kleine Lampen qualmen und flackern. Gammas laufen hin und her. Einige von ihnen machen das Eins-zwei-drei-Zeichen, als sie an uns vorübergehen. Getrieben von einer Furcht, die ich nicht verstehe, zieht Lilith mich hastig mit sich. Wir gehen durch weitere Tunnel, betreten einen Durchgang, der zu einem anderen Tunnel führt.

Drei Slobiesüchtige tanzen vorbei. Ein männlicher Gamma, das Gesicht mit roten und blauen Streifen bemalt, macht Halt und beginnt zu singen. Singt er für uns:

Wen soll ich heiraten? Wer wird mich heiraten? Feuer in der stinkenden Retorte Frei fliegendes Feuer. Mein Kopf mein Kopf mein Kopf mein Kopf Mein Kopf

Er kniet nieder und würgt. Eine blaue Flüssigkeit tritt auf seine Lippen, er spuckt sie uns vor die Füße.

Wir gehen weiter. Wir hören einen hallenden Schrei:

Al-pha! Al-pha! Al-pha! Al-pha!

Zwei Gammas begatten sich in einem Alkoven. Ihre Körper sind schweißnaß. Gegen meinen Willen beobachte ich die stoßenden Hüften und lausche dem Klatschen von Fleisch gegen Fleisch. Die Frau trommelt mit den Fäusten auf dem Rücken ihres Partners. Protestiert sie gegen eine Vergewaltigung? Oder ist es Ausdruck ihres Entzückens? Ein Slobie stolpert aus dem Schatten, fällt über sie, und die drei bilden einen Haufen verschlungener Glieder. Lilith zieht mich weg. Ich bin plötzlich voller Verlangen nach ihr. Ich denke an ihre festen Brüste, ihre Hüften, ihren Leib. Ist es möglich? Ich bin plötzlich versessen darauf, einen Alkoven zu suchen und mich mit ihr mitten unter den Gammas zu kopulieren. Ich versuche sie zu umarmen, doch Lilith entzieht sich meiner Berührung. Nicht hier, sagt sie. Nicht hier. Wir müssen die soziale Distanz wahren.

Blendende Lichtkaskaden fallen von der Decke des Tunnels herab. Rosa Blasen erscheinen und zerplatzen, sauren Geruch verbreitend. Ein Dutzend Gammas stürzen aus einem Seitengang, bleiben bestürzt stehen, als sie begreifen, daß sie beinahe mit zwei Alphas zusammengestoßen wären, machen Zeichen der Verehrung und rennen weiter, rufen, lachen, singen.