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»Ich sprach ganz im allgemeinen von der Übernahme des Brauchs.«

»Ich spreche im besonderen. Wir brauchen nicht der AGP beizutreten, um getraut zu werden. Ich werde mit Alpha Konstructor und Alpha Dispatcher sprechen, und wir werden die Trauungszeremonie in der Gemeinde abhalten und uns heute abend in der Kapelle trauen lassen. Einverstanden?«

»Mach darüber keine Witze, Thor.«

»Das ist mein Ernst.«

»Du bist wütend, und du weißt nicht, was du redest. Vor zwei Minuten hast du mir noch gesagt, du hältst die Ehe zwischen Androiden für absurd. Jetzt willst du, daß wir uns in der Gemeinde trauen lassen. Du kannst es nicht ernst meinen, Thor.«

»Willst du mich nicht heiraten? Mache dir keine Sorgen, ich würde mich nicht in deine Affäre mit Manuel einmischen. Ich bin nicht für Alleinbesitzanspruch programmiert, aber wir könnten zusammen wohnen, zusammen leben, wir könnten…«

»Hör auf damit, Thor!«

»Warum?«

»Was zwischen uns existiert, kann weiterexistieren ohne Ehe. Du weißt das. Ich weiß das. Ich wollte dir keinen Antrag machen. Ich habe nur versucht, dir etwas über Siegfried Fileclerk zu sagen, über die Natur seiner Gefühle, die Komplexität seiner Beziehung zu Alpha Nukleus, sowie über die Einstellung der AGP zu…«

»Genug. Genug.« Watchman hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen. »Ende der Konversation. Ich bin froh, daß du Siggie Fileclerk nicht verführen konntest, und erstaunt, daß die AGP für die Ehe eintritt, und jetzt ist Schluß. Verstanden?«

»Du bist in schlechter Stimmung heute, Thor.«

»Das bin ich.«

»Warum? Kann ich etwas für dich tun, dir helfen?«

»Leo Spaulding hat mir heute etwas gesagt, Lilith. Er sagte, wenn die AGP-Delegation ihre Petition dem Kongreß einreicht, wird Krug eine Erklärung abgeben, in der er die ganze Androidengleichheitsbewegung verdammt und betont, daß er uns überhaupt nie geschaffen hätte, wenn er geahnt haben würde, daß wir eines Tages die Bürgerrechte forderten.«

Lilith hielt den Atem an. Mit Tränen in den Augen machte sie viermal das Krug-bewahre-uns-Zeichen.

»Das ist nicht möglich«, hauchte sie.

»Spaulding berichtete, Krug habe es ihm vor einer Woche gesagt, und zwar im Nemoclub, in Gegenwart des Sprechers Salah al-Din, des Senators Fearon, und einiger anderer Leute. Leon hat mir das natürlich nur beiläufig im Verlauf einer Konversation mitgeteilt, boshaft eingeflochten in ein freundliches Gespräch zwischen Ektogenen und Androiden. Er weiß, daß ich gegen die AGP bin. Er tat so, als tue er mir einen Gefallen, der Bastard!«

»Kann es wahr sein!«

»Natürlich kann es wahr sein. Krug hat nie etwas über die Rolle der Androiden in der Gesellschaft geäußert. Ich habe selbst keine Ahnung von seiner wirklichen Einstellung. Ich habe immer angenommen, daß er mit uns sympathisiert, doch vielleicht habe Ich nur meine eigenen Hoffnungen in ihn projiziert. Die Frage ist nicht, kann es wahr sein, sondern ist es wahr?«

»Würdest du ihn fragen?«

»Ich wage es nicht«, erwiderte Thor. »Ich glaube, daß diese ganze Geschichte Leon Spauldings boshaftem Geist entstammt, daß Krug nicht daran denkt, sein Prinzip, sich nicht in die Politik einzumischen, aufzugeben, sondern daß er, wenn er je eine Erklärung abgibt, sagen würde, daß wir alle hoffen und beten sollen. Doch es entsetzt mich, daran zu denken, daß ich mich irre. Ich habe Angst, Lilith. Eine Anti-Gleichheits-Erklärung aus dem Munde Krugs würde unserem Glauben jede Grundlage entziehen, uns in tiefste Finsternis stoßen. Jetzt weißt du, was mich die ganze Zeit bewegt hat.«

»Mußt du dich nur auf das verlassen, was Spaulding gesagt hat? Kannst du nicht rückfragen bei Senator Fearon oder dem Sprecher? Finde heraus, was wirklich gesagt wurde.«

»Sie nach vertraulichen Einzelheiten von Krugs Tischgesprächen fragen? Du bist wohl nicht bei Trost? Sie würden es umgehend Krug berichten.«

»Aber was willst du dann tun?«

»Krug nötigen, ihn indirekt in unserem Sinne beeinflussen«, erwiderte Watchman. »Ich wünsche, daß du Manuel mitnimmst in die Kapelle.«

»Wann?«

»Sobald du kannst. Verheimliche nichts vor ihm. Zeig ihm alles. Bearbeite sein Gewissen, dann schicke ihn zu seinem Vater, bevor Krug vor dem Kongreß eine Erklärung abgeben kann. Wenn Krug überhaupt beabsichtigt, eine Erklärung abzugeben.«

»Ich werde es tun«, sagte Lilith. »Ja, es wird bestimmt das beste sein.«

Watchman nickte. Er starrte auf den Boden. In seinem Gehirn tickte es schmerzhaft, und in seinem Hals spürte er einen wolligen Knäuel. Er haßte die Intrigen, in die er sich jetzt selbst verwickelte, diese Komplotte und Gegenkomplotte, diese Spekulation auf Manuel Krugs schwachen Willen, diese Annahme, daß Krug… Krug!… durch so einfache Machenschaften manipuliert werden könnte. All dies schien ihm wie eine Verleugnung allen Glaubens. Es war eine zynische Art, mit dem Schicksal zu hadern, und Watchman fragte sich, wie ernsthaft sein Glaube je gewesen war. War es alles Fassade gewesen, das Knien in der Kapelle, das Murmeln der Sprüche, die Versenkung in Krug, die Hingabe, die Gebete – alles nur ein Mittel, sich zu betäuben, die Zeit auszufüllen, bis der Augenblick der Wahrheit kam, die Kontrolle über die Ereignisse zu übernehmen? Watchman verwarf den Gedanken. Doch das ließ ihn mit leeren Händen dastehen. Erwünschte, er hätte dies nie begonnen. Er sehnte sich zurück nach dem Turm, angeschlossen an den Computer, freudig auf der Datenflut reitend. Ist es das, was es heißt, menschlich zu sein? Diese Entscheidungen, die Zweifel, diese Ängste? Warum dann nicht Android bleiben, den göttlichen Plan akzeptieren, dienen und nicht mehr verlangen, sich zurückziehen aus diesen Verschwörungen, diesen widerstreitenden Gefühlen, diesen Stürmen der Leidenschaft? Er beneidete die Gammas, die nichts wollten. Doch er konnte kein Gamma sein. Krug hatte ihm diesen Verstand gegeben. Krug hatte ihn dazu geschaffen, zu zweifeln und zu leiden. Gesegnet sei der Wille Krugs! Watchman erhob sich, ging langsam durch den Raum und schaltete, um sich selbst zu entfliehen, das Holovisionsgerät ein. Das Bild von Krugs Turm leuchtete auf dem Schirm: riesig, glänzend, schön, blitzend im Januarlicht. Eine Schwenkkamera glitt langsam die gesamte Höhe des Turmes hinauf, während der Kommentator über die Erreichung der 1000-Meter-Höhe sprach und den Turm mit den Pyramiden verglich, der großen Mauer Chinas, dem Leuchtturm von Alexandria, dem Koloß von Rhodos. Eine großartige Leistung, die den Weg zur Kommunikation mit anderen Rassen auf fernen Sternen öffnete. Ein Werk von eigener Schönheit, schimmernd und schlank. Die Kamera glitt hinauf und hinunter über die Glasmauern. Das Auge schaute von der Spitze hinunter in den Schacht. Grinsende Gammas winkten zurück. Watchman sah sich selbst, in Probleme vertieft, nicht bemerkend, daß er holovisiert wurde. Und da war Krug, glühend vor Stolz, die Einzelheiten des Turms einer Schar von Senatoren und Industriellen erklärend. Der Schirm schien die Kälte der Tundra auszustrahlen. Die Kamera glitt über die im Permafrost eingebetteten Gefrierstreifen, von denen Nebel aufstieg. Wenn der Boden nicht ständig gefroren gehalten wird, erklärte der Kommentator, ist die Stabilität des Turms nicht gewährleistet. Eine beispiellose Leistung der Umweltbeherrschung. Wunderbar. Ein Denkmal für die Phantasie und die Tatkraft des Menschen. Ja. Ja. Phänomenal. Mit einer impulsiven, heftigen Bewegung schaltete Watchman das Gerät ab. Die schimmernde Silhouette des Turms verblaßte, wurde weggewischt wie ein Traum. Er stand an der Wand, kehrte Lilith den Rücken, versuchte zu begreifen, wie es kam, daß das Leben plötzlich so kompliziert für ihn geworden war. Er hatte menschlich werden wollen. Ja. Hatte er nicht zu Krug gebetet, daß ihm und allen seiner Art die Privilegien der aus dem Leibe Geborenen zuerkannt werden sollten? Ja. Ja. Und mit den Privilegien kam die Verantwortung. Und mit der Verantwortung die Verwirrung, Rivalität, Sex, Liebe, Ränkespiel. Vielleicht, dachte Watchman, bin ich doch nicht reif genug dafür. Vielleicht hätte ich ein bescheidener, hart arbeitender Alpha bleiben sollen, anstatt aufzubegehren und den Willen Krugs herauszufordern. Vielleicht. Vielleicht. Er vollführte das Ritual der Ruhe, doch ohne Erfolg. Du bist jetzt menschlicher als du wirklich zu sein wünschtest, Alpha Watchman, sagte er zu sich selbst. Er spürte, daß Lilith dicht hinter ihm stand. Ihre Brüste berührten seinen Rücken. Sie umarmte ihn, preßte ihren Körper gegen den seinen.