17 Uhr 11.
Die Polizisten werfen sich bäuchlings auf den Boden und bringen die Waffen in Anschlag. Die Freibourgs klammern sich aufgeregt aneinander. Ein gräßlicher Gestank liegt über dem Park, ein Geräusch wie von einer Sturmbö klingt auf, und dann betritt eine große Gestalt die Lichtung, die Fäuste voller Äste und Zweige, und gluckst vor Freude.
Die Polizisten treffen Anstalten, das Feuer zu eröffnen.
Mrs. Freibourg läuft vor ihnen auf und ab, um die riesenhafte Kreatur mit ihrem schmalen Körper zu schützen.
»Hört auf, ihr Unmenschen! Das ist mein Baby!«
»Ja, das ist mein Sohn Leonard«, sagt Dr. Freibourg. Und im gleichen Augenblick wird seine Freude von Schuldgefühlen und Verzweiflung verdrängt. »O Gott, die Kultur! Die Beta-Kultur! Und ich dachte, er hätte Kekse gegessen.«
Obwohl Leonard auf dem Weg zu seinen Eltern viele Bäume gefällt und zahllose Autos beschädigt hat, mit Mummy und Daddy geht er sehr sanft um.
»Mmmmmmmmmm«, sagte er und hebt erst seine Mutter auf und dann seinen Vater. Die Familie Freibourg umarmt sich, so gut es unter diesen Umständen geht. Leonard fixiert seinen Vater mit einem eindringlichen, schielenden Blick, den seine Mutter nur zu gut kennt.
»Nein, nein!« sagte sie scharf. »Stell Daddy auf den Boden!«
Leonard stellt seinen Vater ins Gras. Dann packt er einen Polizeisergeanten, mustert ihn interessiert und steckt seinen Kopf in den Mund. Weil Leonard noch nicht viele Zähne hat, übersteht der Sergeant die Prozedur körperlich unversehrt, aber er brüllt und zittert vor Angst.
»Stell ihn sofort runter!« befiehlt Mrs. Freibourg. Dann wendet sie sich an einen Lieutenant. »Holen Sie ihm was zu essen, und dann müssen wir irgendeine Möglichkeit finden, ihn zu wickeln.« Sie zeigt auf eine braune Masse, die an Leonards Fußgelenk hängt und den schrecklichen Gestank verbreitet. Vorwurfsvoll dreht sie sich zu ihrem Mann um. »Du hast ihn nicht einmal gewickelt. Was hast du ihm denn noch alles angetan, als du mit ihm allein warst?«
»Die Beta-Kultur«, sagte Dr. Freibourg unglücklich. Er ist blaß, und seine Lippen beben. »Sie funktioniert.«
»Dann mach das wieder rückgängig, und zwar möglichst bald.«
»Natürlich, mein Liebes«, sagte Dr. Freibourg, und seine Stimme klingt zuversichtlicher, als ihm zumute ist. Er geht zu dem Polizeiauto, das darauf wartet, ihn zum Laboratorium zu fahren. »Ich werde die ganze Nacht durcharbeiten, wenn es sein muß.«
Die Mutter sieht abschätzend zu Leonard hinauf. »Wahrscheinlich wirst du eine ganze Woche brauchen.«
Inzwischen ist ein Lastwagen mit Leonards Abendessen angekommen, ein zweiter hat große Watteballen zum Central-Park transportiert, die als Windel dienen sollen. Die Feuerwehr ist angerückt, um Leonard mit ihren Schläuchen abzuwaschen. Mit einer Zeltplane wird er notdürftig bekleidet, nachdem man ihn mit vereinten Kräften gewickelt hat. Eine Baufirma hat einen Bretterzaun geliefert, aus dem ein provisorisches Gitterbett gebaut wird. »Malen Sie eine Ente drauf«, sagte Mrs. Freibourg zu den Männern. »Ich will, daß er glücklich ist.«
Leonard drückt das lebensgroße Steiff-Nashorn an sich, das die Firma Schwartz zur Verfügung gestellt hat, und schläft ein.
Seine Mutter hält bis Mitternacht neben dem Gitterbett Wache für den Fall, daß Leonard aufwacht und weint. Dr. Freibourg hat die fähigsten Wissenschaftler New Yorks in sein Laboratorium geholt. Gemeinsam versuchen sie, ein Mittel zu finden, das der Beta-Kultur entgegenwirkt.
Alle größeren Fernsehgesellschaften haben Kamera-Teams in den Central-Park geschickt, um ihr Publikum aus erster Hand informieren zu können.
Die bewaffneten Polizeieinheiten haben sich aus der näheren Umgebung des Gitterbetts zurückgezogen, da Mrs. Freibourg mit Nachdruck darauf bestanden hat. Die Stimmung im Park ist ruhig und zuversichtlich. Trotz der Lichter und der lauten, schweren Atemzüge des Babys wird Mrs. Freibourg immer wieder von Müdigkeit überwältigt und nickt ein. Ein paarmal fährt sie erschrocken aus ihrem unglücklichen Schlummer auf. Aber nach Mitternacht schläft sie endgültig ein.
5 Uhr.
Unglücklicherweise ist Leonard wie die meisten Babies ein Frühaufsteher. Er verläßt sein Gitterbett, überquert die 79th Street und watschelt zum Fluß. Obwohl die Leute im Park erwachen, als das Gitterbett krachend auseinanderbricht und ein Lastwagen zufällig umstürzt, den Leonard sorgfältig wieder aufstellt, ist es zu spät, um ihn aufzuhalten. Mit seinen Riesenschritten hat er den Park in Sekundenschnelle verlassen. Über Nacht ist er noch gewachsen, und es erhebt sich die Frage, ob er in ein paar Stunden noch zwischen die Häuser der East 79th Street passen wird.
5 Uhr 10.
Leonard demoliert einen Teil des East River Drive, als er ins Wasser stapft. Er packt ein Taxi, schiebt es auf dem Rest der Straße hin und her und brüllt: »Rmmmmmmmm, Rmmmmmmm, Rmmmmmmmmm, Rmmmmmmmmm!«
5 Uhr 11.
Leonards Mutter trifft am Flußufer ein. Es gelingt ihr nicht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn er platscht mit beiden Händen ins Wasser, daß die Boote meilenweit nach allen Seiten fliegen.
Dr. Freibourg ist es inzwischen geglückt, eine Katze um die Hälfte zu verkleinern, aber es gibt keinen Weg, die Dosis zu vervielfachen, ohne alle Laboratorien der Nation zu plündern. Er ist verzweifelt, denn er weiß, daß er dazu keine Zeit hat.
5 Uhr 15.
Da es keine andere Möglichkeit gibt, das Nahrungsproblem zu lösen, versucht die Feuerwehr mit ihren Schläuchen Milch in Leonards Mund zu spritzen, wobei die Hälfte danebengeht. Darüber ist er wütend und beginnt mit seinen Spielsachen um sich zu werfen.
Die National Guard, die gerufen wurde, als Leonard zum Fluß hinunterwatschelte, versucht das Kind mit leichter Artillerie in Schach zu halten.
Natürlich beginnt das Baby zu weinen.
5 Uhr 30.
Trotz der Bemühungen seiner Mutter, ihn mittels Sprachrohr zum Schweigen zu bringen, trotz des Steiff-Nashorns, das mit einem Kran zu ihm hinaufgehoben wird, brüllt Leonard noch immer.
Die obersten Polizeibeamten treffen ein und versuchen an Ort und Stelle eine Lösung des Problems zu finden. Leonard füllt bereits das ganze Flußbett aus, und seine Tränen haben den Wasserspiegel gehoben. Es besteht die Gefahr, daß der FDR Drive überschwemmt wird. Nachdem die Platte »Chitty Chitty Bang Bang« in mehreren Lautsprecherwagen am Flußufer abgespielt worden ist, läßt Leonards Gebrüll nach, und die Gefahr, daß die Gebäude in der Umgebung infolge der Erderschütterungen zusammenbrechen, ist vorerst gebannt. Doch die Schiffahrt hat nach wie vor beträchtliche Probleme, da Leonard mit Schleppkähnen und Hausbooten spielt und sich, wie alle Babies in seinem Alter, nie lange auf ein Spielzeug konzentrieren kann. Wenn ihn die Spielsachen langweilen, wirft er sie einfach in den Hafen, was katastrophale Folgen hat. Nun nimmt er den oberen Teil eines Gebäudes in die Hand und untersucht seinen Inhalt. Er sucht sich einzelne Teile heraus, die seinen Appetit anregen, und verschluckt sie. Nach einer kurzen Debatte kommen die Polizeichefs zu der Überzeugung, daß der Einsatz von Nuklearwaffen in begrenzter Form erforderlich ist. Ein Betäubungsgeschütz wäre wegen des Größenproblems wirkungslos und auch eine massive Dosis von Giften würde nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Die verzweifelte Mutter hat einen Teil der Diskussion mitangehört und tritt nun im Fernsehen auf, um einen Appell an die ganze Nation zu richten. Frauenvereine aus der ganzen Stadt rücken an und drohen mit massiven Vergeltungsmaßnahmen, wenn dem Baby auch nur ein Haar gekrümmt wird.
Nun wird das Problem der Wasserverunreinigung akut.
Die UN tagt rund um die Uhr.
Die Regierungschefs aller größerer Staaten haben Telegramme geschickt, um ihre Besorgnis auszudrücken und vorsichtige Hilfsangebote zu unterbreiten.