Donnerstag. Nach meinem Besuch bei Fuhrmann ging ich heute nicht nach Hause. Ich verbrachte die Nacht auf einer Gartenbank. Endlich konnte ich wieder einmal ruhig schlafen. Zum Frühstück aß ich etwas Gras und trank Wasser aus einem Springbrunnen. Danach fühlte ich mich wie neu geboren. Freitag. Daheim erwartete mich eine Überraschung. Wo früher unser Haus gestanden hatte, war jetzt eine tiefe Grube. Die beste Ehefrau von allen stand mit Rafi am Rand. Als sie mich sah, meinte sie:
"Ich dachte, daß wir den kleinen Hausputz eigentlich dazu verwenden könnten, alles niederzureißen. Dann können wir gleich neu bauen und haben es so, wie wir es uns vorstellen. " Ermattet sank ich auf den Boden.
"Du hast vollkommen recht, meine Liebe. Aber warten wir doch noch ein bißchen, bis alles wieder billiger geworden ist. " Seitdem wohnen wir in einem hübschen Mietshaus. Wir haben uns hier gut eingelebt und wollen eigentlich gar nicht mehr bauen.
Der Ameisenkrieg
Wohnungen, die zu ebener Erde liegen, haben einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil ist: Man muß keine Treppen steigen. Und der Nachteil ist: Auch die Ameisen müssen keine Treppen steigen. Deshalb wandert jeden Morgen eine Ameisenarmee über unsere Türschwelle und kriecht die Küchenwand hinauf bis zum Brotkorb. Hier läßt sich ein Teil der lieben Tierchen nieder, die anderen laufen weiter bis zum Abwaschbecken. Brotkorb und Waschbecken sind fest in der Hand der Ameisen, hier befinden sich ihre Ausgangspositionen für den ganzen Tag. Es beginnt ein ständiges Kommen und Gehen; heuer ist ein besonders ameisenreicher Sommer.
„Es hilft nichts, einige von ihnen zu erschlagen", meinte die beste Ehefrau von allen, „wir müssen das Nest suchen. " Und so verfolgten wir die Prozession in entgegengesetzter Richtung. Der Weg führte in den Garten, verschwand für kurze Zeit unter einem Gebüsch, tauchte wieder auf und verlief im Zickzack Richtung Norden. der Stadtgrenze blieben wir schnaufend stehen. Sie kommen von auswärts", schwer atmend drehte sich meine Frau um. „Aber wie haben sie gerade den Weg zu unserem Haus gefunden?" Solche Fragen kann niemand beantworten, außer vielleicht die Ameisenkönigin. Die Arbeiterinnen gehorchen nur ihren Vorgesetzten, sie erfüllen ihren Auftrag.
Nachdem wir unsere Hausgenossen einige Tage sorgfältig beobachtet hatten, kauften wir ein Ameisenvertilgungspulver, das von der Werbung als sehr wirksam empfohlen worden war. Damit bestreuten wir den Weg von der Hausschwelle bis zur Küche und hier bis hinauf zum Abwaschbecken. Am nächsten Morgen kamen die Ameisen nur langsam vorwärts, weil sie die vielen kleinen Pulverhügel übersteigen mußten. Eine andere Wirkung zeigte sich nicht. Am nächsten Tag versuchten wir es mit einer Insektenspritze. Die Vorhut der Ameisen fiel, die Hauptarmee marschierte ungerührt weiter. „Sie sind sehr widerstandsfähig, das muß man ihnen lassen", meinte meine Frau und wusch die ganze Küche mit einem starkriechenden Desinfektionsmittel aus. Die Ameisen blieben zwei Tage weg. Auch wir konnten in dieser Zeit die Küche nicht betreten. Doch danach erschienen die Ameisenregimenter wieder in voller Stärke und legten noch größeren Eifer an den Tag als zuvor. Dabei entdeckten sie den Topf mit dem Hustensirup. Er ging in ihren Besitz über, sie haben sicher nie mehr gehustet. Die beste Ehefrau von allen, eine allgemein anerkannte Tier freundin, begann nun jeden Morgen, die Ameisen einzeln zu töten.
Auf diese Weise starben Tausende. Doch sie ließ es bald wieder sein. „Es kommen immer neue", seufzte sie. „Es sind entsetzlich viele." Irgend jemand gab ihr den Tip, Ameisen könnten den Geruch von Gurken nicht ertragen. Am nächsten Tag war unsere ganze Küche mit Gurken ausgelegt. Aber offenbar wußten die Ameisen nichts davon, daß sie Gurken nicht mögen, denn sie wanderten nach kurzem, erstaunten Schnuppern zwischen den Gurken hindurch. Nun wußten wir uns nicht mehr zu helfen, wir riefen beim Gesundheitsamt an und baten um Rat.
„Was soll man denn machen, um Ameisen loszuwerden?" fragten wir.
„Das möchte ich selbst gern wissen", antwortete der Beamte. „Ich habe die ganze Küche voller Ameisen. " Eine Zeitlang versuchten wir es noch erfolglos weiter, doch dann entschlossen wir uns, den ungleichen Kampf aufzugeben. Seitdem wandern die Ameisen friedlich an unserem Frühstückstisch vorbei und nehmen ihre gewohnten Plätze ein. Sie stören uns nicht mehr, und wir stören sie auch nicht. Man könnte fast sagen, wir haben uns aneinander gewöhnt. Es ist ein friedliches Nebeneinanderleben.
Wer klaut die Briefmarken
Vor etwa einer Woche fiel mir auf, daß ich keine Briefe mehr bekam. Zuerst glaubte ich, wir hätten einen neuen Postboten bekommen, der sich noch nicht richtig auskennt. Doch gestern entdeckte ich zufällig die wahre Ursache. Als ich morgens das Haus verließ, erwischte ich den Sohn der Familie Ziegler, die im Nachbarhaus wohnt, als er gerade aus meinem Briefkasten die Briefe herausangelte. Als er mich sah, ergriff er schnellstens die Flucht. Wutschnaubend ging ich zu Herrn Ziegler, der auf der Schwelle seines Hauses stand. „Was ist denn los?" fragte er. „Herr Ziegler" tobte ich los, „Ihr Sohn stielt meine Briefe. " „Er stiehlt keine Briefe, er sammelt nur Briefmarken" antwortete mir der stolze Vater. „Wie bitte?"
„Hören Sie", begann Herr Ziegler. „Ich lebe seit Jahren in diesem Land und habe einiges geleistet. Ich spreche aus Erfahrung. Heutzutage lohnt es sich gar nicht mehr, Briefe zu bekommen. " Und wenn einmal ein wichtiger Brief dabei ist?.....Wichtig? Glauben Sie mir, nichts ist wichtig. Was die lieben Verwandten schreiben,
interessiert Sie sowieso nicht. Und die amtlichen Briefe, die in Ihrem Briefkasten landen, sind meistens unerfreulich. Entweder es sind Strafzettel oder Steuerbescheide oder Mahnungen. "
„Wichtig oder nicht, ich will die Briefe lesen, die an mich geschickt werden!"
„Nun ja, wenn Sie das nicht einsehen wollen", antwortete Herr Ziegler gereizt, „so werde ich mit meinem Sohn reden. " „Vielen herzlichen Dank. Vielleicht darf ich Ihrem Sohn den Schlüssel zu meinem Briefkasten geben?" AAber nein", winkte Herr Ziegler ab, „es ist besser, wenn er lernt, wie mühsam es ist, Briefmarken zu sammeln. " Seit dieser Zeit machen meine Briefe immer einen kleinen Umweg. Auch erhalte ich nicht die ganze Post. Aber unterdessen habe ich mich daran gewöhnt. Ich habe alle meine ausländischen Freunde gebeten, besonders schöne Marken auf ihre Briefe zu kleben. Dann ist die Möglichkeit, daß ich sie wirklich erhalte, um einiges größer.
Meine einzige Hoffnung besteht darin, daß Ziegler junior bald keine Lust mehr hat, Briefmarken zu sammeln.
Papi als Schwimmlehrer
Mein Sohn Amir steht am Rand des Schwimmbeckens und heult. „Komm ins Wasser!" rufe ich. „Ich hab' Angst!" ruft er zurück.
Seit einer Stunde versuche ich, meinen kleinen Rotschopf ins Wasser zu locken, damit ihn Papi im Schwimmen unterweisen kann. Aber er hat Angst. Er heult vor lauter Angst. Auch wenn sein Heulen noch nicht die höchste Lautstärke erreicht hat - bald wird es soweit sein, ich kenne ihn.
Ich kenne ihn und bin ihm nicht böse. Nur allzu gut erinnere ich mich, wie mein eigener Papi versucht hat, mir das Schwimmen beizubringen, und wie ich heulend vor Angst am Rand des Schwimmbeckens stand. Mein Papi ist damals recht unsanft mit mir umgegangen.
Aber ich will meinem Sohn nichts aufzwingen, wozu er keine Lust hat. Er soll den entscheidenden Schritt von selbst tun. „Komm her, mein Kleiner", flöte ich. „Komm her und sieh selbst. Das Wasser reicht dir kaum bis zum Nabel, und Papi wird dich festhalten. Es kann dir nichts geschehen. " „Ich hab' Angst. "