Выбрать главу

»Ach, du bist ja verrückt!« Mein Freund nahm das als schlechten Scherz und lachte halb erschreckt allein bei der Vorstellung.

»Du glaubst also nicht, daß es möglich ist?«

»Ach, du bist wirklich verrückt! Mit einem Floß?!«

Er wußte nicht, was er erwidern sollte, und starrte mich nur an, als warte er auf das Lächeln, das den Spuk in nichts auflösen würde.

Er fand es nicht. Ich sah nun ein, daß praktisch keiner meine Theorie gutheißen würde, weil eine scheinbar endlose Meereswüste zwischen Peru und Polynesien lag, die ich nur mit Hilfe eines urzeitlichen Floßes überbrücken wollte.

»Hör zu«, Karl sah mich unsicher an, »gehen wir aus und heben wir einen!«

Das taten wir und ließen es nicht bei einem bewenden.

Diese Woche lief meine Miete ab. Gleichzeitig teilte mir ein Brief der norwegischen Staatsbank mit, daß ich keine Dollars mehr zu gewärtigen hätte. Valutaeinschränkungen. Ich packte die Koffer und stieg in die Untergrundbahn nach Brooklyn. Hier kam ich im norwegischen Seemansheim unter, wo es eine kräftige und reichliche Kost gab und die Preise meiner Brieftasche angemessen waren. Ich bekam einen kleinen Raum unterm Dach und aß mit all den Matrosen drunten in einem großen Speisesaal.

Das seefahrende Volk flutete herein und hinaus. Sie waren unterschiedlich in ihren Typen, Dimensionen und Nüchternheitsgraden, aber eines hatten sie alle gemeinsam: sie wußten genau, was sie redeten, wenn sie von der See sprachen.

Ich lernte dabei, daß sich Wogen und Brecher nicht mit der Tiefe der See oder dem Abstand vom Lande verstärkten, ganz im Gegenteil, oft war eine Bö vor der Küste weit tückischer als auf offener See. Untiefen, die Brandung längs einer Küste oder Meeresströmungen, die sich am Lande entlangpreßten, konnten weit höhere Wellen emporwälzen, als sie draußen auf See üblich waren. Ein Fahrzeug, das sich an einer offenen Küste durchsetzen konnte, konnte sich auch weiter draußen halten. Mir wurde klar:    eine grobe See konnte bei großen Schiffen Bug und Achterdeck in die Wassermassen tauchen, viele Tonnen Seewasser über Deck ergießen und Stahlrohre wie Zündhölzer knicken; daneben konnte ein kleines Boot in derselben See gut bestehen, solange es Platz genug zwischen den Wellenkämmen hatte, um frei darüber zu tanzen wie eine Möwe. Unter den Leuten war einer, der sich in einem Rettungsboot hatte bergen können, nachdem die Wogen das Schiff zum Sinken gebracht hatten.

Aber sie hatten nur eine geringe Erfahrung mit Flößen. Ein Floß, das war ja für sie auch kein Fahrzeug, das hatte weder Kiel noch Reling, es war nur eben etwas Schwimmendes, um sich in äußerster Not zu retten, bis man von irgendeinem Schiff aufgenommen wurde. Aber einer hatte doch großen Respekt vor Flößen auf schwerer See, denn er war drei Wochen auf einem solchen getrieben, nachdem ein deutscher Torpedo sein Schiff mitten auf dem Atlantik versenkt hatte.

»Aber auf einem Floß kann man nicht steuern«, setzte er hinzu, »es treibt hin und her, je nachdem der Wind geht.«

In der Bibliothek grub ich die Aufzeichnungen der ersten Europäer aus, die die Küste des Stillen Ozeans in Südamerika erreichten. Es mangelte weder an Skizzen noch Beschreibungen der großen Balsaflöße der Indianer. Sie hatten Rahsegel, Schwerter und achtern ein langes Steuerruder, also konnte man auch manövrieren.

Wochen vergingen im Seemannsheim. Keine Antwort, weder von Chicago noch aus irgendeiner anderen Stadt, wohin ich Kopien meiner Theorien geschickt hatte. Niemand hatte sie gelesen.

So raffte ich mich eines Samstags auf und marschierte zu einem Schiffshändler unten an der Water Street, wo ich höflich als Kapitän angeredet wurde, als ich eine Pilotenkarte über den Stillen Ozean kaufte. Mit der Kartenrolle unter dem Arm nahm ich die Vorortbahn hinaus nach Ossining, wo ich ein gern gesehener Weekendgast bei einem jungen norwegischen Ehepaar auf einem hübschen Landsitz war. Er war früher Kapitän gewesen und jetzt Kontorchef bei der Fred Olsen Line in New York.

Nach einem erfrischenden Sprung ins Schwimmbassin war das Großstadtleben für den Rest des Wochenendes vergessen, und als Ambjörg mit dem Cocktailtablett kam, setzten wir uns im Sonnenschein auf die Wiese. Ich konnte jetzt nicht mehr länger an mich halten, sondern rollte die Karte auf und überfiel Wilhelm mit der Frage, ob er daran glaube, daß ein Floß Menschen lebendig von Peru zu den Südseeinseln transportieren könne.

Halb verblüfft, sah er mehr auf mich als auf die Karte, aber plötzlich gab er eine bejahende Antwort. Ich fühlte mich so leicht, als ob ich plötzlich Flügel bekommen hätte, denn ich wußte, alles, was mit Seefahrt zusammenhing, war für Wilhelm Beruf wie Leidenschaft. Rasch wurde er in meine Pläne eingeweiht. Zu meiner Entrüstung stellte er nur fest, daß dies der reine Wahnwitz sei.

»Aber du hast ja gerade gesagt, daß du es für möglich hältst«, unterbrach ich ihn.

»Ganz richtig«, gab er zu, »aber es besteht genau dieselbe Chance, daß es schiefgeht. Du hast ja noch nie in deinem Leben auf einem Balsafloß gestanden, und so stellst du dir plötzlich vor, du könntest mit einem solchen den Pazifik überqueren. Vielleicht geht es, vielleicht aber auch nicht. Die alten Indianer in Peru hatten wohl im Floßbau die Erfahrung von Generationen. Vielleicht gingen immer zehn Flöße kaputt, ehe eines die Überfahrt bestand, oder vielleicht gar Hunderte im Laufe der Jahrhunderte. Wie du bereits gesagt hast, manövrierten die Inkas auf offener See mit ganzen Flottillen von Balsaflößen. Da konnten sie auch vom Nachbarfloß gerettet werden, wenn etwas passiert war. Aber wer soll dich aus dem Wasser ziehen, mitten auf offenem Meer? Selbst wenn du Radio für den Notfall mitnimmst, so wird es wohl ziemlich schwer sein, zwischen den Wellenbergen tausend Meilen vom Land weg ein kleines Floß zu finden. Im Sturm kann man ja vom Floß hinuntergespült werden und schon längst ertrunken sein, bevor jemand zu Hilfe eilen kann. Es ist wohl besser, du wartest ruhig, bis einer Zeit gefunden hat, dein Manuskript zu lesen. Schreib weiter und laß den Leuten keine Ruhe, alles andere ist sinnlos.«

»Ich kann nicht länger warten. Ich habe bald keinen Knopf Geld mehr in der Tasche.«

»Dann kannst du zu uns übersiedeln. Wie kannst du übrigens ohne Geld daran denken, eine Expedition von Südamerika aus in Gang zu setzen?«

»Es ist viel leichter, für eine Expedition Interesse zu wecken als für ein ungelesenes Manuskript.«

»Aber was kannst du damit erreichen?«

»Das wichtigste Gegenargument gegen die Theorie zu Fall zu bringen, ganz abgesehen davon, daß die Wissenschaft auf die Angelegenheit aufmerksam wird.«

»Und wenn es schiefgeht?«

»Dann ist eben der Beweis noch nicht erbracht.«

»Da würdest du ja deine eigene Theorie in den Augen aller bloßstellen.«

»Vielleicht. Aber trotzdem hätte ja einer von zehn Erfolg haben können, wie du früher gesagt hast.«

Die Kinder des Hauses kamen, um Krocket zu spielen, und so sprachen wir an diesem Tag nicht mehr davon.

Am nächsten Wochenende stellte ich mich wieder in Ossining ein, abermals mit der Kartenrolle unter dem Arm, und als ich ging, führte ein langer Bleistiftstrich von der peruanischen Küste nach den Tuamo-tu-Inseln im Stillen Ozean. Mein Freund, der Kapitän, hatte die Hoffnung aufgegeben, mir meine Idee auszureden, und so hatten wir stundenlang beisammengesessen und hatten die voraussichtliche Trift des Floßes berechnet.

»Siebenundneunzig Tage«, sagt Wilhelm, »aber leider nur unter theoretisch idealen Verhältnissen mit chronischem Rückenwind und vorausgesetzt, daß das Floß wirklich so segeln kann, wie du glaubst. Du mußt absolut mit mindestens vier Monaten Fahrzeit rechnen, aber auf mehr vorbereitet sein.«

»All right«, sagte ich zufrieden, »dann rechnen wir eben mit vier Monaten, machen es aber in Siebenundneunzig Tagen.«