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Zehntes Kapitel

Triplex handelt, ohne sich zu zeigen

Seit diesem Tag lebte Lavarède in einem unbeschreiblichen Zustand. Sein neugieriges Temperament eines Journalisten fand sich schlecht mit dem Geheimnis ab, und das Geheimnis war überall um ihn her.

Oft begegnete er Allsmine, der ihm gegenüber Zutrauen gefaßt hatte und ihm kaum seine Sorgen vorenthielt. Er war von den immer dringlicher werdenden Depeschen der Admiralität unterrichtet, die Sir Toby ausdrücklich befahlen, Korsar Triplex, koste es, was es wolle, dingfest zu machen. Und diese Depeschen wurden von Mal zu Mal kürzer und drohender.

Gewiß, man konnte mit dem Obersten Polizeichef der Pazifikpolizei nicht umspringen wie mit einem x‑beliebigen. Dazu war er zu mächtig und kannte durch seine Position manches Geheimnis, dessen Verbreitung schreckliche Folgen gehabt hätte. Große Familien und ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft wären entsetzt gewesen, wenn er der Öffentlichkeit seine »geheimen Dossiers« in die Hände gespielt hätte. Und deshalb behandelte man ihn ganz oben wie ein rohes Ei. Doch die öffentliche Meinung drängte die Regierung. Es war schließlich mehr als verwirrend, wenn ein hergelaufener Abenteurer wie dieser unbekannte Korsar die gesamte britische Macht ins Wanken brachte.

Wenn dieser Krieg einzig gegen Sir Toby Allsmine geführt wird, so meinten einflußreiche Kreise in der Regierung, so sollten wir diesen Beamten eben opfern. Stellen wir ihn vor ein Gericht, wie es der Korsar fordert.

Denn Triplex forderte dies wiederholt. Auf unbekannten Kanälen wurden der englischen, indischen und australischen Presse Informationen zugespielt, die dies beinhalteten.

Und darüber hinaus waren die Unterseekabel, die die Depeschen des Polizeichefs an seine Vorgesetzten übermittelten und in einer mittleren Tiefe von viertausend Metern durch die Ozeane liefen, keine Geheimnisträger mehr. Sie waren »durchlässig« geworden. Wie hätte man sich sonst erklären sollen, daß der Korsar über alle Kabelgramme unterrichtet war, wie die telegrafischen Antworten bewiesen, die er mit spöttischer Ironie seinem Feind übersandte. Denn Allsmine erhielt fast jeden Tag ein Kabelgramm ähnlichen Inhalts: Erbitten Schutz Lord X … Sohn in die Towtec-Bank-Affäre verwickelt, Dossier 147. Sie haben recht, aber Schutz wirkungslos. Ihrer Strafe entgehen Sie doch nicht. Triplex hat Zeit und kann abwarten.

Die kompliziertesten Chiffres, die intelligentesten Schlüssel, die man sich ausdachte, um die Depeschen geheimzuhalten, verwirrten den Korsaren nicht im mindesten. Dieser Kerl hatte nicht nur die Gabe, überall gegenwärtig zu sein, sondern schien auch noch die verwickeltsten Hieroglyphen moderner Diplomatie mit Leichtigkeit entziffern zu können.

Doch wie ein Pyromane ein Feuerwerk durch die blumigste Rakete enden läßt, so beendete Triplex diesen telegrafischen und polygrafischen Kleinkrieg durch eine Apotheose.

Eines Abends, als das elegante Sydney in schönster Vollzähligkeit einer Vorstellung des berühmten Longfoot-Zirkus beiwohnte, ergoß sich plötzlich aus der Zirkuskuppel ein Blumenregen über die Besucher. Und an jeder Papierblüte steckte eine Visitenkarte, auf der die Zuschauer lesen konnten:

»KORSAR TRIPLEX gibt sich die Ehre zu verkünden, daß er Australien von der Schande befreien wird, von dem Verbrecher Allsmine überwacht zu werden.«

Sir Toby wohnte der Vorstellung bei. Unter spöttischen Blicken zog er sich zurück. Eine sofort eingeleitete Untersuchung des Zirkus blieb erfolglos. Der Korsar war entsprechend seiner Gewohnheit verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen.

Und in der folgenden Woche konnte man eines Morgens an den Mauern von Sydney folgende Worte lesen, die Unbekannte dort mit weithin leuchtender weißer Farbe aufgetragen hatten:

Einwohner von Sydney!

Begebt Euch heute abend zum Hafen. Schaut auf den Horizont, und Ihr werdet die Augen von Korsar Triplex erleben, die auf Eure unglückliche Stadt blicken, die einen Mörder zum Polizeichef hat.

Gewiß überpinselten Polizeibeamte sofort die Aufschriften, aber ein Teil der Bevölkerung von Sydney hatte die seltsame Einladung schon gelesen und sie sofort Nachbarn, Bekannten und Freunden mitgeteilt.

Als es Abend geworden war, waren die Kais, Molen und Landzungen von Port Jackson schwarz vor Menschen. Das drängelte und knuffte sich, stieg auf Poller, Simse und Dächer. Aller Augen waren aufs offene Meer gerichtet. Im Hafen deuteten einige rauchende Schlote von Kriegsschiffen an, daß auch die Seeleute Ihrer Majestät bereitstanden, auszulaufen, falls sich auf dem Meer irgend etwas tun sollte.

Man schloß Wetten ab, ob diese kriegerischen Vorbereitungen den Korsaren vielleicht davon abhalten würden, seine Augen auf die Stadt zu richten. Doch wer so wettete, hatte kein gutes Geschäft gemacht, denn genau um neun Uhr abends flammten plötzlich drei leuchtende Punkte am Horizont auf. Begeistert applaudierte die Menge, die entzückt war, nicht umsonst gekommen zu sein.

Aber diese Menge hatte nicht einmal Zeit zu überlegen, welcherart diese leuchtenden Punkte über der Wasseroberfläche sein mochten; die Sirenen der Kriegsschiffe ließen ihr sonores Geheul ertönen, und die Schiffe wandten sich langsam und schaumschlagend zum Hafenausgang.

Und nun kannte die Begeisterung der Gaffer keine Grenzen mehr. Man würde eine Seeschlacht erleben! Pazifikflotte gegen Triplex. Und natürlich schlug bei dem Gedanken allen Müttern, Ehefrauen und Bräuten das Herz höher, wenn sie daran dachten, daß ihre Männer auf den Schiffen einer unbekannten Gefahr trotzen sollten. Wie heroisch!

Auf der Brücke der Destroyer, eines mit Panzertürmen bestückten Kreuzers, der an der Spitze dampfte, betrachtete eine Gruppe von Leuten mit gemischten Gefühlen die unbeweglichen, entfernten Scheinwerfer. Das waren Sir Toby Allsmine, James Pack, Armand Lavarède, Lotia und Aurett. Der erste stand dort von Berufs wegen; die anderen hatten dank ihren guten Beziehungen zu ersterem die Erlaubnis erhalten, an dieser Expedition teilzunehmen.

Dicht neben Aurett und Lotia stand eine Frau, die in einen weiten Mantel gehüllt war, dessen Kapuze sie bis zu ihrem Gesicht herabgezogen hatte. Es war Lady Allsmine.

Aus eigenem Willen hatte sie ihren Mann gebeten, sie mitzunehmen. Der schien mehr als erfreut darüber gewesen zu sein, denn er sagte sich, daß eine solche Haltung auf die Flottenleitung einen guten Eindruck machen würde. Er hätte ihr jedoch keine Einwilligung gegeben, wenn er gewußt hätte, daß das Drängen seiner Gemahlin durch eine lakonische Mitteilung hervorgerufen worden war, die sie im Laufe des Tages empfangen hatte. Von unsichtbarer Hand war ihr ein Schreiben in ihr Zimmer gelegt worden:

Mutter, bald werde ich Dir zurückgegeben. Begleite heute abend den Mann, dessen Namen Du trägst. Du wirst den goldenen Harlekin wiederfinden.

Und Joan hatte gehorcht.

Der goldene Harlekin! Diese Worte riefen bei ihr vergessene Erinnerungen wach. Sie dachte plötzlich wieder an die letzte Reise, die sie zu dem Bauernhaus am Lachlan River unternommen hatte. Es war die letzte Reise gewesen, bei der sie ihre Tochter lebend gesehen hatte. Sie sah das Zimmer vor sich, in der ihr Tobys Mutter eine rosige, frische und lächelnde Maudlin zugeführt hatte. Sie hatte das Kind in die Arme genommen und an sich gedrückt; dabei hatte die Kleine mit einem Schmuckstück gespielt, das Lady Joan erst vor einigen Tagen aus London erhalten hatte. Es war eine Goldkette, an der eine Figur aus demselben Metall hing: ein fein ziselierter kleiner, entzückender Harlekin.

Sie freute sich, weil sich Maudlin freute; sie war glücklich über das Glück der Kleinen, die in ihrem kindlichen Spiel den Harlekin wie eine Puppe behandelte.

Und dann kam der Augenblick der Trennung. Maudlin wollte den Schmuck nicht herausgeben, und Joan hatte nicht den Mut, ihn ihr wegzunehmen; sie schenkte ihn ihr, und die triumphierende Kleine hängte sich die Goldkette um ihren Hals.