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Der erste Eindruck, den Lavarède empfand, war der der Überraschung; der zweite, der Wunsch zu begreifen.

»Wo sind wir?« fragte er.

»Im Telefonbüro der Polizei«, antwortete Sir Toby lächelnd. Und mit selbstgefälliger Miene erklärte er: »Eine Erfindung von mir. Ich werde sie Ihnen erläutern. Sie wissen sicher nicht, daß jede wichtige telegrafische Depesche von der Polizei mitgelesen werden kann. Mit Hilfe von Röntgenstrahlen sind wir sogar in der Lage, einen verschlossenen Brief zu lesen. Aber böswillige Menschen wissen das und ziehen es oftmals vor, das Telefon zu benutzen, dessen Überwachung uns nicht möglich war.«

»Nicht möglich war, sagen Sie? Und dieses Imperfekt bedeutet, daß …«

»Daß es uns nicht mehr unmöglich ist.«

»Genau.«

Zufrieden schüttelte der Polizeichef dem Franzosen die Hand.

»Ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern, Sir Lavarède, Sie begreifen sofort.«

»Und das Telefon?«

»Ist heute mein treuester Beamter.« Ernsthaft sagte er dann: »Allein Sie und ich kennen dieses Geheimnis, nicht einmal mein Sekretär weiß davon. Also strengste Diskretion. Wenn ich Sie ins Vertrauen gezogen habe, dann, weil ich mir Ihrer sicher bin und Ihre Hilfe brauche.«

Lavarède verbeugte sich und sagte: »Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, nur …«

»Nur was?«

»Ich würde mich glücklich schätzen, mehr zu wissen.«

»Sie sollen zufriedengestellt werden.«

Sir Toby stützte sich auf dem Eichentisch auf und sagte: »Die Einwohner der Stadt wissen nichts von dieser Einrichtung. Die Arbeiter, die ihn eingerichtet haben, glaubten, daß es sich um ein zusätzliches Telefonbüro handelte. Ich allein besitze den Schlüssel zu der Tür dieses Raumes.«

»Gut. Und weiter?«

»Hier das Prinzip meiner Apparate. Jedes Kabel, das von der Decke kommt, ist mit einem Netzanschluß der städtischen Telefonleitung verbunden.«

»Ich bin im Bilde. Sie zapfen also die Unterhaltungen an und leiten Sie hierher.«

»Ja, aber solcherart, daß der Sprecher davon nichts mitbekommt. Ich zweige eine so kleine Zahl ab, daß sie nicht einmal das feinste Gehör mitbekommt.«

»Und wie geschieht das?«

»Die Abhörkabel enden in dem Fächerkasten, den Sie hier sehen. Mit Hilfe eines Transformators werden ihre Vibrationen in elektrische Impulse umgewandelt, die über andere Kabel an die elektrischen Schreibmaschinen weitergegeben werden. Diese werden durch Strom in Bewegung gesetzt und registrieren alle Töne auf einem Papierstreifen, der automatisch durch ein Uhrwerk bewegt wird.«

»Kurz, Sie transformieren die telefonische Unterhaltung in telefonische Schrift!« rief Armand aus.

»Genau! Sie sind überaus intelligent. Es genügt, wenn ich mir jeden Tag die mit Zeichen bedeckten Bänder abhole, um die geheimen Gedanken der Stadt vor Augen zu haben.«

Für einen Augenblick war der Journalist nicht bei der Sache. Diese Informationsbeschaffung stellte alles in den Schatten, was sich die bestinformierten Zeitungen leisten konnten. Das war die praktische Realisierung der direkten Befragung der öffentlichen Meinung.

Der Polizeichef genoß die Überraschung des Journalisten. Freundschaftlich nahm er ihn beim Arm und sagte: »Die Papierrollen liegen unter dem Tisch. Sie sind siebenhundert Meter lang. Der Verbrauch liegt bei etwa sieben Meter in vierundzwanzig Stunden.«

»Ist mir klar«, murmelte der Pariser, »aber ich sehe noch nicht, wie ich Ihnen von Nutzen sein kann.«

»Ich werde es Ihnen sagen.«

»In diesem Fall werde ich meine Ohren öffnen, um meinen Augen zu Hilfe zu kommen.«

»Dann hören Sie.«

Und indem er die Stimme senkte, als ob er befürchtete, von einem unbekannten Zeugen gehört zu werden, flüsterte Allsmine: »Meine tägliche Anwesenheit in der Post erregt schon Aufsehen. Sie hingegen als Ausländer sind hier unbekannt, keiner wird Sie beachten. Ich hoffe, daß Sie einwilligen, jeden Morgen hierherzukommen, um die Papierstreifen zu wechseln.«

»Mit dem allergrößten Vergnügen und mit besonderem Interesse«, erwiderte der Franzose.

»Unser gemeinsamer Feind Korsar Triplex wird gegenüber Telegrammen mißtrauisch sein und sich gewiß des Telefons bedienen. Es geht nur darum, jeden Tag die Papierstreifen zu untersuchen, ob er sich gemeldet hat.«

»Ist mir klar.«

»Und Sie finden die Idee gut?«

»Ausgezeichnet.«

»Nun, Mr. Lavarède, dann sind Sie der absolute Herrscher in diesem Gemäuer. Hier ist der Schlüssel. Ich verlasse mich auf Sie, wie Sie sich auf mich verlassen können.«

Seit fünf Tagen ging Armand jeden Morgen in das Städtische Telegrafenbüro. Er nahm die alten Streifen an sich und brachte seine Ernte in das Haus in der Paramata Street.

Bis jetzt hatte Allsmine noch nichts Interessantes entdeckt. Er fragte sich, ob Korsar Triplex selbst dem Telefon mißtraute, um Befehle an seine Komplizen weiterzugeben.

Es war am sechsten Tag, daß der Polizeichef in seinem Arbeitszimmer saß und mit schlechter Laune die Streifen entzifferte, die ihm Armand gebracht hatte.

»Nichts, noch immer nichts«, fluchte er.

– Schicken Sie mir fünfzig Bettlaken Nr. 7 – las er da. »Zum Teufel mit den Kaufleuten!« – Klein Coco hat ein Kasperletheater geschenkt bekommen – ging es weiter. »Zum Teufel mit den Kindern und ihrem Spielzeug.«

Entmutigt griff er zu dem letzten Band. Ein Meter, zwei Meter, vier Meter glitten an seinen Augen vorbei. Seine Miene drückte Langeweile aus. Plötzlich ein Schrei, seine Augen funkelten, er sprang auf und las laut:

– Hallo, hallo! Geben Sie mir 15722 –

– Sehr wohl, mein Herr, 15722 –

– Ja. –

Ein Punkt bezeichnete das Wählen der Vermittlung.

– Hallo. Sind Sie es, Goodeye? –

– Ja, Fairnose. –

– Gut, sind die Befehle von Kapitän Triplex ausgeführt? –

– Sie sind es. Und wie geht es ihm? –

– Ich denke, gut. Er ist nach den Goldminen von Brimstone Mounts in der Großen Sandwüste abgereist. –

– Eine lange Reise. –

– Aber nicht zu lang. Übers Meer bis zur Mündung des Skaim River. Von dort bis zur Quelle, und von da sind es noch drei Tage Fußmarsch bis zur Mine »Die drei Nadeln«. –

– Und er wird den Zeugen herbringen … –

– Der »Mr. Alles ist meins« unter die Erde bringt. –

– Perfekt. Keine neuen Instruktionen? –

– Nein. –

– Also dann, auf Wiedersehen, Fairnose. –

– Auf Wiedersehen, Goodeye. –

Eine Minute blieb Sir Toby regungslos sitzen. Er dachte an den Vorteil, den er aus dieser Mitteilung ziehen konnte.

Kein Zweifel. Kapitän Triplex war der Korsar und Mr. Alles ist meins er selbst.

»Puff over!« rief der Polizeichef schließlich aus. »Diesmal habe ich sie.«

Er griff zu seinem Hut und lief zum Centennial-Park-Hotel.

Dort stand Lavarède gerade in der Rezeption und las die Zeitung. Allsmine lief auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter.

»Mr. Lavarède«, sagte er.

Der Franzose hob den Kopf.

»Sir Toby, Sie?«

»Ich selbst.«

»Was verschafft mir die Ehre eines so angenehmen Besuchs?«

»Etwas Ernstes.«

»Deswegen lachen Sie?«

»Das ist der beste Beweis für die Ernsthaftigkeit dieser Angelegenheit.«

Vor dieser Bemerkung mußte Lavarède kapitulieren, aber seine Augen spiegelten seine Neugier wider.

»Sie sind doch ein Reisender?« nahm der Polizist den Faden wieder auf, ohne auf die stumme Frage zu antworten.

»Wenn schon nicht von Berufs wegen, so doch aus Berufung«, sagte sein Gegenüber bescheiden.