»Eine Ortsveränderung von einem Monat erschreckt Sie hoffentlich nicht?«
»Mitnichten, aber …«
Mit einer Geste winkte der Polizeichef ab.
»Zu niemandem ein Wort, denn wir werden morgen eine kleine Seereise machen.«
»Das gebe ich Ihnen gern, wenn auch …«
»Wir haben Grund zu der Annahme, daß sich Ihr Cousin in der Großen Sandwüste im Westen von Australien aufhält. Sie fahren dorthin, ich begleite Sie.«
»Wie das?«
»Nun, ich weiß, wo wir Triplex treffen werden.«
Lavarède erbleichte.
»Wie haben Sie das …«
»Herausgekriegt? Sie selbst haben das gemacht.«
»Ah, die abgehörten Telefone, verstehe …«
»So ist es. Also, sind Sie einverstanden?«
»Sehr gern«, erwiderte Armand. »Im übrigen reibt mich Nichtstun auf, und, bei meiner Treu, ich würde mich nicht ärgern, diesem Korsaren einmal gegenüberzustehen. Als Mythos leben, ohne dafür eine Erklärung zu haben, das ist für einen Journalisten unerträglich.«
»Dann treffen Sie Ihre Vorbereitungen. Ich werde Sie heute abend abholen.«
Und indem er die Hand seines »Verbündeten« schüttelte, scherzte der Polizeichef gutgelaunt: »Puff over! Mr. Lavarède. Puff over! Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
Die beiden Männer trennten sich. Allsmine ging wieder nach Hause, während der Franzose sein Zimmer aufsuchte. Dort mußte er die Fragen von Aurett und Lotia über sich ergehen lassen. Denn als er ihnen erzählte, was er mit Sir Toby vereinbart hatte, waren die beiden Damen empört. Was? Es ging darum, daß er seinen Freund, seinen Cousin Robert, traf? Und darüber hinaus bildete er sich noch ein, daß sie damit einverstanden wären? Daraus würde nichts. Sie beide hätten schließlich ein Anrecht darauf, mitzukommen. Und eine Last wären sie bestimmt nicht. Und immerhin sei Aurett auch schon um die Welt gereist, da möge er sich bloß nichts darauf einbilden. Also: Entweder sie wären dabei, oder Lavarède bleibe hier.
Schließlich mußte der Journalist nachgeben. Er ging in die Paramata Street, um den Polizisten mit dem Wunsch seiner entzückenden Begleiterinnen vertraut zu machen. Doch dieser hatte zur großen Überraschung Armands nichts gegen die Begleitung der beiden Damen einzuwenden.
Als ihn Lavarède verlassen hatte, übergab er James Pack die Amtsgeschäfte und schärfte diesem besonders ein, auf Lady Joan aufzupassen.
»Die arme Frau macht mir Sorge«, sagte er heuchlerisch. »Triplex’ unberechenbares Handeln hat auf ihren Verstand keinen günstigen Einfluß. Achten Sie auf sie wie auf ein Kind.«
Gegen zwei Uhr morgens fanden sich Lavarède mit den beiden Damen sowie Allsmine auf dem Kreuzer Destroyer ein, den letzterer für die Jagd auf den Korsaren requiriert hatte. Kurz darauf setzte sich das Schiff langsam in Marsch und verließ Port Jackson in Richtung Westen.
Zwölftes Kapitel
Das Goldsucherlager von Brimstone Mounts
Zwei oder drei Tage nach den im vorherigen Kapitel geschilderten Ereignissen fuhr eine leichte Piroge den Skaim River stromaufwärts, der sich im Westen Australiens in den Indischen Ozean ergießt.
Acht Männer handhabten die Ruder. An ihrem wettergebräunten Teint, ihren entschlossenen Blicken und ihren rhythmischen Bewegungen hätte der aufmerksame Betrachter unschwer Seeleute erkannt, noch dazu alle mit dem weiten Hemd und der engen, in Büffellederstiefeln steckenden Hose bekleidet waren. Im Hintergrund des Bootes saß ein mit einem Tropenhelm bedeckter Mann. Er schien der Anführer der kleinen Schar zu sein.
»Kapitän«, sagte respektvoll einer der Ruderer, »wir müßten uns bald der Stelle nähern.«
Der Mann hob den Kopf.
»Ja, mein Junge. Ich denke, daß der Fluß nach wenigen Meilen Richtung Süden abbiegt. Das ist der Punkt, von dem aus wir zu Fuß weitermarschieren.«
Dieser Satz wurde in reinem Englisch gesprochen, doch mit einem französischen Akzent, der den Nicht-Briten verriet.
Wieder herrschte Schweigen. Schnell schoß das Boot zwischen den bewaldeten Ufern dahin. Das Wasser, das sich an der Bordwand brach, war trübe, die Ufer einsam. Von Zeit zu Zeit durchschnitt ein kurzer Schrei die Luft. Ein Vogel flog schwerfällig über den Fluß und verschwand bald darauf zwischen den Blättern. Oder Känguruhs hopsten mit ihren seltsamen Sprüngen über eine Lichtung. Bei jedem Sprung der Beuteltiere schlugen ihre Hinterpfoten den Erdboden wie ein Trommelwirbel.
Doch im allgemeinen herrschte Schweigen über der tristen australischen Landschaft, nur hin und wieder vom Eintauchen der Ruder unterbrochen. Die Sonne hatte fast ihren Zenit erreicht und übergoß das Land mit blendender, gleißender Klarheit. Schweiß rann den Matrosen übers Gesicht, in dicken Tropfen tränkte er ihre Wangen, ihre Nase und ihren Mund. Alle litten unter der trockenen, heißen Luft.
Derjenige, der soeben mit dem Titel »Kapitän« angesprochen worden war, befahclass="underline" »Ans Ufer, Jungs. Wir ruhen uns im Schatten aus, bis die größte Hitze vorbei ist.«
Statt einer Antwort erklang aus den Kehlen der Männer ein rauhes Lachen, und die Piroge schoß weiter in der Flußmitte dahin. Nach einiger Zeit kamen sie an eine Flußbiegung, und der Matrose, der vorhin das Wort an den Kapitän gerichtet hatte, bemerkte: »Schauen Sie, dort vorn, Kapitän. Der Fluß macht eine weitere Krümmung nach Süden, und ich kann von hier die drei Spitzen erkennen, die man uns bezeichnet hat.«
Der Seemann hatte recht. Hinter einer von Bäumen noch verdeckten Biegung ragten drei Felszacken hervor.
»Nun, Kapitän?« fragte der Matrose.
»Ich glaube, Sie haben recht, Braddy. Zwei Meilen dürften uns noch von der Stelle trennen; also, eine letzte Anstrengung, Jungs, dann können wir uns ausruhen.«
Bald vermochten sie Einzelheiten zu erkennen. Seltsame Zeichnungen bedeckten die Felswände. Auf dem rötlichen Granit kreuzten sich eingemeißelte Linien mit einem geheimnisvollen Netz von grauen Strichen. War das eine Laune der Natur? Oder das Werk der Eingeborenen, der Aborigines? Kündeten die Monolithen als stumme Zeugen von einer naiven Religion, an die sich die heutigen Menschen schon nicht mehr erinnerten?
Niemand wußte es. Weder die australischen Stämme noch die europäischen Eroberer.
Aber diese geklöppelten Felsspitzen bildeten für die Reisenden einen Orientierungspunkt, der sie nicht fehlgehen ließ. Und falls sie doch noch im Zweifel gewesen wären, so wäre der rasch verflogen, denn als sich ihr Boot dem Ufer näherte, trat ein tätowierter, nur mit einem Lendenschurz bekleideter Eingeborener aus dem Gebüsch und stieß einen gutturalen Ruf aus.
»Dort ist der Führer, Kapitän!« rief Braddy.
»Ja, in der Tat, scheint unser Mann zu sein.«
»Also müssen wir uns hier trennen.«
»Ja, mein Junge.«
»Und erwarten wie abgesprochen hier Ihre Rückkehr.«
»Versteckt euch und die Piroge im Busch.«
»All right.«
Sanft glitt die Piroge mit einem leichten Knirschen auf den goldfarbenen Sand. Der am Ufer stehende Eingeborene grüßte mit erhobener Hand. Er war halbnackt, die Lenden waren mit einem hellen Schurz bedeckt, seinen struppigen Haarschopf zierten Raubtierzähne, die rechte Hand hatte er in die Hüfte gestützt, in der linken hielt er einen Karabiner. Er war häßlich für europäische Begriffe, aber seine Erscheinung strahlte Kraft und Zähigkeit aus.
»Mora-Mora grüßt Kapitän Triplex«, sagte er in einem rauh klingenden Englisch.
Der Mann mit dem Tropenhelm antwortete genauso: »Kapitän Triplex grüßt Mora-Mora.«
Danach sprangen die Insassen des Bootes ans Ufer. Die Ruderer luden sich das Boot auf die Schultern und verschwanden mit ihm im Dickicht, das einige Schritt vom Ufer entfernt begann.