»Wünscht der Kapitän zu speisen?« fragte der Australier.
»Ja.«
»Wir werden den Teppich unseres Weges erst nach der größten Hitze entrollen und wenn die Sonne, nachdem sie den Himmelsberg herabgestiegen, an dieser Stelle angekommen sein wird.«
Mit der Hand wies der Führer an eine Stelle am Firmament.
Sein Gegenüber gab mit einem Kopfnicken sein Einverständnis.
»Gut. Mora-Mora hat das Lebenslicht eines jungen Känguruhs gelöscht; Mora-Mora hat das Wildbret gehäutet und es der zärtlichen Liebkosung der Flammen ausgesetzt. Vielleicht möchte sich der Kapitän vor der Pause noch stärken?«
»Sicher, und meine Gefährten ebenfalls.«
Der Eingeborene lächelte und entblößte eine Reihe blendend weißer Zähne, die spitzgefeilt waren, warf seinen Karabiner über die Schulter und wandte sich zum Dickicht, in dem er verschwand.
Der Europäer blieb zurück und wunderte sich über die poetische Sprache des Führers. Das war eine Besonderheit der australischen Psyche. Männer, Frauen, Kinder sind physische Monster, die den Affen ähnlicher sehen als den Menschen; aber durch eine besondere Laune der Natur, durch eine unerwartete Kapriziosität der Schöpfung, ist ihr Ethos voller Anmut, poetischer Leuchtkraft, die sicher inspiriert ist von der herben Großartigkeit des dichtbewachsenen Busches und der schrecklichen Großartigkeit der ausgeglühten Einöden.
Der Kapitän hatte jedoch nicht die Zeit, sich diesen Überlegungen in aller Tiefe hinzugeben, denn die Matrosen hatten das Boot sicher versteckt und kamen nun zurück. Im selben Augenblick zeigte sich auch Mora-Mora wieder. In einer Hand trug er ein Bündel dickfleischiger Blätter, in der anderen schwenkte er triumphierend ein gebratenes Känguruh, das am Bajonett seines Gewehrs aufgespießt war. Dieser Anblick entlockte den Ruderern ein kräftiges Hurra! In Sekundenschnelle hatten sich alle im Schatten niedergelassen, und kurz darauf bewiesen Schmatzen und das Krachen der Kiefer, daß den ausgehungerten Mägen endlich Genüge getan wurde. Nachdem der Hunger gestillt war, streckte sich jeder auf dem Erdboden aus, und in der drückenden Hitze, die durch die Nachbarschaft des Flusses kaum gemildert wurde, gab sich die erschöpfte Truppe erst einmal dem Schlaf hin.
Relative Kühle weckte die Schläfer. Sie öffneten die Augen. Die weiße, stechende, blendende Glut der Tagesmitte war einer mattgoldenen Helle gewichen, die schon mit den roten Streifen des Abendrots durchsetzt war.
Mora-Mora hielt zwei gesattelte und aufgezäumte Pferde am Zügel und sagte: »Kapitän, der Augenblick ist gekommen.«
Mit einem Satz war dieser auf den Beinen.
»Ich bin bereit, Mora-Mora.«
Und nachdem er mit gedämpfter Stimme dem alten Braddy schnell einige Instruktionen gegeben hatte, sprang Triplex in den Sattel. Auch der Eingeborene bestieg sein Pferd. Beide verschwanden auf einem kaum wahrzunehmenden Pfad im Busch.
Fast zwei Stunden ritten sie so, eingepfercht zwischen zwei blätterbewachsenen Mauern, dann erreichten sie schließlich eine weitgestreckte Ebene, die von Gummibäumen gesäumt war. Der Weg erlaubte ihnen jetzt, ihre Pferde schneller ausgreifen zu lassen.
Zur Nacht erreichten sie eine Herberge, wenn man dieses Wort für den schmucklosen, rohen und ziemlich baufälligen Aufenthaltsort überhaupt gebrauchen darf. Unterwürfig empfing sie der Besitzer.
»Möchte schwören, ein Gentleman, der sich auf dem Weg nach den Goldfeldern von Brimstone Mounts befindet«, sagte er, wobei er die Hände vor seinem rundlichen Bauch faltete.
»So ist es«, antwortete der Kapitän gleichgültig.
»Gute Idee. Die Ernte lohnt sich.«
»Kümmert mich wenig. Ich suche nur einen Goldgräber.«
»Bei der Seele Cawsons!« rief der Wirt aus. »Ich glaube davon kein Wort. Das Goldfeld läßt keinen mehr los, der es erst einmal betreten hat.«
»Mich schon, denn ich brauche Gold nicht.«
»Ah, der Gentleman ist reich!« rief Cawson erfreut und zog instinktiv seine Mütze.
Der Kapitän lächelte.
»Ihr Respekt vor dem Reichtum läßt vermuten, daß er in diesem Landstrich sehr selten ist.«
»Ha! Wo wohnt dieser phantastische Götze?«
»Mir scheint doch, daß dieses Goldland …«
»Irrtum, Gentleman, Irrtum. Die Claims enthalten mehr Desillusionen als kostbares Metall.«
»Wirklich?«
»Nun, wäre ich Goldwäscher geblieben, wäre ich verhungert. Aber ich bin auf eine Goldader gestoßen.«
»Und die wäre?« fragte der Kapitän amüsiert.
»Hier. Die Herberge.«
»Ach was!«
»Doch. Die Pioniere, die voller Elan hierherkommen, überlassen mir einen Teil ihrer Vorräte; und die, die voller Enttäuschung wieder abziehen, überlassen mir einen Teil ihrer Ausbeute. Sie werden arm und ich reich.« Der dicke Mann schnaufte, dann redete er in einem belehrenden Ton weiter: »Ich will Ihnen was sagen, Gentleman. Die Schürfplätze sind der Köder für die Verkäufer von Nahrungsmitteln und Wasser.«
»Nicht möglich.«
»Aber ja doch, sage ich Ihnen. Wenn ein Schürfer gut arbeitet, hat er, nun, sagen wir, mittelmäßiges Glück, dann schürft er etwa hundert Goldfranken am Tag.«
»Teufel! Das ist doch was!«
»Warten Sie. Das wäre ein anständiger Lohn in einer gewöhnlichen Stadt; aber hier ist wegen der schwierigen Verbindungen und der fehlenden Konkurrenz alles teurer.«
»Verstehe. Die Händler nutzen die Situation aus.«
»Es ist das Gesetz von Angebot und Nachfrage, Gentleman. Brauchen Sie etwas nicht unbedingt, so fällt der Preis der betreffenden Produkte; wird dieses Produkt unerläßlich, so steigt sein Preis.«
»Wie hoch denn?«
»Nun, ein Ei kostet fünf Franken, eine Flasche Wasser vier, normaler Tafelwein die Flasche zwanzig Franken, ein Huhn ein bis zwei Pfund, Bier zehn Franken der Liter. Eine ganz normale Mahlzeit kostet Sie etwa dreißig Franken. Wenn Sie Kleidung, Werkzeug hinzurechnen, die ebenfalls sehr teuer sind, dann kommen Sie zu der Überzeugung, daß hundert Franken am Tag einen Schürfer nur in Schulden stürzen.«
»Zu der Überzeugung komme ich, in der Tat.«
»Und das ist nicht alles, die Schürfer werden zudem noch von den Goldhändlern ausgebeutet, denn diese kennen die Situation der Schürfer sehr genau. Findet ein Schürfer eine hübsche Ader, dann ist in Null Komma nichts der Händler da und bietet dem Schürfer an, sie für ein Viertel des tatsächlichen Wertes zu kaufen. Der Schürfer nimmt an, denn er bekommt ja bares Geld in die Hand. Alles in allem, Sie finden dort, wo es das meiste Gold gibt, auch die größte Armut.«
»Nun, Mr. Cawson«, unterbrach ihn der Kapitän. »Nach dieser philosophischen Betrachtung wäre etwas Materie nicht schlecht. Tischen Sie uns was auf. Und behandeln Sie uns nicht wie arme Goldschürfer.«
Dieser Hinweis entlockte dem Wirt ein sonores Lachen. So schnell, wie es seine Korpulenz erlaubte, deckte er einen Tisch in dem einzigen Saal und gab zwei schwarzen Bediensteten seine Befehle. Nachdem diese Vorbereitungen beendet waren, kam er zu den Reisenden zurück und sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie ein wenig warten lasse, denn meine Frau Peggy ist nicht da. Sie bringt unser Geld zur Bank. Wir bewahren hier nur wenig auf, denn die enttäuschten Schürfer haben kaum Skrupel zu stehlen, wo sie können.«
»Von den Händlern bestohlen, stehlen sie selbst bei jeder Gelegenheit«, sagte Triplex. »Das ist das Gesetz des Gleichgewichts, Mr. Cawson.«
»Das Gesetz kenne ich nicht«, erwiderte Cawson und kratzte sich am Kopf. »Aber sicher gibt es so ein Gesetz, wenn Sie das sagen.«
»Gibt es nicht auch Goldschürfer, die ein Vermögen machen?«
»O gewiß! Einer auf zehntausend vielleicht findet eine ergiebige Ader; wenn er sie ausbeuten kann, ohne daß die anderen es merken, ist er reich; und wenn sich sein Fund rumspricht, ist er verloren. Hundert Messer warten in der Dunkelheit, um ihn um die Früchte seiner Entdeckung zu bringen.«