Bei diesen Worten berührte der Führer, der bis dahin unbewegt der Unterhaltung gelauscht hatte, den Kapitän leicht am Arm und sagte: »Mora-Mora und seine Brüder mißtrauen den goldenen Steinen. Damit ein Krieger seine Begleiterin ernährt, bedarf es nur eines guten Gewehrs, eines Bumerangs und Muts. Mit Worten mißachten die Weißen das Gold, aber sie zerfleischen sich, um in seinen Besitz zu kommen. Warum behaupten sie, daß wir Wilde sind?«
Eine lästige Frage an die Weißen; deshalb begnügte sich der Kapitän damit, beistimmend zu nicken, um dann auf den Kern ihrer Reise zu sprechen zu kommen.
»Apropos, Mr. Cawson«, fragte er, »kennen Sie vielleicht einen gewissen Bob Sammy in Brimstone Mounts?«
»Bob Sammy, ja. Ein Riese von Mann, finster und schweigsam.«
»Das ist er.«
»Ein seltsamer Kerl, der anderen Angst einflößt. Er hat keine Freunde. Seine Hütte hat er auf einem Felsen errichtet, der wie eine Insel zwischen zwei schmalen Hohlwegen liegt. Er arbeitet allein, und abends sitzt er meist vor seiner Hütte und schaut nach Westen. Man behauptet, daß er dort manchmal die ganze Nacht sitzt. Ein Schürfer hat mir erzählt, daß er einmal bei Vollmond Bob Sammy beobachtet hat, und das war eine Stunde nach Mitternacht. Bob machte ganz irre Bewegungen und schien irgend jemand zu rufen. Im übrigen tut er keiner Flieg’ was, aber man hält ihn für ein bißchen meschugge.«
Die Reisenden hatten keine Zeit mehr, darauf zu antworten, denn in diesem Augenblick wurde ihnen ein einnehmendes Opossumragout vorgesetzt. Damit waren sie für einige Zeit beschäftigt.
Danach rollte sich der Kapitän in eine Decke, die während des Rittes hinter seinem Sattel festgeschnallt war, und legte sich in einer Ecke des großen Raumes schlafen, ungeachtet der Redseligkeit des dicken Cawson. Dieser wollte sich dafür an dem Führer schadlos halten, aber der Australier hatte es dem Kapitän schon gleichgetan.
Dem Wirt blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls schlafen zu gehen, nachdem er den Eingang mit einem eisernen Riegel verschlossen hatte. Dann stieg er eine wacklige Treppe empor, die in einen schmalen Verschlag führte, den er stolz »mein Appartement« nannte.
Am Morgen verabschiedeten sich die beiden Reisenden von dem Wirts-Philosophen und ritten Richtung Osten weiter. Ihre Siesta hielten sie unter Gummibäumen, die eine Quelle umstanden; die Nacht verbrachten sie in einem felsigen Tal. Da sich in der Gegend weit und breit kein Anwesen befand, hatten der Führer und der Kapitän beschlossen, die Nacht hier zu verbringen.
Der kommende Tag war eintönig. War das Land bisher grün gewesen, so änderte es nun sein Aussehen. Sie ritten durch eine flache, glatte, nur selten hügelige Gegend. Der gelbe Sand wurde nur hin und wieder durch rötliche Felsen unterbrochen.
»Die australische Große Sandwüste«, sagte Mora-Mora.
Glücklicherweise kannte er sich hier aus, und so konnten sie die ärgste Glut des Tages in einer kleinen Grotte verbringen. Dann setzten sie ihren Weg fort. Zwei Tage ritten sie durch die Wüste. Endlich zeigte sich am dritten eine schwache dunkle Linie am Horizont.
Der Australier wies mit der Hand darauf.
»Die Berge von Brimstone!«
Bei diesen Worten spornte der Kapitän sein Pferd an, aber der Eingeborene fiel ihm in die Zügel.
»Wenn Sie Ihr Reittier galoppieren lassen, werden wir heute nicht mehr unser Ziel erreichen«, sagte er.
»Ach was! Es sind doch kaum zehn Meilen!«
»Wenn Sie das Doppelte veranschlagen, kommen Sie der Wahrheit um einiges näher. Sie sind nicht an flaches Gebiet gewohnt und ermessen die Entfernungen kaum.«
Die Bemerkung entsprach der Wahrheit, denn sie erreichten die Ausläufer der Berge erst, nachdem die Sonne sich zum Horizont geneigt hatte.
Triplex hatte ein grandios-schauriges Bild vor Augen. Gezackte Höhenzüge, hin und wieder von offenen Spalten durchzogen und durch schmale, schluchtartige Taleinschnitte voneinander getrennt, in denen bläulicher Nebel waberte, dessen Geruch dem Begleiter des Eingeborenen den Ausruf entlockte: »Aha! Schwefelsäuredämpfe!«
Die chemische Bezeichnung war dem Führer unverständlich, aber den Ausdruck, der diese Bemerkung begleitete, verstand er wohl.
»Du riechst das Leid«, erklärte er. »Hier ist das Land, wo man es erntet. Es gibt Quellen, die ganze Schlamm- und Staubfontänen voller Leid herausschleudern. Schau es dir genau an. Hier findet man die größten Goldsteine.«
Die Reiter schwenkten in einen Taleinschnitt ein, der breiter war als die anderen. Spalten und kleine Erhebungen durchzogen den Boden. Aus allen entwich bläulicher Dampf, und ihre Seiten waren von gelblichem Schwefelstaub bedeckt. Das waren Solfatare oder schweflige Vulkane, die der Hügelkette, die die Reisenden jetzt durchritten, ihren Namen gaben.
Zunächst schien die Gegend menschenleer, aber als er genauer hinschaute, entdeckte der Kapitän doch Menschen. Die einen knieten am Ufer eines gelblichen Flusses und wuschen dessen Schlamm und Sand, um daraus die wertvollen Nuggets zu sieben; die anderen hämmerten auf die Quarzfelsen ein.
Als sie weiterritten, stellte der Europäer fest, daß die unterirdische Bodenaktivität ständig zu spüren war. Überall lagen verstreute Basaltblöcke – Zeugen leichter Beben, die von den Felsen losgerissen worden waren. Unter ihren Füßen brodelte der Boden wie das Wasser in einem Pfeifkessel, und immer wieder entwich hier und da ein beißender, scharfer Dampf dem Boden, der das Atmen erschwerte und die Augen verklebte.
Mora-Mora ritt auf einen der Goldwäscher zu und fragte: »Können Sie mir sagen, wo sich das Haus von Bob Sammy befindet?«
Der Arbeiter richtete sich auf, betrachtete die Reiter mißtrauisch und entgegnete grob: »Völlig zwecklos, euch den Weg zu erklären. Bob läßt niemanden rein.«
»Was läßt Sie denn denken, daß mein Chef ›rein‹ will; aber es dürfte ihm doch gestattet sein, den Schürfplatz des Mannes von nahem zu besehen.«
»Damit er für seine Neugier eine Kugel in den Pelz kriegt? Gut, gut, das bringt ein wenig Abwechslung. Der Weg ist nicht schwer zu finden. Reitet den Bach etwa eine Meile aufwärts entlang; ihr kommt an eine Stelle, wo die Schwefeldämpfe so dicht sind, daß sie den Boden bedecken. Dort mittendrin steht ein Felsen von vielleicht zwanzig Meter Höhe und auf dem Felsen eine Hütte. Dort ist es.«
Und ohne sich weiter um die beiden zu kümmern, nahm der Mann seine Arbeit wieder auf.
Der Führer machte sich daran, den Hinweisen des Mannes zu folgen. Zusammen mit dem Kapitän schritt er, die Pferde am Zügel, am Wasser entlang. Hin und wieder drehte sich einer der Goldwäscher nach dem Geräusch um, das die Schritte der Pferde machten. Diese Gesichter waren hart, und in ihren Blicken lag sowohl etwas Drohendes wie Fanatisches.
Wenn man sie sah, mußte man unwillkürlich an die Sentenz des Hinduphilosophen Nuraki denken:
»Wer nur die Sucht nach Gold besitzt, wird zum Banditen. Das Leben erschöpft sich für ihn in einem Wort: nehmen. Und wenn sich die Gelegenheit bietet, nimmt er, ohne zu zögern; wenn möglich, mit List und Tücke, denn Tücke entspricht eher dem Geist des Schwachen, es sei denn, er entscheide sich, Gewalt anzuwenden. Die Sucht nach Gold ist kein Ideal, kein hehres Gefühl und kein großer Gedanke, es ist einfach nur Appetit, der aus jedem menschlichen Wesen einen von jedem Edelmut weitentfernten Menschen macht und ihn unweigerlich der Niedertracht und dem Stumpfsinn überantwortet.«
Als der Kapitän sie sah, verstand er, warum es soviel Morde auf den Goldfeldern gab. Auf den sorgenvollen Stirnen der Goldsucher las er das Aufbegehren der Verdammten, in ihren Augen das Blitzen blanker Hoffnungslosigkeit, und selbst aus ihren Mündern schienen beim Sprechen Morddrohungen zu entweichen.