Inzwischen waren sie weiter vorangekommen. Die Hügel, die das Tal einschnürten, wurden enger; die Löcher, aus denen Schwefeldämpfe entwichen, waren dichter geworden, der Dunst stickiger, so daß den Erdboden ein dicker weißlicher Teppich zu bedecken schien. Und hundert Schritt von ihnen entfernt ragte ein Felsmassiv ähnlich einem aus Wolkendunst emporsteigenden phantastischen Schloß empor, auf dem eine Hütte stand. Am Rande des felsigen Abgrundes stand ein Mann aufrecht inmitten von Felsgeröll und blickte nach Westen. Man hätte ihn für ein Denkmal halten können, so war er mit der Granitmasse verschmolzen.
Die Schwefeldämpfe wogten um die beiden Reiter. Mit tränenden Augen und brennender Kehle konnten sie nur mühsam Atem holen. Ihre Tiere hoben erwartungsvoll den Kopf, als ahnten sie instinktiv, daß sie weiter oben reinere Luft finden würden.
Dreizehntes Kapitel
Bob Sammys Hütte
Plötzlich machte der nachdenkliche Schürfer eine Bewegung. Er hatte die Besucher wahrgenommen.
»Seine Augen ruhen auf uns«, flüsterte Mora-Mora.
Einen Augenblick lang betrachtete der Schürfer baß erstaunt die Kühnen, die es gewagt hatten, bis zu seinem Domizil vorzudringen. In dem Bild, das er von ihm entworfen hatte, hatte der Wirt die Wildheit des Mannes kaum übertrieben, und mehr als einer der Goldsucher hatte seine Neugier schon bitter bereut.
»Sind Sie Bob Sammy?« schrie der Korsar.
»Und Sie, wer sind Sie?« schrie der Riese mit rauher Stimme zurück, die die Distanz zwischen ihnen mühelos überbrückte.
Ruhig erwiderte der Kapitän: »Ich bin der, auf den du wartest.«
Der Mann setzte sein Gewehr ab, das er beim Anblick der beiden Reiter instinktiv in Anschlag gebracht hatte, und schien zu überlegen.
»Welchen Beweis haben Sie dafür?« fragte er mißtrauisch.
»Der Lachlan River fließt wie immer träge dahin«, sprach der Reiter, »aber der goldene Harlekin ist aus den Wassern aufgetaucht, um Tränen zu trocknen.«
Der Schürfer warf seinen Karabiner zu Boden, auf den er mit einem trockenen Klicken niederfiel, breitete die Arme aus und rief mit bewegter Stimme: »Ich komme herab, Meister. Ich komme herab, um Sie zu führen.«
Wie von der Tarantel gestochen, rannte er zu dem entgegengesetzten Felsrand und stieg einen schmalen Pfad herab, der in die Ebene führte. Der Weg war ihm gut vertraut, denn sonst hätte er sich bei der Geschwindigkeit auf dem steinigen, glatten Pfad sicher den Hals gebrochen.
In fünf Minuten war er bei den Besuchern, doch als ihm der Kapitän die Hand hinstreckte, wich er zurück.
»Noch nicht, Meister, noch nicht. Warten Sie damit, bis das Unheil wieder gutgemacht wurde«, sagte er. »Aber kommen Sie erst einmal, Meister. Seit Jahren erwartet meine bescheidene Hütte Ihren Besuch.«
Zweifellos mußte der Kapitän über die geheimen Gedanken seines Gegenübers bestens unterrichtet sein, denn er zeigte keinerlei Spur von Überraschung.
»Und unsere Pferde?« fragte er nur.
»Der Sie begleitet, kann die Tiere zu Roboam Smith führen, sein Haus liegt da unten, etwa fünfhundert Meter von hier entfernt.«
Mora-Mora nickte.
»Du kannst ihm sagen, daß die Pferde Bob Sammy gehören. Das genügt; sie werden gut versorgt werden. Und dann komm ruhig in meine Hütte. Du bist der Diener des Kapitäns, und mein Haus gehört dir.«
Majestätisch senkte der Eingeborene den Kopf.
»Mora-Mora nimmt Ihre Gastfreundschaft dankend an. Aber Mora-Mora ist ein Häuptling und niemandes Diener. Er ist der Freund des Kapitäns.«
»Nun gut«, sagte der Riese, und in seinen Worten schwang das Mißtrauen mit, das die Pioniere der Insel angesichts der Ureinwohner verspüren, »dann erneuere ich meine Einladung an dich als Freund.«
Seine Ironie entging dem Führer, oder wollte er nur die Unterhaltung nicht fortsetzen? Nichts in seiner Physiognomie verriet den leisesten Argwohn. Er griff nach den Zügeln seines Pferdes und denen vom Pferd des Kapitäns und wandte sich zu dem Haus, das ihm der Schürfer bezeichnet hatte.
Letzterer war mit seinem Gast allein geblieben. Er schaute diesen mit einer Mischung aus Erstaunen und Befriedigung an.
»Das ist seltsam«, sagte er schließlich. »Er ist es, und ich erkenne ihn nicht wieder.«
Ein Lächeln spielte um die Lippen des Korsaren.
»Versuch es nicht zu verstehen, Bob. Es wird dir rechtzeitig erklärt werden. Ich bin der, den du erwartest, und dennoch bin ich nicht der, der zu sein du glauben magst.«
Mit einer Bewegung schnitt er dem Goldsucher, der etwas erwidern wollte, das Wort ab.
»Ich wiederhole es. Gehorche und verlang keine Erklärungen. Auch wenn ich nicht er bin, so bin ich doch auch er, und das Unheil wird wieder gutgemacht.«
Der vierschrötige Goldsucher verbeugte sich so tief, daß man meinte, er wolle niederknien, und sagte ehrerbietig: »Wenn es Ihnen genehm ist, Meister, so kommen Sie in meine Hütte.«
»Es ist mir genehm, Bob.«
Ein letzter Blick auf den Führer, der zum Haus von Roboam Smith unterwegs war, und der freiwillige Eremit wandte sich zu dem Basaltmassiv, dem mächtigen Fundament seiner Hütte. Der Kapitän folgte ihm. Beide machten sich daran, den Anstieg zum Plateau zu erklimmen. Bei jedem Schritt stützte der Pionier mit seiner kräftigen Hand den Begleiter. Seine rauhe Stimme wurde geradezu sanft, wenn er Hinweise zu den Tücken des Weges gab: »Den Fuß auf diesen Vorsprung, Meister … Die Hand in diese Vertiefung … So … Fein! Vorsicht, dieser Felsblock wackelt … Gut!«
Schließlich war der gefahrvolle Aufstieg geschafft, und die beiden Kletterer standen auf dem Plateau.
Trotz der glättenden Arbeit des Regens ließ die Oberfläche des Felsens – etwa vier bis fünf Meter je Seite – die gewaltige tektonische Kraft ahnen, die ihn früher über das Tal hatte emporragen lassen. Überall war der Boden geborsten und mit Blasen übersät; man fühlte, daß man auf erkalteter Lava ging.
Es war schrecklich und finster: Kein Grashalm, nicht eine dieser Schmarotzerpflanzen, die sich selbst an den härtesten Granit krallen. Basalt widersteht Sporen. Der Vulkan schleudert ihn als Schlacke aus der Erde heraus. Erkaltet bleibt er schwarz und abweisend, ein Todesbote aus dem Inneren der Erde, der jedes Leben abweist.
Durch ein natürliches Bollwerk aus Felsgestein geschützt, stand hier die Hütte des Goldsuchers. Bob öffnete die schwere Tür und bat den Korsaren einzutreten. Dieser kam der Aufforderung nach und blickte neugierig um sich. Die Unterkunft war erbärmlich, aber die hölzerne Wand, der Fußboden aus gestampftem Lehm, die Waffen und Werkzeuge und die Pfannen in der Küche waren sauber.
Der Riese rückte einen Schemel heran und sagte dröhnend: »Zweifellos haben Sie Hunger. Ich habe letzte Nacht gejagt und Vorräte beschafft: einen Emu, Beutelratten und Hasen. Hier, Meister, setzen Sie sich, während ich das Essen vorbereite.« Und mit einem Augenzwinkern: »Sie stehen auf der Klappe, die mein Versteck verschließt. Dort habe ich zwei Sack Goldstaub. Zu Ihrer Verfügung, wenn die Mittel fehlen, um den Kerl zu besiegen, der aus mir einen Mörder machen wollte.«
Schwatzend zog er, aus einem großen Schnappsack das Wild. Er warf die Tiere nach draußen und nahm sie aus. Bald erschien Mora-Mora wieder. Wortlos half der Australier dem Goldsucher beim Ausnehmen des Wildes. In kurzer Zeit waren die Tiere ihres Felles oder Federkleides beraubt und bereit zum Braten.
Es wurde Nacht. Eine in einer Flasche steckende Kerze beleuchtete die Hütte. Draußen garte der Emu, groß wie ein riesiger Truthahn, über der offenen Flamme, die das Felsplateau mit einem rötlichen Schimmer überzog. Der Kapitän näherte sich den beiden am Feuer hockenden Männern. Seine Blicke irrten über die ganz im Dunkeln liegende Gegend.