Plötzlich schien der Boden unter seinen Füßen zu zittern.
»Was ist das?« fragte er.
Der Riese zuckte mit den Schultern und erwiderte gleichgültig: »Nichts. Schwefelvulkane. Passiert von Zeit zu Zeit. Es wird etwas mehr Rauch geben, aber hier werden wir davon nicht belästigt. Wir sind zu hoch.«
Dann schwieg er wieder.
»Letztes Jahr«, sagte er nach einiger Zeit, »sind Gelehrte hier gewesen. Sie gebrauchten Worte, die ich nicht verstanden habe. Ich habe nur soviel mitbekommen, daß sie das Tal für einen riesigen Krater hielten, dessen Kruste ständig in Bewegung war. Ihrer Meinung nach säßen wir hier auf dem Deckel eines kochenden Topfes. Riskant, aber unmittelbare Gefahr bestehe nicht, solange der Druck in der Erde durch Spalten und Solfatare entweichen würde. Doch ich bin kein Gelehrter.«
Plötzlich hielt er inne.
»Sehen Sie, in den Schwefelgruben brennt es.«
Der Korsar folgte der Richtung von Bobs Blicken. Unten in der Ebene leuchtete es grün und rot auf. Erst vereinzelt, dann immer häufiger, wie ein riesiges Feuerwerk. Als würde sich die Erde öffnen und einen Blick in die Hölle gestatten. Der Kapitän hatte freilich nicht lange Zeit, sich an diesem schaurig-schönen Anblick zu erfreuen. Bob meldete, daß der Emubraten gar sei.
»Lassen Sie den Schwefel brennen, Meister, und kommen Sie zu Tisch.«
Der Tag war anstrengend gewesen, und so ließen sich sowohl der Korsar als auch sein Führer nicht zweimal bitten. Der Emu schmeckte exzellent. Und nachdem die Reisenden ihren Hunger gestillt hatten, waren sie rechtschaffen müde. In Sekundenschnelle hatte ihr Gastgeber Matten auf den Boden der Hütte gelegt. Dort streckten sie ihre ermatteten Glieder aus und waren bald eingeschlafen. Bob räumte sorgfältig die Reste der Mahlzeit weg und legte sich dann ebenfalls, in eine Decke gerollt, auf den Boden schlafen.
Aber keiner der drei konnte sich einem unbeschwerten, friedlichen Schlummer überlassen. Sie schliefen zwar, doch es schien ihnen, als würden sie einen seltsamen Alptraum miterleben. Sie hatten den Eindruck, als würde ihre Schlafstätte eine Schiffskajüte sein und sich auf stürmischer See befinden, so schwankten sie hin und her. Kampfgeräusche drangen in ihr Unterbewußtsein, Detonationen von Geschützen und Musketen, die Takelage ächzte; nichts fehlte, die Illusion war perfekt. Zunehmende Hitze trieb ihnen den Schweiß auf die Stirnen, drückende Luft machte ihnen das Luftholen schwer. Plötzlich schreckten alle drei gleichzeitig hoch und blickten entsetzt um sich.
Durch die Fenster der Hütte drang zwar das Tageslicht, aber es war ein trübes Licht; bläulicher Nebel waberte in der Hütte, und, was noch seltsamer war, dieser Dunst brannte in den Augen und verursachte Hustenreiz.
»Was ist denn los?« stammelte der Kapitän zwischen zwei Hustenanfällen.
»Die Schwefelgruben rauchen«, erwiderte der Hüne gelassen. »Es ist nur das erstemal, daß ihre Dämpfe bis zum Plateau steigen.«
Er hatte kaum geendet, als ein pfeifender Knall die Luft zerriß; der Basaltkegel wurde geschüttelt wie ein Baum im Sturm, und fahle Blitze zuckten durch den Nebel.
Mit einem Satz waren die drei Männer auf den Beinen. Sie liefen nach draußen. Dort warf sich der Australier augenblicklich auf die Erde und wimmerte furchtsam: »Die Feuergeister haben sich von ihren Ketten gerissen!«
Die Europäer standen sprachlos angesichts dessen, was sie sahen.
Ihr Felsplateau bildete eine Insel, die von den anderen Felsmassen durch enge Schluchten getrennt war. Durch diese Schluchten ergoß sich jetzt ein Lavastrom.
»Ein Vulkanausbruch«, murmelte der Korsar.
Genauso war es. Die unterirdische Kraft hatte die Erdkruste gesprengt; der »Topf« war übergekocht, und die Lavamassen ergossen sich nun ins Tal, bedeckten es mit ihrer brodelnden, dampfenden Masse, auf der Irrlichter zu tanzen schienen.
»Wir sind vom Feuer eingeschlossen!«
Diese Worte ließen seine Gefährten erzittern. Sie rückten an den Rand des Plateaus vor und schauten in die Tiefe. In der Tat, von überallher leckten die Flammen an dem Basaltblock. Sie befanden sich auf einer Insel, die jedoch nicht vom Meer, sondern von glühender, kochender Lava umgeben war.
Der Schiffbrüchige, den es auf eine mitten im Ozean liegende Insel verschlägt, ist gewiß zu beklagen; aber der Baum schenkt ihm dort Schatten und vielleicht auch Früchte; der Vogel singt ihm ein Lied, das Wasser selbst sorgt für seine Nahrung, indem es Muscheln und Krebse an den Strand spült.
Hier war allerdings nichts von alledem zu hoffen. Ein nackter, kahler Fels, der von einer flammenden Glut umgeben war. Es gab keine Hoffnung auf Hilfe. Das Tal war menschenleer. Die Schürfer waren geflohen, soweit sie das noch konnten. Nacheinander wurden ihre Behausungen eine Beute des sich langsam dahinwälzenden Lavastromes. Sie waren allein auf sich gestellt. Und was konnten schon drei Menschen gegen die entfesselten Naturgewalten ausrichten?
Mora-Mora hatte sich auf den Boden geworfen. Rief er seine Götter zu Hilfe, oder ergab er sich schon dem Todesgesang seines Stammes? Der Kapitän stand am Rande des Felsplateaus und blickte nach Osten. Der Goldsucher trat zu ihm.
»Meister«, sagte er, »wir haben noch Vorräte für drei oder vier Tage. Frühstücken wir erst einmal. Danach können wir immer noch beraten, was wir tun sollen.«
Dieser Appell an die physischen Bedürfnisse riß sie aus ihren betrüblichen Betrachtungen. Essen – das hieß ums Leben kämpfen.
»Essen wir«, antworteten die beiden Besucher Bobs.
Die Eruptionen hatten etwas nachgelassen, aufkommender Wind hatte die Schwefeldämpfe weggeweht.
Bob lächelte und bereitete ein kräftigendes Frühstück.
»Wir müssen weg von hier«, sagte der Kapitän kauend.
»Ja«, antwortete Bob. »Es gibt vielleicht eine Möglichkeit.«
Die anderen schauten ihn fragend an.
»Eine Möglichkeit?«
»Kühn, aber vielleicht haben wir Erfolg.«
»Und die wäre?«
»Dieser Baum.«
Er wies auf einen gewaltigen, hundertjährigen Gummibaum, der sich ihnen gegenüber auf der anderen Seite der Schlucht erhob.
»Wenn wir ihn so zu Fall bringen, daß seine Spitze auf unser Plateau stürzt, dann hätten wir eine Brücke, um den Abgrund zu überwinden.«
»Um ihn abzuschlagen, muß man erst hinüberkommen.«
»Richtig. Ich werde es versuchen.«
»Wie denn?«
»Mit einem Seil, an dem ein Enterhaken hängt. Das eine Ende befestige ich hier an einem Felsblock, das andere Ende mit dem Haken werfe ich nach drüben. Der Haken wird sich an einer Gabelung im Geäst verfangen, ich klettere mit einer Axt am Seil hinüber und …«
Der Kapitän schüttelte den Kopf. Ein verrücktes Unterfangen. Doch Bob beharrte darauf und tat, wie er gesagt hatte. Er holte aus der Hütte ein Seil, so dick wie sein kleiner Finger, an dessen Ende ein eiserner Haken mit vier Klauen, ähnlich einem Anker, befestigt war.
»Ich weiß, wie man damit umgeht«, erklärte er. »Wie oft bin ich schon Felsen daran hochgeklettert. Eine Sache der Gewöhnung.«
Ein neuerlicher Erdstoß unterbrach das Vorhaben des mutigen Goldsuchers. Während des ganzen übrigen Tages folgte ununterbrochen ein Ausbruch dem anderen. Mehrere Male glaubten die Gefangenen des Feuers schon, ersticken zu müssen, so beißend waren die Dämpfe, die über dem Plateau zusammenschlugen. Es wurde Abend, ohne daß die in hellem Wahn begriffene Natur Bob Sammy erlaubt hätte, sein gewagtes Experiment zu versuchen.
Es blieb den im Feuer Gestrandeten nichts weiter übrig, als sich schlafen zu legen und am nächsten Tag den Versuch zu starten. Schon hatten sie sich mit den vulkanischen Eruptionen abgefunden. Das Prasseln und Stöhnen der Erdrinde hinderte sie nicht daran, einzuschlafen, und am Morgen erhoben sie sich frischer als tags zuvor. Sie waren zuversichtlicher geworden und hatten Vertrauen in ihre eigene Kraft.