Hinzu kam, daß an einem blauen Himmel die Sonne lachte. Die vulkanischen Eruptionen waren abgeklungen, und wäre nicht der desolate Anblick des Tales gewesen, so hätten die drei glauben können, das alles nur geträumt zu haben.
Der Augenblick des Handelns war gekommen.
Von seinen Begleitern gefolgt, trat Bob an die Felswand, die derjenigen, auf der der Gummibaum stand, genau gegenüberlag. Er befestigte das Seil an einem Felsblock, schwang das Ende mit dem Haken über seinem Kopf und warf.
Die leine schwirrte durch die Luft, der eiserne Klauenhaken klickte trocken gegen die rauhe Baumrinde, hakte sich allerdings nicht fest.
Ohne sich entmutigen zu lassen, rollte der Schürfer die Leine wieder ein und unternahm einen weiteren Versuch. Dreimal wiederholte er das Manöver erfolglos. Endlich, beim viertenmal, verhakte sich das Eisen in einer Astgabelung. Zunächst vorsichtig, dann härter, ruckte Bob an dem Seil. Es spannte sich. Der Haken hielt. Der Versuch war geglückt.
Das Schwierigste stand nun bevor, und wieder widersetzte sich der Kapitän dem Unterfangen. Vom Plateau aus gesehen, wirkte das Lasso wie der Faden eines Spinnennetzes. Es schien unmöglich, daß es das Gewicht des Hünen aushalten könnte. Letzterer beantwortete die Vorhaltungen des Kapitäns mit einem Lachen. Es war nicht das erstemal, daß er sich seinem Seil anvertraute. Er wußte, wieviel es aushielt. Und um das unnütze Gerede zu beenden, packte er es mit beiden Händen und ließ sich daran über den Abgrund gleiten. Langsam hangelte er sich Zentimeter um Zentimeter weiter. Dieser Mann, der da über einem flammen- und rauchspeienden Abgrund schwebte, bot ein grandioses Schauspiel. Aber er kam voran. Schon hatte er die Mitte seines gefahrvollen Weges erreicht. Das Seil bog sich.
Plötzlich stieß Bob einen Schrei aus.
»Der Anker löst sich! Zieht das Lasso hoch!«
Bevor der Kapitän und der Australier begriffen hatten, hörten sie ein Krachen. Der Ast, in dessen Gabelung das Eisen festgehakt war, brach ab und stürzte in die Tiefe. Sammy stieß gegen den Basaltblock.
Doch der couragierte Pionier hatte nicht den Kopf verloren. Ohne das Seil loszulassen, drehte er sich um sich selbst und fing sich mit den Füßen am Fels ab. Der Aufprall hatte keine ärgerlicheren Folgen, allerdings baumelte Bob nur wenige Meter über der Lava, in die der Anker eingetaucht war.
Schreckensstarr beugten sich seine Gefährten über den Felsrand und riskierten abzustürzen.
»Zieht! Zieht!« schrie der Goldsucher atemlos. »Das Seil fängt Feuer. Beeilt euch, oder ich bin verloren!«
Der eiserne Haken war in der Tiefe verschwunden, und eine tanzende Flamme kroch vom anderen Ende des Seiles auf den Goldsucher zu.
Mit einem Satz war Mora-Mora neben dem Felsblock, an dem das Seil befestigt war. Der Kapitän tat es ihm gleich, und beide legten sich das Seil um ihre Schultern. An diesem Seil allein hing das Leben ihres Kompagnons. Es war ein schwieriges Unterfangen. Der Mann hatte ein beträchtliches Gewicht. Dennoch rückte er nach und nach höher.
»Los, Kinder, los!« rief er. »Die Flamme kommt näher, aber ihr schafft das schon!«
Endlich tauchte der Kopf Sammys am Rande des Plateaus auf. Jetzt konnte er sich auch mit den Füßen abstützen. Es war höchste Zeit. Seine Freunde stürzten zu ihm und zogen ihn auf den Felsen. Einige Zeit blieben alle drei erschöpft liegen, unfähig zu irgendeiner Reaktion.
»Danke«, sagte der Goldsucher schließlich, »danke. Obwohl mir nun auch nichts weiter übrigbleibt, als mit euch zu sterben.«
Sie blickten auf.
»Scheiße!« rief er. »Unser Seil ist futsch. Wir haben nur noch Nahrung für zwei Tage, und dann …«
»Es ist möglich, daß Hilfe kommt.«
Ein Schulterzucken und ein Auflachen begleiteten die Antwort Sammys: »Solange es hier qualmt, kommt kein Mensch her. Vielleicht vergehen Wochen oder gar Monate, bis man uns findet. Und dann sind wir schon verhungert. Es sei denn, dieser gottverdammte Gummibaum fällt von allein herüber.«
Er hatte ihre Situation deutlich umrissen. Die einzige Chance der drei Männer, dem Lavastrom zu entkommen, war gleichzeitig mit dem Lasso des Goldsuchers in Rauch aufgegangen. Von dieser Feststellung bis zur Verzweiflung war es nur ein Schritt. Der Tag verging trübsinnig und eintönig, nur hin und wieder von der schwächer werdenden Tätigkeit der Vulkanausbrüche unterbrochen.
Das gleiche in der Nacht. Das gleiche am nächsten Tag. Die letzten Nahrungsmittel wurden rationiert. Zwei Tage ging das gut, dann war vor allem das letzte Wasser verbraucht. Und noch immer rollte der Lavastrom durch die Schluchten, noch immer grummelte der Vulkan, noch immer reckte der Gummibaum seine grünen Zweige wie zum Hohn in den Himmel.
Das gleiche nach neun Tagen.
Der Kapitän und Mora-Mora lagen wie leblos auf dem Felsen. Bob Sammy, kräftiger als sie, schleppte sich manchmal bis zum Rande des Felsplateaus und blickte sehnsüchtig zum fernen Horizont, der irgendwo hinter den Lavadämpfen sein mußte. Nichts.
Der Himmel verdunkelte sich, die Sterne gingen auf. Die drei hatten nicht einmal mehr die Kraft, sich zum Schlaf in die Hütte zu schleppen. Die nächtlichen Stunden brachten die Schlafenden dem Tod immer näher. Die Morgenröte beleuchtete drei ausgemergelte, bleiche Gestalten, denen selbst das Sprechen zuviel Kraft kostete. Nur Mora-Mora, dessen Stimme leicht wie ein Hauch war, gab sich einem Singsang hin, der aus englischen und Brocken seiner eigenen Sprache bestand und in dem von gebratenen Emus und Känguruhs und sanften Mädchen die Rede war. Und natürlich von Wasser.
»Wasser … Wasser«, flüsterte der Kapitän.
Er hob den Kopf und schien zu lauschen. Seine Augen leuchteten.
»Wasser«, flüsterte er wieder. »Es läuft den Felsen herab. Ah, tut das gut!«
Er tat so, als würde er mit langen Zügen trinken.
»Sauber, kalt, köstlich«, flüsterte er noch, dann sank sein Kopf nach hinten. Schlief er, oder glitt er bereits hinüber ins Nichts?
Das fragte sich Bob Sammy, als er ihn mit einem trauernden Blick bedachte. Allein er schien noch eine Weile mit seinen Kräften haushalten zu können. Dennoch schüttelte er niedergeschlagen den Kopf.
»Heute abend wird alles zu Ende gehen«, murmelte er und schlug mit der Faust auf den Felsen. »Niemand kommt uns zu Hilfe. Wir werden verrecken wie Hunde.«
Er zuckte mit den Schultern und streckte seinen schweren Körper lang auf dem Boden aus. Gegenwärtig stand die Sonne im Zenit. Ihre sengenden Strahlen stachen bereits auf den Felsen, aber die Gefährten des Goldsuchers waren für die Hitze nicht mehr empfänglich, denn sie konnte die innere Kälte nicht mehr bezwingen.
Plötzlich horchte Bob auf. Er stützte den Kopf auf einen Arm und lauschte. Er glaubte weit entfernt ein Geräusch vernommen zu haben, das sich von den Geräuschen, die er all die Tage über vernommen hatte, unterschied.
»Pferde«, sagte er gedehnt.
Aber umsonst versuchte er, dieses Geräusch genauer auszumachen. Es verschwand schließlich wieder.
»Ich träume«, sagte er, »das ist der Hunger …«
Und entmutigter als eben noch, ließ er sich nach hinten sinken. Ein Hoffnungsschimmer hatte ihn durchzuckt, die Enttäuschung war niederschmetternd. Er begann zu heulen und stammelte entnervt: »Geh, Bestie. Du bist verdammt. In der Stunde des Todes soll man Buße tun. Du bist verloren und nimmst den mit dir, der das Verbrechen verhindert hat. Ein geplantes Verbrechen verfolgt uns also auch, selbst wenn man es nicht begangen hat.«
Der Körper des Goldsuchers wurde von Schluchzern geschüttelt.
»Ich habe Durst. Mir ist kalt, obwohl mich die Sonne verbrennt. Im Herzen ist mir kalt! Ach Kind, von der Mutter getrennt, es ist mir versagt, dich ihr zurückzugeben … Ah, wen sehe ich da …! Mylord Green selbst.«
Blicklos schaute der Sterbende in die Weite. Er phantasierte: »Ich war ein Ganove, Mylord Green. Der Whisky und die Karten hatten meine Taschen völlig leer gemacht. Er verfolgte mich. Er hat mich getäuscht. Er hat mir Guineen angeboten, viel Guineen. Auf seinen Befehl hin bin ich zum Lachlan River gezogen. Dort hab ich die kleine Maudlin gepackt …, aber ich habe sie nicht in den Fluß geworfen, so wie er es gesagt hatte … Nein, sie lebt … Sie lebt. Nur, Sie haben recht, sie hat ihre Mutter nicht gekannt; und diese hat den Mörder geheiratet. Erbarmen, guter Lord, Erbarmen … Sie sehen, daß ich mich verabscheue; ich habe allein gehaust, ich habe nach Gold gegraben, das ich hasse, aber der Kapitän wollte es so …, ich brauchte nur zu gehorchen … Ich hoffte die Vergangenheit auszulöschen; es ist der Vulkan, das Feuer, das die Erde verschlingt, Gnade, Mylord … Gnade.«