Vierzehntes Kapitel
Wiedergefunden …! Und dennoch verloren
Es war tatsächlich Allsmine, der dank der angestifteten Verwirrung durch den unvorhergesehenen Vulkanausbruch rechtzeitig eingetroffen war, um sich des bis dahin so erfolglos gehetzten Feindes zu bemächtigen.
Von Sydney mit der Destroyer ausgelaufen, hatte der Polizeichef das Schiff vor der Mündung des Skaim River ankern lassen. Lavarède, Aurett und Lotia waren entsprechend seiner Order auf dem Kreuzer zurückgeblieben, während er selbst in Begleitung mehrerer Männer den Weg nach Brimstone Mounts eingeschlagen hatte. Unterwegs hatte er erfahren, daß eine Naturkatastrophe die Goldfelder verwüstet hatte. Flüchtende Goldsucher hatten ihm berichtet, daß zwei Unbekannte kurz vor dem Ereignis nach Bob Sammy gefragt hätten; er hatte also die Gewißheit, daß derjenige, den er suchte, der Eruption nicht entkommen war.
Dennoch hatte er seinen Weg fortgesetzt, weil ihn der Wunsch beseelte, den Beweis für den Tod seines Erzfeindes zu erhalten. Der Zufall war ihm zu Hilfe gekommen und hatte seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Der Korsar wurde sein Gefangener.
Als sie den Namen Allsmine hörten, waren der Kapitän und Sammy blaß geworden. Sie schienen beide dasselbe gedacht zu haben, denn ihr Blick schweifte zu den Lavadämpfen und schien zu sagen: Besser Gefangene des Feuers als des obersten Polizeiherrn des Pazifiks. Gefangene! Das Wort war genau richtig, und Toby bemühte sich bestens, sie es unentwegt spüren zu lassen. Zwei Männer wurden zur Bewachung der Europäer abgestellt. Da Mora-Mora offensichtlich nichts mit dem Kleinkrieg Allsmine–Korsar zu tun hatte, wurde er freigelassen. Man gab ihm seine Waffen wieder, dazu Nahrung für einige Tage und forderte ihn auf, sie unverzüglich zu verlassen und sich nicht wieder blicken zu lassen.
Die Bewacher wußten, wie wertvoll ihre Gefangenen waren, deshalb ketteten sie sie auch aneinander, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Derart aneinandergekettet durchlebten und durchlitten die beiden die verschiedenen Stadien ihrer Gesundung. Am dritten Tag waren ihre Kräfte soweit wieder hergestellt, daß man sie auf zwei Pferde hieven konnte, die ihre Bewacher am Zügel führten. Nachdem das getan war, machte sich die Truppe auf den Rückweg.
Der Weg durch die Wüste war unerträglich; die Sonne marterte nicht nur die Menschen, sondern auch die Erde mit ihren unerbittlichen Strahlen. Nachts konnten die Unglücklichen wenigstens atmen, doch tagsüber war es kaum auszuhalten. Dennoch schien der anfangs sehr niedergeschlagene Kapitän allmählich wieder Zuversicht zu schöpfen.
Am Ende des dritten Tages bemerkte Bob Sammy, daß ihn sein Leidensgefährte scharf fixierte. Er vermutete, daß ihm der Kapitän etwas mitteilen wollte. Und sobald die Truppe haltmachte, streckte er sich neben dem Kapitän auf dem Erdboden aus. Beide behaupteten, müde zu sein und unverzüglich schlafen zu wollen.
Die Bewacher waren argloser geworden, denn für die Gefangenen wäre es der sichere Tod gewesen, wenn sie versuchen würden, hier, in der Wüste, zu entkommen. Und während sich Allsmine in sein Zelt zurückzog und seine Männer die abendliche Mahlzeit vorbereiteten, schienen sich die Gefangenen einem wohlverdienten Schlaf hinzugeben.
Plötzlich öffnete der Kapitän leicht die Augen, vergewisserte sich, daß niemand sie beobachtete oder hören konnte, was sie sich zu sagen hätten. Dann rief er leise: »Bob.«
Der Goldsucher flüsterte: »Ich höre Sie, Meister.«
»Gut! Morgen werden wir wohl Cawsons Herberge erreichen.«
»Ich denke auch.«
»Dort mußt du entwischen, Bob!«
»Ich werde tun, was Sie befehlen. Ich habe alle meine Kräfte wiedergewonnen, und ich werde Ihre Handschellen und Stricke wie Bindfäden zerreißen. Nur will ich mich nicht von Ihnen trennen.«
»Keine Widerrede. Du mußt tun, was ich dir sage.«
Einer der Bewacher kam auf sie zu. Vielleicht hatte der Mann irgendein Geräusch vernommen und trat nun aus professionellem Mißtrauen näher, um einen Blick auf die Gefangenen zu werfen. Er sah sie unbeweglich und mit geschlossenen Augen, die Hände zur Faust geballt, daliegen.
»Hm«, sagte er, »meine Ohren sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die schlafen fest.«
Und mit einem Schulterzucken wandte er sich wieder seinen Kameraden zu, die beim Essen waren.
Nach seinem Weggang herrschte kurze Zeit Schweigen, dann rief der Kapitän wieder: »Bob.«
»Ich höre, Meister.«
»Du mußt fliehen, unterbrich mich nicht, die Zeit drängt. Daß wir beide entwischen, ist unmöglich. Man achtet besonders auf mich. Aber du kannst es. Du kennst die Gegend. Du schlägst dich zum Skaim River durch. Bei der Flußbiegung an den drei Felsspitzen haben sich meine Freunde mit einem Boot versteckt. Du wirst ihnen sagen: Ich bin der, den der Kapitän holen wollte. Er ist von Allsmine gefangengenommen worden und wird nach Sydney gebracht. Dorthin müssen wir auch. Miß Maudlin wird entscheiden, was zu tun ist.«
»Ich werde handeln, wie Sie wünschen, Meister. Aber still!«
Ihr Bewacher tauchte zum zweitenmal auf.
»Beim Schwanze Satans«, knurrte dieser, »meine Ohren spielen mir doch nicht zweimal einen Streich. Ich werde diese Galgenstricke trennen, dann hab ich endlich Ruhe.«
Mit einem Fußtritt weckte er Sammy.
»He, was soll das!« beschwerte sich der Goldsucher und rieb sieh die Augen wie ein Mensch, den man unsanft aus dem Schlaf gerissen hat; »es ist nicht gerade angenehm, so auf einem herumzutrampeln!«
Der Polizist lachte.
»Quatsch nicht! Hoch mit dir!«
»Warum denn?«
»Weil es mir so paßt. Du kannst weiterschlafen. Aber dort drüben.«
Und er wies auf einen anderen Platz.
»Es ist nicht korrekt, einen Gefangenen zu treten.«
»Red nicht, ein Fußtritt ist erträglicher als der Galgen, der auf euch wartet. Also los, auf!«
Sammy warf dem Wächter einen wutentbrannten Blick zu, erhob sich jedoch und folgte dem Mann. Zwanzig Meter weiter zeigte der Beamte auf eine Stelle, auf der ein wenig Moos zu schillern schien.
»Hier, leg dich hin. Du siehst ja, daß deine Klagen ungerechtfertigt waren, hier hast du direkt eine Matratze. Schlaf und sei mir lieber dankbar für soviel Aufmerksamkeit.«
Der Hüne warf sich wortlos auf die Erde, und der Polizist gesellte sich zu seinen Kameraden, die um das Feuer herumsaßen.
Der Kapitän hatte sich nicht gerührt. Man hätte glauben können, er habe nichts gesehen, nichts gehört. Man mußte ihn schütteln, um ihn zu wecken, damit er seine Abendmahlzeit einnehmen konnte. Danach schlief er sofort weiter.
Die Nacht verging ohne jeden weiteren Zwischenfall. Am frühen Morgen stiegen die Männer wieder in die Sättel. Gegen Abend kamen sie in Cawsons Herberge an. Dieser zeigte, durch eine lange Erfahrung von Auf und Ab gewitzt, keinerlei Überraschung, als er die Gefangenen erkannte. Er kümmerte sich nicht um sie und gab auch durch nichts zu verstehen, daß er sie schon einmal gesehen hatte.
Aber Vorsicht schützt vor Neugier nicht, und der Wirt wußte es besser als sonst jemand, daß Bob Sammy alles andere als ein Mensch war, der sich friedlich in sein Schicksal schickt. Und so machte er sich zunutze, daß die Bewacher gerade bei einem opulenten Mahl saßen, um sich unter das Fenster des Zimmers zu schleichen, in dem der Schürfer gefangengehalten wurde.
Es stand halb offen.
»He! Bob Sammy, bist du es?«
»Frag nicht so blöd, klar bin ich das, und ich freu mich, dich zu sehen.«
»Ich würde mich auch freuen, wenn deine Situation nicht so mies wäre.«
Der Hüne lachte.
»Glaub ich gern, Cawson, und ich zögere nicht, dir zu versichern, daß du sie ändern kannst.«
»Dir helfen«, stammelte der Wirt und wurde todernst. »Du willst doch damit nicht sagen, daß ich dir helfen soll, der Polizei zu entwischen. Denk daran, daß ich mein Haus in jahrelanger ehrlicher Arbeit zu dem gemacht habe, was es jetzt ist.«