Der Kapitän selbst schien von diesen Vorsichtsmaßnahmen nicht sonderlich beeindruckt, denn er legte sich mit derselben Ruhe nieder, als würde er von guten Freunden bewacht.
Nichts hätte seinen und den Schlummer der anderen gestört in dieser duftenden und sternenklaren Nacht, wenn nicht gegen ein Uhr ein Wachposten einen Schuß abgegeben hätte. In einer Sekunde war alles auf den Beinen, was Beine hatte, doch der Alarm schien ohne ersichtlichen Grund erfolgt zu sein. Zwar behauptete der Wachposten, eine schwarze Masse auf dem Fluß gesehen zu haben, die zwischen den Felsen hindurchgeglitten sei, aber unter den derben Scherzworten seiner Kameraden war er sich seiner Sache letztlich selbst nicht sehr sicher. Kurz, er zweifelte an dem, was er eben mit eigenen Augen zu sehen geglaubt hatte. Damit tat er seinen Augen allerdings bitteres Unrecht, denn die auf dem Fluß entlanggleitende Masse war nichts anderes gewesen als das Boot des Korsaren, dessen Mannschaft um einen Kopf stärker geworden war: Bob Sammy. Da dieses Boot leichter als das von Sir Toby war, brauchte es sich um Untiefen weniger zu scheren.
Überzeugt, daß der Wachposten nur geträumt habe, legte man sich wieder zur Ruhe, bis es tagte. So früh wie möglich schiffte man sich ein. Das Boot stand unter Dampf, und auf den Befehl von Sir Toby legte es vom Ufer ab und tuckerte auf der Mitte des Stroms flußabwärts. Dreimal während vierundzwanzig Stunden mußte man den Kessel mit klarem Wasser füllen. Jeden Abend legte man am Ufer an und brach erst bei Morgengrauen wieder auf.
Nur am vierten und letzten Tag der Reise wurde eine Ausnahme gemacht. In der Abenddämmerung hatte das Schiffchen die breite Mündung erreicht, durch die sich der Skaim in den Indischen Ozean ergießt. Hier war das Flußbett breit und tief, und Sir Toby entschied, daß man trotz der Dunkelheit unverzüglich weiterfuhr, um noch in derselben Nacht die Destroyer zu erreichen. Das geschah auch gegen zwei Uhr morgens, das Boot legte am Kreuzer an, auf dem außer der Wache alles schlief, und die Mannschaft und die Polizisten stiegen an Bord.
Der Korsar wurde in einer Kabine im hinteren Teil des Schiffes untergebracht, deren Tür mit einem Bullauge versehen war, so daß seine Bewacher jede seiner Bewegungen beobachten konnten. Der Polizeichef war vollauf zufrieden: Jetzt konnte ihm sein Häftling nicht mehr entwischen, denn der Ozean in seiner grünen Unendlichkeit würde ihn sicherer verwahren als eine Armee von Gefängniswärtern.
Und so suchte denn Allsmine seinerseits die ihm zustehende Kabine auf und schlief so tief, wie er seit langem nicht mehr geschlafen hatte. All seine Ängste waren verschwunden; der unheimliche Feind war endlich dingfest gemacht. Er würde ihn hängen lassen wie einen Feind Großbritanniens, diesen Korsaren, der die Stirn hatte, ihn herauszufordern. Und gleichzeitig würde er sich von seinem Ankläger befreien, er würde weiterhin in Ehren, Macht und Ansehen leben können. Ein Schatten allerdings blieb: Joan, deren mütterliche Zärtlichkeit geweckt worden war. Aber mit diesem unbedeutenden Detail würde der Polizist schon fertig werden. Joan würde sich wie alle Welt seinem Erfolg beugen müssen, und er würde sie mit einem so dichten Kordon von Spionen umgeben, daß ihre Tochter Maudlin – sollte sie tatsächlich noch am Leben sein – niemals bis zu ihr vordringen könnte.
Kurz und gut, Sir Toby erhob sich sehr spät. Das Schaukeln des Schiffes bewies ihm, das man den Anker gehievt hatte, und er rieb sich die Hände, wenn er daran dachte, wie er in Sydney ankommen würde, den Korsaren, der ihn so lächerlich gemacht hatte, im Schlepptau.
Lächelnd stieg er auf die Brücke. Ein Blick bewies ihm, daß man bereits eine erkleckliche Strecke Wegs zurückgelegt hatte. Die Küste erschien im Osten nur noch als ein schwacher, dunkler Streifen, der mit jedem Augenblick heller wurde. Fröhliche Stimmen rissen ihn aus seinen angenehmen Betrachtungen.
Vor ihm standen Armand Lavarède und die ganz in helle, duftige Gewänder gekleideten Aurett und Lotia.
»Guten Tag, mein lieber Sir!« rief Armand. »Endlich bekommt man Sie wieder einmal zu sehen. Wie geht es Ihnen nach dieser Reise?«
»So gut wie nie zuvor, Sir; und Ihnen selbst und den Damen, deren Erscheinung an duftende Blüten erinnert?«
»Ein Gedicht, nicht wahr. Ich dachte, so etwas gäbe es nur unter französischem Himmel.«
»Irrtum, Irrtum. Im milden Klima Australiens gedeihen die schönsten Rosen.«
»Sie Schmeichler. Apropos, mir scheint, Ihre Expedition war ein voller Erfolg?«
»Nun, meine Vorbereitungen waren maximal …, und das Resultat dementsprechend.«
»Korsar Triplex ist also …«
»… dreifacher Gefangener: des Meeres, der Mannschaft der Destroyer und meiner selbst.«
Ein Schweigen folgte diesen Worten, und ein aufmerksamer Beobachter hätte auf den Gesichtern von Armand und den jungen Damen alles andere als Genugtuung lesen können. Aber der Polizeichef war von seinem Erfolg so blind, daß er dafür keinen Blick hatte.
»Ja, ja, der Bursche hat mir sehr zu schaffen gemacht«, fuhr er fort. »Immerhin war er ein fairer Verlierer. Als das Spiel verloren war, hat er nicht aufgemuckt, und ich habe ihn ohne große Schwierigkeiten aus der Großen Sandwüste in diese Kabine verfrachtet«, dabei zeigte er mit dem ausgestreckten Arm Richtung Hinterschiff, »ohne daß er sich bisher darüber beklagt hätte.«
»Aha, er steckt also in einer Kabine«, bemerkte Lavarède gleichgültig.
»Ja, hinter doppelten Riegeln.«
»Und er sieht sicher entsetzlich aus«, sagte Aurett.
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Ist das die Possibilität?«
»Sicher, Mylady, es ist sie. Der Kerl ist sogar ein schmucker Bursche. Träumende Augen und … ja, das hat mich selbst überrascht, dieser kühne Korsar wirkt fast schüchtern. Wenn ich mir einen poetischen Vergleich erlauben darf, so würde ich sagen: ein Wolf im Schafpelz!«
»Seltsam, sehr seltsam«, murmelte die blonde Aurett. »Ihre Worte machen mich direkt neugierig, diesen Mann einmal von nahem zu sehen.«
»Nichts einfacher als das.«
»Was? Meine Bitte erscheint Ihnen nicht aufdringlich?«
»Aber schöne Lady, wie sollte sie. Wie gesagt, er steckt im hinteren Schiff. An der Tür ist ein Bullauge …«
»So daß man ihn sehen kann, ohne daß er es merkt … Oh, gehen wir … Kommst du, Armand, kommst du, Lotia?«
Galant bot Sir Toby der jungen Dame den Arm.
»Erlauben Sie, daß ich Sie führe.«
»Gern.«
Und schon hatte Aurett den Fuß auf die erste Stufe der Treppe gesetzt, die zum Kabinengang hinabführte, als der Kapitän der Destroyer auf die Gruppe zutrat und den Polizeichef um einige Minuten Gehör bat.
Toby entschuldigte sich bei seinen »Freunden« und bat sie, inzwischen allein ins Hinterschiff zu gehen. Die Damen ließen sich nicht zweimal bitten und stiegen die Treppe mit einer Geschwindigkeit hinab, die beredt genug bewies, wie sehr sie den berühmten Korsaren zu sehen wünschten. Armand hatte Mühe, ihnen zu folgen. Jetzt scherzten sie nicht mehr, ihre anmutigen Gesichter blickten ernst. Nein, das war nicht reine Neugier, die sie zu Triplex’ Unterkunft führte. Das war reine Sympathie. Der Kapitän hatte schließlich seine schützende Hand über Robert gehalten, und zweifellos war er derjenige, der Niari entführt hatte, den unerläßlichen Zeugen für Roberts und Lotias Glück.
Dennoch verlangsamten sie ihren Schritt, je näher sie der Kabine kamen. Eine unerklärliche Beklemmung ließ sie zögern.
»Na, was?« fragte der Journalist. »Wollt ihr auf einmal nicht mehr die Bekanntschaft unseres geheimnisvollen Verbündeten machen?«