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Vor ihnen lagen drei Kabinen mit je einem Bullauge in der Tür. Lotia stellte sich auf Zehenspitzen und blickte durch das erste Kabinenfensterchen. Der Raum war leer.

Im zweiten war ebenfalls nichts zu erkennen.

Die dritte Kabine war belegt. Ein Mann stand mit dem Rücken zur Tür und blickte durch ein weiteres Bullauge auf das Meer. Der Umriß des Mannes kam ihr vertraut vor, besonders diese träumende Haltung. Sie seufzte. In diesem Augenblick drehte sich der Gefangene um, als würde ihn Gedankentelepathie den Wunsch der Betrachterin ahnen lassen. Seine Gesichtszüge waren deutlich zu erkennen. Lotia griff sich ans Herz und schrie erstickt auf: »Robert!«

»He? Was sagen Sie da?« fragte Lavarède verwundert.

Lotia hatte nicht mehr die Kraft, zu antworten. Sie zeigte auf das Bullauge. Armand preßte seine Augen dagegen und sagte seinerseits mit einem unbeschreiblichen Ton der Überraschung: »Mein Cousin!«

»Was? Er! Korsar Triplex?« stammelte Aurett, die endlich begriff.

»Er selbst.«

»Das muß ein Irrtum sein.«

»Das werden wir gleich haben.«

Mit der für ihn typischen Schnelligkeit zu handeln eilte der Journalist zum Ende des Kabinengangs, versicherte sich mit einem raschen Blick, daß sie unbeobachtet waren, lief zur Kabinentür zurück und klopfte in einem bestimmten Rhythmus an dieselbe.

Bei dem Klopfen horchte der Gefangene auf. Er näherte sich dem Bullauge, erkannte den Besucher, lächelte, wurde bleich, dann rot und machte ihm dann ein Zeichen, sich zu gedulden.

Er zog ein Notizbuch aus der Tasche, riß ein Blatt Papier heraus, kritzelte eilig ein paar Zeilen darauf und schob den Zettel unter der Gott sei Dank nicht fugendicht schließenden Tür hindurch. Armand bückte sich nach dem Papier, und unter Roberts Blicken, denn der stand ja noch immer mit plattgedrückter Nase am Bullauge, las er:

»Schweigt. Niemand darf wissen, wer ich bin. Versucht herauszukriegen, wo ich in Sydney eingesperrt werde, und teilt es James Pack mit. Bald werden wir wieder zusammen sein.«

Armand hatte die Lektüre beendet und schaute Robert fragend an. Der nickte hinter dem Bullauge, und Armand gab seinem Cousin mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er so verfahren würde, wie letzterer wünsche.

Das Geräusch von Schritten war zu vernehmen. Gleich würde man die stumme Unterhaltung zwischen dem Gefangenen und seinen Freunden unterbinden.

Lotia näherte sich schnell der Scheibe und drückte einen Kuß auf das kühle Glas, das durch die heiße Leidenschaft, die in diesem Kuß lag, gleich beschlug.

Da tauchte Allsmine im Kabinengang auf. Er entschuldigte sich, die Damen allein gelassen zu haben, ohne zu ahnen, welches Vergnügen ihnen gerade diese Abwesenheit bereitet hatte. Dann erst schien er die Anzeichen der Verwirrung auf den Gesichtern der beiden zu bemerken.

»Hat Sie denn der Anblick dieses Verbrechers so erschreckt?« fragte er.

Armand beeilte sich zu versichern: »Aber ja doch. Schließlich hat man nicht alle Tage Gelegenheit, einen so berühmten Banditen zu sehen, ohne sich nicht insgeheim zu gestehen, daß diese Begegnung sicher weit aufregender verlaufen würde, wenn er nicht hinter Schloß und Riegel säße.«

Sir Toby lachte sonor.

»Was? Wirklich? Unsere charmanten Damen zittern bei diesem Gedanken?«

»Sie zittern. Eine durchaus natürliche Regung. Schließlich gehört es in Mitteleuropa nicht zur Gewohnheit, mit Korsaren Umgang zu haben.«

»Ja, ja, aber die Ladys können ganz beruhigt sein.«

»Ich denke auch.«

»Triplex wird niemandem mehr Kummer machen.«

»Das dürfte in seiner jetzigen Lage nicht so ganz sicher sein.«

»Seine Lage wird sich ändern.«

»Wie das?«

»Nun, da bin ich mir sicher. Der Kerl wird vor ein ordentliches Gericht gestellt werden, da er die Sicherheit englischen Besitzes gefährdet hat, und ich wette mit Ihnen, daß er eine Woche nach unserer Ankunft in Sydney am Galgen baumeln wird. Das ist mein einziger Kummer.«

Lotia konnte bei diesen Worten eine nervöse Geste nicht unterdrücken. Der Polizeichef wertete den Grund ihrer Aufregung jedoch anders und sagte, breit lächelnd: »Ich werde Ihnen zum Andenken an das Abenteuer etwas schenken, meine Damen. Ihnen auch, Mr. Lavarède. In Frankreich, nicht wahr, behauptet man doch, daß der Strick eines Gehenkten Glück bringt. Ich werde Ihnen einige Zentimeter von dem köstlichen Seil, das dem Schurken helfen wird, den Körper von der Seele zu trennen, zum Geschenk machen.«

Von diesem Beweis seiner Liebenswürdigkeit außerordentlich entzückt, begleitete Allsmine die drei zur Brücke. Dort zogen sich jedoch letztere unter einem Vorwand in ihre Kabinen zurück. Kurz darauf trafen sie sich in Lotias Kabine, um zu beratschlagen, und die junge Dame ließ ihren Tränen freien Lauf. Armand versuchte sie zu trösten, indem er ihr versicherte: »James Pack muß mit dem Korsaren unter einer Decke stecken. Roberts Brief beweist es. Haben Sie Vertrauen, Lotia. Alles wird gut.«

Fünfzehntes Kapitel

Ein Verblichener, dem es gut geht

Die Überfahrt dauerte elf Tage, aber trotz aller Anstrengungen konnte sich Lavarède seinem Cousin nicht noch ein zweites Mal nähern. Gewiß, er sah den Gefangenen, denn der wurde jeden Nachmittag für zwei Stunden an die frische Luft gebracht – eine besondere Aufmerksamkeit von Sir Toby –, doch stets unter allerschärfster Bewachung. Es war ihm nur mehr möglich, über die Entfernung hinweg einige Blicke mit ihm zu tauschen.

Armand wich Allsmine kaum von der Seite, und nach eingehender Befragung, wobei er vorgab, sich über die sozialen, administrativen und juristischen Zustände Australiens zu informieren, gelangte er zu der Gewißheit, daß Robert als politischer Häftling – angeklagt, die Stabilität des Landes untergraben zu haben – nur in dem für politische Häftlinge vorbehaltenen Gefängnis von Fort Macquarie inhaftiert sein konnte. Das Gefängnis von Macquarie war eine alte Befestigungsanlage, deren Uneinnehmbarkeit jedoch durch die Weiterentwicklung moderner Geschosse zur Fama geworden war und die nun nur noch als Gefängnis genutzt wurde. Dennoch waren die Mauern vier Meter dick, die Zellen eng, die Wände glatt und ein Fluchtversuch so gut wie ausgeschlossen.

Diese im Laufe der Fahrt aufgeschnappten Details waren kaum dazu angetan, den Journalisten zu beruhigen. Er schloß daraus, daß eine Befreiung Roberts wenn nicht ganz und gar ausgeschlossen, so doch außerordentlich schwierig werden würde.

Und so richtete Armand auch, als die Destroyer in Sydney Anker geworfen hatte, seine Schritte – gleich nachdem er Aurett und Lotia wieder im Centennial-Park-Hotel untergebracht wußte – zur Paramata Street, um entsprechend Roberts Wunsch mit James Pack zu sprechen, obwohl er nicht allzu großes Vertrauen in eine Intervention des Buckligen setzte.

Aber er mußte gar nicht bis zum Haus in der Paramata Street laufen. Als er noch überlegte, wie er Sir Tobys Argwohn zerstreuen konnte, falls dieser ihn nach dem Grund dieses Besuches fragen würde, kam ihm auf dem Trottoir James höchstselbst lächelnd entgegen.

»Guten Tag, Mr. Lavarède«, grüßte ihn der Bucklige und verbeugte sich. »Ihr Gesicht strahlt vor Gesundheit, und deshalb kann ich ohne Sorge fragen: Wie geht es Ihnen heute morgen?«

»Was die Gesundheit betrifft, ausgezeichnet. Und Ihnen?«

»Danke.«

»All right; aber ich habe ein krankes Gemüt.«

»Wirklich?«

»So ist es. Wenn Sie im übrigen einige Minuten Zeit für mich hätten, so könnte ich Ihnen den Grund meines Leidens plausibel machen.«

»Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung.«

»Gehen wir ein paar Schritte zur Seite, ich fürchte, irgendein Neugieriger könnte uns belauschen.«