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»Lady Allsmine«, murmelten die Angestellten und erhoben sich von ihren Plätzen, um sie zu begrüßen.

Der Polizeichef unterdrückte eine Bewegung der Ungeduld und sagte mit unpersönlicher Stimme: »Sie, Joan! Ich erwartete nicht, Sie in diesem Büro zu sehen.«

»Das ist auch wirklich nicht mein Platz, Toby«, antwortete die Frau sanft. »Können Sie sich nicht vorstellen, daß ich ein ernsthaftes Motiv dafür habe?«

»Was für ein Motiv?«

Joan ging auf ihn zu und flüsterte ihm ins Ohr: »Korsar Triplex.«

Allsmine wurde kreidebleich. Ein Fluch lag ihm auf den Lippen. Instinktiv griff er zu seinem Revolver, den er, wie alle seine Mitarbeiter, in einer Tasche seines Überrockes stets bei sich trug.

Mit einer Geste hielt sie ihn zurück.

»Gehen wir ins Nebenzimmer«, sagte sie. »Ich habe jemanden mitgebracht, der Sie unterrichten wird.«

Toby machte James Pack ein Zeichen, ihnen zu folgen, und so verließen die junge Frau und die beiden Männer das Büro, in dem sie die Schreiber mit ihrer Neugier allein zurückließen.

Sie überquerten einen Flur und betraten einen kleinen in Weiß und Gold gehaltenen Salon, der mit Sesseln, Sofas und Stühlen möbliert war. Dort blieben sie überrascht stehen. Auf einem Hocker saß mit gekreuzten Beinen ein etwa fünfzehnjähriger Junge, der ernsthaft darin vertieft war, aus einem mit schwarzen Schriftzügen bedeckten Anschlag einen Papierhut zu falten.

Der Junge war seltsam gekleidet: Er trug einen alten kastanienbraunen Dolman, dazu eine Hose in derselben Farbe, die Füße waren in verwitterte, gerippte Knöchelschuhe gezwängt, die von einem ehemals blauen, um die Waden geschlungenen Band zusammengehalten wurden, das durch die Sonne gebleicht worden war.

Aber viel merkwürdiger schien das Gesicht des seltsamen Knaben zu sein. Die Züge waren fein und regelmäßig, der Mund klein, die Nase gerade, die Stirn glatt und weiß, die langen blonden Haare wurden von einem keck nach hinten geschobenen Barett nur mühsam zurückgehalten – man hätte ihn schön nennen können, wenn nicht die dunkelgrünen Augen einen stumpfen, starrenden Blick gehabt hätten. Das war der Blick eines Menschen, dessen Geist in anderen Sphären weilt: der Blick eines Irren.

»Ah, das ist Silly«, flüsterte James seinem Vorgesetzten ins Ohr.

»Silly?«

»Ja, der kleine Idiot, der durchs Land vagabundiert, heute hier, morgen da, und von Almosen lebt.«

Das Kind schien nicht wahrgenommen zu haben, daß jemand das Zimmer betreten hatte. Ernsthaft fuhr es fort, sein Papier zu falten, um ihm die richtige Form zu geben.

»Also ist er ein Schwachsinniger?«

»Ja, das ist er.«

Sir Toby warf seiner Frau einen fragenden Blick zu. Diese verstand.

»Sie möchten zweifellos wissen, warum ich dieses Kind hierhergebracht habe. Ich werde es Ihnen erklären. Sie wissen, daß meine Freundin Alida Lewis krank ist. Heute morgen ließ ich anspannen, um der armen Leidenden einen Besuch zu machen. Nun, sie war auf dem Wege der Besserung, ich hielt mich nicht lange auf, fuhr wieder nach Hause, als in der Nähe der Docks ein Menschenauflauf meinem Fahrzeug den Weg versperrte.«

Lady Allsmine warf einen Blick auf Silly, der versuchte, einen riesigen Federbusch an seinem endlich fertig gewordenen Papierhut zu befestigen, und fuhr fort: »Es waren Hafenarbeiter, die das Kind lachend und grölend umringten.«

»Verstehe. Sie haben den Jungen ihren Händen entrissen …«

»So warten Sie doch ab, ich bin noch nicht am Ende. Silly klebte sehr gewissenhaft einen Anschlag an die Mauer, ähnlich dem, den er bei sich hat.«

Der Junge hatte sich erhoben und betrachtete sich anscheinend äußerst zufrieden im Spiegel. Mrs. Allsmine ergriff einen der Anschläge, faltete ihn auseinander und erlaubte somit ihrem Mann wie auch James Pack, die rätselhafte Proklamation zu lesen:

Bürger von Sydney. Meine Brüder!

Die Zeitungen und die Polizei schrecken Euch mit meinem Namen. Aber Ihr habt nicht das geringste von mir zu befürchten. Ich führe nur Krieg gegen den nichtsnutzigen Polizeichef, welcher, anstatt der Justiz zu genügen, selbst von ihr belangt werden müßte. Ich denke jedoch, daß das demnächst geschehen wird, aber das, meine Brüder, wird nicht zu Euerm Schaden sein.

Euer ergebener Korsar Triplex

Allsmine war puterrot geworden. Seine zornsprühenden Augen ruhten auf dem Jungen, der noch immer seelenruhig vor dem Spiegel stand. Jeden Moment schien er sich auf ihn stürzen zu wollen, doch Joan hielt ihn zurück.

»Eine Minute noch, bitte! Dieser Kleine ist nicht bei Verstand; er ist nicht verantwortlich für das, was er getan hat, dennoch hat er mir einen Dienst erwiesen.«

»Was, Ihnen?« fragte der Polizeichef ärgerlich und verwundert.

»Ja, mir«, bestätigte seine Frau. »Die Menge hatte mich erkannt. Spottend und frech umringte sie meinen Wagen. Die Männer scherzten: ›Sieh an, die Polizei hat es mit der Angst zu tun gekriegt. Jetzt schickt sie schon ihre Frauen, um den Korsaren zu bekämpfen.‹ Ich war bereits besorgt, da drehte Silly seinen Kopf zu mir. Er sah mich, stellte den vollen Leimtopf und den Pinsel auf die Erde. Einen Augenblick lang schaute er mich mit einem seltsamen Blick an. ›Du bist gut‹, sagte er sanft, ›sehr gut. Silly wird dich beschützen. Gib mir deine Hand.‹ Ich gab sie ihm, er führte sie an seine Lippen. Hämisches Gelächter begleitete diese Bewegung. ›Bravo, Silly, bravo!‹ Aber da drehte sich der Kleine um, seine Augen sprühten Blitze, und seine Nasenflügel bebten. ›Haltet eure Zungen im Zaum‹, sagte er wütend. ›Ihr habt keinen Respekt vor einer Dame. Diese steht unter Sillys Schutz. Silly will nicht, daß ihr etwas geschieht.‹«

»Schöner Schutz«, brummte Sir Toby und zuckte verächtlich mit den Schultern.

»Dennoch ein wirksamer Schutz. Unsere Landsleute haben einen fast abergläubischen Respekt vor Irren und Geistesschwachen. Die Menge schwieg und verlief sich, so daß mein Kutscher weiterfahren konnte. Silly hatte sich neben mich gesetzt. Er hielt meine Hand und wiederholte immer wieder: ›Gut, ja, gut.‹ Und so habe ich ihn hierhergebracht in der Hoffnung, daß Sie von dem armen Unschuldigen erfahren mögen, wie man ihn mit dieser gefährlichen Aufgabe betraut hat.«

»Beim Schwanze Satans!« rief der Polizeichef aus, »Ihre Idee ist vorzüglich, Joan. Ich werde mir diesen kleinen Unschuldigen mal vorknöpfen. Was meinen Sie, Pack?«

»Ich kann das nur gutheißen«, erwiderte der Sekretär.

Sir Toby stand schon neben dem Jungen und schlug ihm auf die Schulter.

»Silly«, sagte er, »Silly, hör mir mal zu.«

Der Junge drehte sich zu ihm um.

»Guten Tag, mein Herr, guten Tag. Die Zeit ist knapp, wissen Sie, und ich probiere meinen Generalshut.«

»Darum geht es nicht, mein Freund. Vorhin hast du doch auf den Mauern am Dock Anschläge angeklebt …«

»Ich habe Anschläge angeklebt«, murmelte der Bursche überrascht. Aber dann schien er sich zu erinnern: »Ach ja, mit einem Pinsel, den ich in einen Eimer tauchte …« Er hielt plötzlich inne und warf einen beunruhigten Blick um sich. »Dabei … Wo ist mein Eimer? Ich habe ihn verloren … Mein Eimer! Mein Eimer!«

Dem Weinen nahe, lief Silly durch den Salon und guckte unter jedes Möbelstück.

»Eh!« schrie Toby unwirsch. »Wir sind nicht hier, um uns mit so was abzugeben.«

Pack beugte sich zum Ohr des Direktors. »Wir müssen auf ihn eingehen; erlauben Sie, daß ich mit ihm spreche.«

»Sehr gern, versuchen Sie es.«

Der Sekretär griff Silly am Arm und sagte sehr behutsam zu ihm: »Sei nicht traurig, Silly, wir geben dir einen anderen Eimer.«

»Einen anderen?« wiederholte der Junge und blickte schon wieder ruhiger.

»Ja, einen viel größeren.«