»Tot?«
»Vollkommen tot.«
»Wie konnte das geschehen?«
»Er hat Blausäure genommen.«
Allsmine schien schon nicht mehr zuzuhören. Aufgeregt schritt er im Zimmer auf und ab. Plötzlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben.
»Mr. Caumbay«, sagte er, »warten Sie eine Sekunde. Ich werde Sie zum Gefängnis begleiten. Sie, Mr. Pack, rühren sich hier nicht von der Stelle. In einer Stunde bin ich vom Gefängnis zurück, dann brauche ich Sie.«
Dann eilte er zu seiner Wohnung und war im Handumdrehen, einen Hut auf dem Kopf, wieder da. Er wiederholte noch einmaclass="underline" »Sie rühren sich nicht von hier weg, Mr. Pack.«
Nach einer Viertelstunde hielt die Kutsche, die Allsmine unterwegs gemietet hatte, vor dem Gefängnistor.
Das Auftauchen des Chefs der Pazifikpolizei stürzte das Personal in helle Aufregung. Doch schnitt Allsmine jede Erklärung mit einer Handbewegung ab und ließ sich zur Zelle von Robert führen. Er untersuchte den Leichnam und stellte befriedigt fest, daß sein Feind für immer zum Nichtstun verurteilt war. Tot war tot; ob nun gehenkt oder vergiftet. Er war, wie die Angestellten ursprünglich befürchtet hatten, über den Vorfall alles andere als erzürnt und gab seiner Genugtuung Ausdruck. Er beglückwünschte das Personal wegen seines Eifers und versprach, bei der nächsten Beförderung und Gehaltserhöhung die Betreffenden wohlwollend zu bedenken. Dann verabschiedete er sich wieder von Mr. Caumbay und fuhr mit der Kutsche nach Hause.
Während der Fahrt frohlockte er. Die schreckliche Unruhe, die ihn seit Monaten nervös gemacht hatte, war nun endgültig dahin. Er war glücklich. Und da sich Glück, selbst bei den erbärmlichsten Charakteren, meist großzügig gibt, so war er spendabel zu jedermann. Der erste, der das spürte, war der Kutscher. Er erhielt ein fürstliches Trinkgeld.
Der Selbstmord des Korsaren war die Lösung. Es würde keine Gerichtsverhandlung geben, keine Anklageerhebung und keine Zeugenaussagen, die vielleicht hätten peinlich werden können, obwohl ihn der Staatsanwalt seiner Loyalität versichert hatte. Wirklich, das Spiel lief ganz nach seinen Wünschen. Und es hätte nicht viel gefehlt, daß der oberste Polizist der südlichen Hemisphäre die schreckliche Sentenz des antiken Herrschers wiederholt hätte: »Der Leichnam eines Gegners riecht immer gut.«
Mit diesen angenehmen Gedanken erreichte er sein Arbeitszimmer, in dem sein Sekretär ihn erwartete.
»Ich hatte meine Gründe, Sie auf mich warten zu lassen, Mr. Pack!« rief er beim Eintreten mit einer guten Laune, die sein Untergebener noch nie an ihm bemerkt hatte. »Wir müssen alles für die Beerdigung des Korsaren vorbereiten.«
In den Augen des Buckligen blitzte es auf. Scheinbar überrascht, fragte er: »Was? Ist er wirklich gestorben?«
»Er ist es, mein Freund, er ist es. Ich habe mit eigenen Augen seine sterblichen Überreste gesehen.«
»Mr. Caumbay ebenfalls?«
»Ja, ja, er hat den Tod bestätigt. Der Kerl hat eingesehen, daß die Partie verloren ist, und hat Blausäure genommen. Erstaunlich, wieviel kaltblütige Verbrecher Angst vor dem Strick haben. Aber letzten Endes erspart uns das eine Menge. Es gibt keinerlei Zweifel über die Todesursache, eine Autopsie ist deshalb unnötig. Ich möchte Sie bitten, deshalb zur Medizinischen Fakultät zu gehen und dort den Doktoren Formentine und Cawson auszurichten, daß es keinen Grund gibt, sie wegen dieses Todes zu bemühen. Auch der Gefängnisarzt hat den Tod bestätigt. Wir könnten also morgen schon den schrecklichen Banditen zu Grabe tragen.«
James machte Anstalten, das Büro zu verlassen, als Allsmine ihm noch auftrug: »Benachrichtigen Sie ebenfalls den Staatsanwalt, und veranlassen Sie Mr. Caumbay, die notwendigen Schritte einzuleiten. Das ist vorläufig alles.«
Der Bucklige verließ das Büro, beauftragte einen der Schreiber, im Gefängnis anzurufen und dort das Notwendige zu veranlassen. Er selbst machte sich auf den Weg zur Medizinischen Fakultät. Er lief schnell. Auf seinem Gesicht war ein leichtes Lächeln zu erkennen, so daß ihn unterwegs ein Reporter einer großen Sydneyer Zeitung ansprach: »Ihrem Gesicht nach zu urteilen, muß etwas Erfreuliches passiert sein, Mr. Pack. Etwas, das für uns vielleicht von Interesse wäre?«
James sah keinen Grund, die Neuigkeit geheimzuhalten. »Oh, es gibt etwas überaus Bemerkenswertes.«
»Was denn, ich bitte Sie.«
»Den tragischen Tod von Korsar Triplex.«
»Was! Dieser arme Korsar?«
»Heute nachmittag tot aufgefunden worden. Wegen Einzelheiten wenden Sie sich bitte an die Verwaltung von Fort Macquarie.«
»Ich eile!« rief der Journalist und nahm die Beine in die Hand. »Und danke auch.«
Einen Augenblick verfolgte ihn James mit den Augen, dann ging er weiter. An der Medizinischen Fakultät waren die Professoren, denen er die Erklärung Allsmines übermittelte, zwar zunächst enttäuscht, das Innenleben eines so berühmten Banditen nicht kennenzulernen; als sie jedoch von der Beschaffenheit des Giftes erfuhren, schätzten sie den Verlust nicht allzu hoch ein, denn Blausäure hat die Eigenschaft, alle Organe mehr oder weniger stark zu zerfressen. Und da der Gefängnisarzt den Tod ja bestätigt hatte, würde eine Autopsie nur reine Formsache sein.
Als sein Auftrag erledigt war, ging der Sekretär jedoch nicht auf direktem Wege zur Paramata Street zurück. Er begab sich zum Hafen und ging dort spazieren, wobei er nach irgendwem Ausschau zu halten schien. Das allerdings wäre nur einem aufmerksamen Beobachter aufgefallen. Plötzlich faßte er eine Gruppe von drei Seeleuten ins Auge, die an einer weniger belebten Ecke des Kais standen und die kleinen silbergrauen Fische angelten, die im trüben Wasser des Hafens herumwimmelten. Offenbar wollten sie sie als Köderfische für größere Fänge benutzen. James schlenderte auf sie zu.
Die Männer schienen ihn nicht zu beachten. Sie schienen ihn auch nicht wahrzunehmen, als er nur zwei Schritt neben ihnen stehenblieb. Vorsichtig schaute James nach rechts und nach links. Niemand beobachtete die Gruppe.
»Morgen abend«, flüsterte er. »Zehn Männer. Das Kind ins Centennial. Treffpunkt dort unten.«
»Well«, murmelten die Männer zwischen zusammengepreßten Lippen und wandten keinen Blick von ihrer Angel.
Wie ein müßiger Spaziergänger schlenderte James weiter.
Die Auflage der Abendzeitung war größer als sonst. Auf der Titelseite prangte in großen Lettern, was die Verkäufer aus vollem Halse schrien: SENSATIONELLER SELBSTMORD – KORSAR TRIPLEX VERGIFTET!
Die Gaffer eilten herbei, rissen den Verkäufern die Zeitungen aus der Hand und verleibten sich gierig die Einzelheiten des Vorfalls ein. Sydney wirkte wie eine Stadt, in der plötzlich alle vom Lesefieber gepackt zu sein schienen.
Entsprechend James Packs Instruktionen hatte sich Armand wieder ins Centennial-Park-Hotel begeben, dort seinen beiden Begleiterinnen erzählt, was ihm James aufgetragen hatte, und war nicht wieder ausgegangen. Mit Aurett und Lotia saß er jetzt im Klubzimmer und spielte, um sich abzulenken, eine Partie Dame nach der anderen. Da drangen die Rufe der Zeitungsverkäufer an sein Ohr.
Er horchte auf und wurde bleich. Ängstlich blickte er auf Lotia. Auch sie hatte die Rufe gehört. Mit starrem Blick, in der Hand noch einen Stein, den sie eben geschlagen hatte, schien sie wie jemand zu lauschen, der nicht begreift, was er hört.
Der Journalist stand auf und hakte sie unter.
»Lotia«, bat er, »Lotia, ich bring Sie auf Ihr Zimmer.«
»Nein«, wehrte sie ab. »Ich will diese Zeitung lesen.«
Lavarède versuchte sie am Arm zu packen, aber sie erhob sich, ging automatisch durch das Vestibül auf die Straße. Armand wollte sie zurückhalten, doch er wagte nicht, sie anzufassen.